Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

jüngst vorsorglich so müde nach Hause geschickt,
daß er es wohl seitdem gehütet haben wird." Er
lachte wieder. "Der wird Geschichten zu erzählen
haben. -- Wohlan denn! für heute gute Nacht,
auf baldiges Wiedersehen."

Ich hatte wiederholt geklingelt, es erschien
Licht; Bendel frug von innen, wer geklingelt
habe. Als der gute Mann meine Stimme er¬
kannte, konnte er seine Freude kaum bändigen,
die Thür' flog auf, wir lagen weinend einander
in den Armen. Ich fand ihn sehr verändert,
schwach und krank; mir war aber das Haar ganz
grau geworden.

Er führte mich durch die verödeten Zimmer
nach einem innern verschont gebliebenen Gemach;
er holte Speise und Trank herbei, wir setzten uns,
er fing wieder an zu weinen. Er erzählte mir, daß
er letzthin den grau gekleideten dürren Mann, den
er mit meinem Schatten angetroffen hatte, so lange
und so weit geschlagen habe, bis er selbst meine
Spur verloren und vor Müdigkeit hingesunken
sei; daß nachher, wie er mich nicht wiederfinden

juͤngſt vorſorglich ſo muͤde nach Hauſe geſchickt,
daß er es wohl ſeitdem gehuͤtet haben wird.„ Er
lachte wieder. “Der wird Geſchichten zu erzaͤhlen
haben. — Wohlan denn! fuͤr heute gute Nacht,
auf baldiges Wiederſehen.„

Ich hatte wiederholt geklingelt, es erſchien
Licht; Bendel frug von innen, wer geklingelt
habe. Als der gute Mann meine Stimme er¬
kannte, konnte er ſeine Freude kaum baͤndigen,
die Thuͤr' flog auf, wir lagen weinend einander
in den Armen. Ich fand ihn ſehr veraͤndert,
ſchwach und krank; mir war aber das Haar ganz
grau geworden.

Er fuͤhrte mich durch die veroͤdeten Zimmer
nach einem innern verſchont gebliebenen Gemach;
er holte Speiſe und Trank herbei, wir ſetzten uns,
er fing wieder an zu weinen. Er erzaͤhlte mir, daß
er letzthin den grau gekleideten duͤrren Mann, den
er mit meinem Schatten angetroffen hatte, ſo lange
und ſo weit geſchlagen habe, bis er ſelbſt meine
Spur verloren und vor Muͤdigkeit hingeſunken
ſei; daß nachher, wie er mich nicht wiederfinden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0107" n="87"/>
ju&#x0364;ng&#x017F;t vor&#x017F;orglich &#x017F;o mu&#x0364;de nach Hau&#x017F;e ge&#x017F;chickt,<lb/>
daß er es wohl &#x017F;eitdem gehu&#x0364;tet haben wird.&#x201E; Er<lb/>
lachte wieder. &#x201C;Der wird Ge&#x017F;chichten zu erza&#x0364;hlen<lb/>
haben. &#x2014; Wohlan denn! fu&#x0364;r heute gute Nacht,<lb/>
auf baldiges Wieder&#x017F;ehen.&#x201E;</p><lb/>
        <p>Ich hatte wiederholt geklingelt, es er&#x017F;chien<lb/>
Licht; <hi rendition="#g">Bendel</hi> frug von innen, wer geklingelt<lb/>
habe. Als der gute Mann meine Stimme er¬<lb/>
kannte, konnte er &#x017F;eine Freude kaum ba&#x0364;ndigen,<lb/>
die Thu&#x0364;r' flog auf, wir lagen weinend einander<lb/>
in den Armen. Ich fand ihn &#x017F;ehr vera&#x0364;ndert,<lb/>
&#x017F;chwach und krank; mir war aber das Haar ganz<lb/>
grau geworden.</p><lb/>
        <p>Er fu&#x0364;hrte mich durch die vero&#x0364;deten Zimmer<lb/>
nach einem innern ver&#x017F;chont gebliebenen Gemach;<lb/>
er holte Spei&#x017F;e und Trank herbei, wir &#x017F;etzten uns,<lb/>
er fing wieder an zu weinen. Er erza&#x0364;hlte mir, daß<lb/>
er letzthin den grau gekleideten du&#x0364;rren Mann, den<lb/>
er mit meinem Schatten angetroffen hatte, &#x017F;o lange<lb/>
und &#x017F;o weit ge&#x017F;chlagen habe, bis er &#x017F;elb&#x017F;t meine<lb/>
Spur verloren und vor Mu&#x0364;digkeit hinge&#x017F;unken<lb/>
&#x017F;ei; daß nachher, wie er mich nicht wiederfinden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0107] juͤngſt vorſorglich ſo muͤde nach Hauſe geſchickt, daß er es wohl ſeitdem gehuͤtet haben wird.„ Er lachte wieder. “Der wird Geſchichten zu erzaͤhlen haben. — Wohlan denn! fuͤr heute gute Nacht, auf baldiges Wiederſehen.„ Ich hatte wiederholt geklingelt, es erſchien Licht; Bendel frug von innen, wer geklingelt habe. Als der gute Mann meine Stimme er¬ kannte, konnte er ſeine Freude kaum baͤndigen, die Thuͤr' flog auf, wir lagen weinend einander in den Armen. Ich fand ihn ſehr veraͤndert, ſchwach und krank; mir war aber das Haar ganz grau geworden. Er fuͤhrte mich durch die veroͤdeten Zimmer nach einem innern verſchont gebliebenen Gemach; er holte Speiſe und Trank herbei, wir ſetzten uns, er fing wieder an zu weinen. Er erzaͤhlte mir, daß er letzthin den grau gekleideten duͤrren Mann, den er mit meinem Schatten angetroffen hatte, ſo lange und ſo weit geſchlagen habe, bis er ſelbſt meine Spur verloren und vor Muͤdigkeit hingeſunken ſei; daß nachher, wie er mich nicht wiederfinden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Beigebunden im Anhang des für das DTA gewählten E… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/107
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/107>, abgerufen am 22.11.2024.