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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
civitate Dei ist ebenso sehr vom römischen Imperiumsgedanken wie
von der Apokalypse Johannis eingegeben.

Noch viel grausamer und verhängnisvoller erscheint dieses Leben
im Widerspruch, dieses Aufbauen aus den Trümmern des eigenen
Herzens, sobald wir das innere Leben und die innere Religion des
Augustinus betrachten! Augustinus ist von Natur ein Mystiker. Wer
kennt nicht seine Confessiones? Wer hätte nicht jene herrliche Stelle,
das zehnte Kapitel des siebenten Buches oft und oft wiedergelesen, wo
er beschreibt, wie er Gott erst dann gefunden habe, als er ihn im
eigenen Herzen suchte?1) Wem sollte nicht das Gespräch mit seiner
sterbenden Mutter Monika gegenwärtig sein, jene wunderbare Blüte
der Mystik, die im Brihadaranyaka-Upanishad gepflückt sein könnte:
"Schwiege der Sinne Toben, schwiegen jene Schattengestalten der Erde,
des Wassers und der Luft, schwiege das Gewölbe des Himmels, und
bliebe auch die Seele schweigsam in sich gekehrt, so dass sie, selbstver-
gessen, über sich selbst hinausschwebte, schwiegen auch die Träume und
die erträumten Offenbarungen, schwiege jede Zunge und jeder Name,
schwiege alles was sterbend dahingeht, schwiege das All ..... und Er
allein redete, nicht aber durch die Geschöpfe, sondern Er selber, und
wir hörten seine Worte, nicht als spräche einer mit Menschenzunge,
noch durch Engelstimmen, noch im Donner, noch durch das Rätsel
der Allegorien ..... und dieser Alleinige ergriffe den Schauenden und
verzehrte ihn ganz und tauchte ihn in mystische Seligkeit (interiora
gaudia)
: sollte nicht das ewige Leben dieser Vorstellung gleichen, wie
sie uns ein mit Seufzern herbeigerufener kurzer Augenblick eingab?"
(IX, 10). Doch ist Augustinus nicht etwa bloss ein Mystiker des

1) "Zurück (von den Büchern) wandte ich mich zu meinem eigenen Innern;
von dir geführt, betrat ich die tiefsten Tiefen meines Herzens, du halfst mir, dass
ich es vermochte. Ich trat ein. So schwach mein Auge auch war, erblickte ich
doch deutlich -- weit erhaben über dieses mein Seelenauge, erhaben über meine
Vernunft -- das unwandelbare Licht. Es war nicht jenes gewöhnliche, den Sinnen
vertraute Licht, noch unterschied es sich etwa von diesem durch blosse stärkere
Leuchtkraft, wie wenn das Tageslicht immer heller und heller geworden wäre,
bis es allen Raum erfüllt hätte. Nein, das war es nicht, sondern ein anderes, ein
ganz anderes. Auch schwebte es nicht erhaben über meiner Vernunft, wie etwa
Öl über Wasser schwebt oder der Himmel über der Erde, sondern erhaben über
mich war es, weil es mich selbst geschaffen hatte, und gering war ich als sein
Geschöpf. Wer die Wahrheit kennt, kennt jenes Licht, und wer jenes Licht kennt,
kennt die Ewigkeit. Die Liebe kennt es. O ewige Wahrheit und wahre Liebe
und geliebte Ewigkeit! du bist mein Gott! Tag und Nacht seufze ich nach dir!"

Der Kampf.
civitate Dei ist ebenso sehr vom römischen Imperiumsgedanken wie
von der Apokalypse Johannis eingegeben.

Noch viel grausamer und verhängnisvoller erscheint dieses Leben
im Widerspruch, dieses Aufbauen aus den Trümmern des eigenen
Herzens, sobald wir das innere Leben und die innere Religion des
Augustinus betrachten! Augustinus ist von Natur ein Mystiker. Wer
kennt nicht seine Confessiones? Wer hätte nicht jene herrliche Stelle,
das zehnte Kapitel des siebenten Buches oft und oft wiedergelesen, wo
er beschreibt, wie er Gott erst dann gefunden habe, als er ihn im
eigenen Herzen suchte?1) Wem sollte nicht das Gespräch mit seiner
sterbenden Mutter Monika gegenwärtig sein, jene wunderbare Blüte
der Mystik, die im Brihadâranyaka-Upanishad gepflückt sein könnte:
»Schwiege der Sinne Toben, schwiegen jene Schattengestalten der Erde,
des Wassers und der Luft, schwiege das Gewölbe des Himmels, und
bliebe auch die Seele schweigsam in sich gekehrt, so dass sie, selbstver-
gessen, über sich selbst hinausschwebte, schwiegen auch die Träume und
die erträumten Offenbarungen, schwiege jede Zunge und jeder Name,
schwiege alles was sterbend dahingeht, schwiege das All ..... und Er
allein redete, nicht aber durch die Geschöpfe, sondern Er selber, und
wir hörten seine Worte, nicht als spräche einer mit Menschenzunge,
noch durch Engelstimmen, noch im Donner, noch durch das Rätsel
der Allegorien ..... und dieser Alleinige ergriffe den Schauenden und
verzehrte ihn ganz und tauchte ihn in mystische Seligkeit (interiora
gaudia)
: sollte nicht das ewige Leben dieser Vorstellung gleichen, wie
sie uns ein mit Seufzern herbeigerufener kurzer Augenblick eingab?«
(IX, 10). Doch ist Augustinus nicht etwa bloss ein Mystiker des

1) »Zurück (von den Büchern) wandte ich mich zu meinem eigenen Innern;
von dir geführt, betrat ich die tiefsten Tiefen meines Herzens, du halfst mir, dass
ich es vermochte. Ich trat ein. So schwach mein Auge auch war, erblickte ich
doch deutlich — weit erhaben über dieses mein Seelenauge, erhaben über meine
Vernunft — das unwandelbare Licht. Es war nicht jenes gewöhnliche, den Sinnen
vertraute Licht, noch unterschied es sich etwa von diesem durch blosse stärkere
Leuchtkraft, wie wenn das Tageslicht immer heller und heller geworden wäre,
bis es allen Raum erfüllt hätte. Nein, das war es nicht, sondern ein anderes, ein
ganz anderes. Auch schwebte es nicht erhaben über meiner Vernunft, wie etwa
Öl über Wasser schwebt oder der Himmel über der Erde, sondern erhaben über
mich war es, weil es mich selbst geschaffen hatte, und gering war ich als sein
Geschöpf. Wer die Wahrheit kennt, kennt jenes Licht, und wer jenes Licht kennt,
kennt die Ewigkeit. Die Liebe kennt es. O ewige Wahrheit und wahre Liebe
und geliebte Ewigkeit! du bist mein Gott! Tag und Nacht seufze ich nach dir!«
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[596/0075] Der Kampf. civitate Dei ist ebenso sehr vom römischen Imperiumsgedanken wie von der Apokalypse Johannis eingegeben. Noch viel grausamer und verhängnisvoller erscheint dieses Leben im Widerspruch, dieses Aufbauen aus den Trümmern des eigenen Herzens, sobald wir das innere Leben und die innere Religion des Augustinus betrachten! Augustinus ist von Natur ein Mystiker. Wer kennt nicht seine Confessiones? Wer hätte nicht jene herrliche Stelle, das zehnte Kapitel des siebenten Buches oft und oft wiedergelesen, wo er beschreibt, wie er Gott erst dann gefunden habe, als er ihn im eigenen Herzen suchte? 1) Wem sollte nicht das Gespräch mit seiner sterbenden Mutter Monika gegenwärtig sein, jene wunderbare Blüte der Mystik, die im Brihadâranyaka-Upanishad gepflückt sein könnte: »Schwiege der Sinne Toben, schwiegen jene Schattengestalten der Erde, des Wassers und der Luft, schwiege das Gewölbe des Himmels, und bliebe auch die Seele schweigsam in sich gekehrt, so dass sie, selbstver- gessen, über sich selbst hinausschwebte, schwiegen auch die Träume und die erträumten Offenbarungen, schwiege jede Zunge und jeder Name, schwiege alles was sterbend dahingeht, schwiege das All ..... und Er allein redete, nicht aber durch die Geschöpfe, sondern Er selber, und wir hörten seine Worte, nicht als spräche einer mit Menschenzunge, noch durch Engelstimmen, noch im Donner, noch durch das Rätsel der Allegorien ..... und dieser Alleinige ergriffe den Schauenden und verzehrte ihn ganz und tauchte ihn in mystische Seligkeit (interiora gaudia): sollte nicht das ewige Leben dieser Vorstellung gleichen, wie sie uns ein mit Seufzern herbeigerufener kurzer Augenblick eingab?« (IX, 10). Doch ist Augustinus nicht etwa bloss ein Mystiker des 1) »Zurück (von den Büchern) wandte ich mich zu meinem eigenen Innern; von dir geführt, betrat ich die tiefsten Tiefen meines Herzens, du halfst mir, dass ich es vermochte. Ich trat ein. So schwach mein Auge auch war, erblickte ich doch deutlich — weit erhaben über dieses mein Seelenauge, erhaben über meine Vernunft — das unwandelbare Licht. Es war nicht jenes gewöhnliche, den Sinnen vertraute Licht, noch unterschied es sich etwa von diesem durch blosse stärkere Leuchtkraft, wie wenn das Tageslicht immer heller und heller geworden wäre, bis es allen Raum erfüllt hätte. Nein, das war es nicht, sondern ein anderes, ein ganz anderes. Auch schwebte es nicht erhaben über meiner Vernunft, wie etwa Öl über Wasser schwebt oder der Himmel über der Erde, sondern erhaben über mich war es, weil es mich selbst geschaffen hatte, und gering war ich als sein Geschöpf. Wer die Wahrheit kennt, kennt jenes Licht, und wer jenes Licht kennt, kennt die Ewigkeit. Die Liebe kennt es. O ewige Wahrheit und wahre Liebe und geliebte Ewigkeit! du bist mein Gott! Tag und Nacht seufze ich nach dir!«

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/75>, abgerufen am 25.11.2024.