Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–98. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.er mich weiter, durch welche Ungeschicklichkeit, durch welche Nachlässigkeit konnte er denn seinen Schlagschatten verlieren? -- Wie es kam, erwiderte ich, mag nun sehr gleichgültig sein, doch so viel, log ich ihm unverschämt vor: In Rußland, wo er im vorigen Winter eine Reise that, fror ihm einmal, bei einer außerordentlichen Kälte, sein Schatten dergestalt am Boden fest, daß er ihn nicht wieder losbekommen konnte. Der falsche Schlagschatten, den ich ihm malen könnte, erwiderte der Professor, würde doch nur ein solcher sein, den er bei der leisesten Bewegung wieder verlieren müßte, -- zumal wer an dem eignen angebornen Schatten so wenig festhing, als aus Ihrer Erzählung selbst sich abnehmen läßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das ist das Vernünftigste und Sicherste. -- Er stand auf und entfernte sich, indem er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht ertragen konnte. Ich sank in meinen Sessel zurück und verhüllte mein Gesicht in meine Hände. So fand mich noch Bendel, als er hereintrat. Er sah den Schmerz seines Herrn und wollte sich still, ehrerbietig zurückziehen. -- Ich blickte auf -- ich erlag unter der Last meines Kummers, ich mußte ihn mittheilen. Bendel, rief ich ihm zu, Bendel! Du Einziger, der du meine Leiden siehst und ehrst, sie nicht erforschen zu wollen, sondern still und fromm mitzufühlen scheinst, komm zu mir, Bendel, und sei der Nächste meinem Herzen. Die Schätze meines Gol- er mich weiter, durch welche Ungeschicklichkeit, durch welche Nachlässigkeit konnte er denn seinen Schlagschatten verlieren? — Wie es kam, erwiderte ich, mag nun sehr gleichgültig sein, doch so viel, log ich ihm unverschämt vor: In Rußland, wo er im vorigen Winter eine Reise that, fror ihm einmal, bei einer außerordentlichen Kälte, sein Schatten dergestalt am Boden fest, daß er ihn nicht wieder losbekommen konnte. Der falsche Schlagschatten, den ich ihm malen könnte, erwiderte der Professor, würde doch nur ein solcher sein, den er bei der leisesten Bewegung wieder verlieren müßte, — zumal wer an dem eignen angebornen Schatten so wenig festhing, als aus Ihrer Erzählung selbst sich abnehmen läßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das ist das Vernünftigste und Sicherste. — Er stand auf und entfernte sich, indem er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht ertragen konnte. Ich sank in meinen Sessel zurück und verhüllte mein Gesicht in meine Hände. So fand mich noch Bendel, als er hereintrat. Er sah den Schmerz seines Herrn und wollte sich still, ehrerbietig zurückziehen. — Ich blickte auf — ich erlag unter der Last meines Kummers, ich mußte ihn mittheilen. Bendel, rief ich ihm zu, Bendel! Du Einziger, der du meine Leiden siehst und ehrst, sie nicht erforschen zu wollen, sondern still und fromm mitzufühlen scheinst, komm zu mir, Bendel, und sei der Nächste meinem Herzen. Die Schätze meines Gol- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0031"/> er mich weiter, durch welche Ungeschicklichkeit, durch welche Nachlässigkeit konnte er denn seinen Schlagschatten verlieren? — Wie es kam, erwiderte ich, mag nun sehr gleichgültig sein, doch so viel, log ich ihm unverschämt vor: In Rußland, wo er im vorigen Winter eine Reise that, fror ihm einmal, bei einer außerordentlichen Kälte, sein Schatten dergestalt am Boden fest, daß er ihn nicht wieder losbekommen konnte.</p><lb/> <p>Der falsche Schlagschatten, den ich ihm malen könnte, erwiderte der Professor, würde doch nur ein solcher sein, den er bei der leisesten Bewegung wieder verlieren müßte, — zumal wer an dem eignen angebornen Schatten so wenig festhing, als aus Ihrer Erzählung selbst sich abnehmen läßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das ist das Vernünftigste und Sicherste. — Er stand auf und entfernte sich, indem er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht ertragen konnte. Ich sank in meinen Sessel zurück und verhüllte mein Gesicht in meine Hände.</p><lb/> <p>So fand mich noch Bendel, als er hereintrat. Er sah den Schmerz seines Herrn und wollte sich still, ehrerbietig zurückziehen. — Ich blickte auf — ich erlag unter der Last meines Kummers, ich mußte ihn mittheilen. Bendel, rief ich ihm zu, Bendel! Du Einziger, der du meine Leiden siehst und ehrst, sie nicht erforschen zu wollen, sondern still und fromm mitzufühlen scheinst, komm zu mir, Bendel, und sei der Nächste meinem Herzen. Die Schätze meines Gol-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
er mich weiter, durch welche Ungeschicklichkeit, durch welche Nachlässigkeit konnte er denn seinen Schlagschatten verlieren? — Wie es kam, erwiderte ich, mag nun sehr gleichgültig sein, doch so viel, log ich ihm unverschämt vor: In Rußland, wo er im vorigen Winter eine Reise that, fror ihm einmal, bei einer außerordentlichen Kälte, sein Schatten dergestalt am Boden fest, daß er ihn nicht wieder losbekommen konnte.
Der falsche Schlagschatten, den ich ihm malen könnte, erwiderte der Professor, würde doch nur ein solcher sein, den er bei der leisesten Bewegung wieder verlieren müßte, — zumal wer an dem eignen angebornen Schatten so wenig festhing, als aus Ihrer Erzählung selbst sich abnehmen läßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das ist das Vernünftigste und Sicherste. — Er stand auf und entfernte sich, indem er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht ertragen konnte. Ich sank in meinen Sessel zurück und verhüllte mein Gesicht in meine Hände.
So fand mich noch Bendel, als er hereintrat. Er sah den Schmerz seines Herrn und wollte sich still, ehrerbietig zurückziehen. — Ich blickte auf — ich erlag unter der Last meines Kummers, ich mußte ihn mittheilen. Bendel, rief ich ihm zu, Bendel! Du Einziger, der du meine Leiden siehst und ehrst, sie nicht erforschen zu wollen, sondern still und fromm mitzufühlen scheinst, komm zu mir, Bendel, und sei der Nächste meinem Herzen. Die Schätze meines Gol-
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Zitationshilfe: | Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–98. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1910/31>, abgerufen am 16.07.2024. |