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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
Auffassungen, die nicht soweit voneinander abweichen, wie man wohl
gemeint hat; der Inder (sogar auch Buddha) legte den Nachdruck
auf den Intellekt, der Graecogermane, belehrt durch Jesus Christus,
auf den Willen: zwei Deutungen desselben inneren Erlebnisses. Doch
ist die zweite insofern von grösserer Tragweite, als die Erlösung durch
Erkenntnis, wie Indien zeigt, im letzten Grunde eine Verneinung pure
et simple
bedeutet, somit kein positives, schaffendes Prinzip mehr ab-
giebt, indes die Erlösung durch den Glauben das menschliche Wesen in
seinen dunkelsten Wurzeln erfasst und ihm eine bestimmte Richtung,
eine kräftige Bejahung abtrotzt:

Ein' feste Burg ist unser Gott!

Der jüdischen Religion sind beide Auffassungen gleich fremd.

Jüdische
Weltchronik.

Soviel zur Orientierung und Verständigung über jene mytho-
logischen Bestandteile der christlichen Religion, welche sicherlich nicht
vom Judentum entlehnt waren. Wie man sieht, ist der Bau ein
wesentlich indoeuropäischer, kein bloss der jüdischen Religion zu Ehren
erbauter Tempel. Dieser Bau ruht auf Pfeilern und diese Pfeiler
wieder auf Fundamenten, die alle nicht jüdisch sind. Jetzt aber er-
übrigt es, die Bedeutung des vom Judentum empfangenen Impulses
zu würdigen, wodurch zugleich die Natur des Kampfes innerhalb der
christlichen Religion immer deutlicher hervortreten wird.

Nichts wäre falscher, als wenn man die jüdische Mitwirkung
bei der Erschaffung des christlichen Religionsgebäudes lediglich als
eine negative, zerstörende, verderbende betrachten wollte. Es genügt,
sich auf den semitischen Standpunkt zu stellen (mit Zuhilfenahme
jeder beliebigen jüdischen Religionslehre vermag man das leicht),
um die Sache genau umgekehrt zu erblicken: das helleno-arische Ele-
ment als das auflösende, vernichtende, religionsfeindliche, wie wir das
schon vorhin bei Pelagius beobachteten. Aber auch ohne die uns
natürliche Auffassung zu verlassen, genügt ein vorurteilsfreier Blick,
um den jüdischen Beitrag als sehr bedeutend und zum grossen Teil
als unentbehrlich zu erkennen. Denn in dieser Ehe war der jüdische
Geist das männliche Prinzip, das Zeugende, der Wille. Nichts be-
rechtigt zu der Annahme, dass aus hellenischer Spekulation, aus ägyp-
tischer Askese und aus internationaler Mystik ohne die Glut jüdischen
Glaubenswillens der Welt ein neues Religionsideal und damit zugleich
neue Lebenskraft geschenkt worden wäre. Nicht die römischen Stoiker
mit ihrer edlen, aber kalten, impotenten Morallehre, nicht die ziel-

Der Kampf.
Auffassungen, die nicht soweit voneinander abweichen, wie man wohl
gemeint hat; der Inder (sogar auch Buddha) legte den Nachdruck
auf den Intellekt, der Graecogermane, belehrt durch Jesus Christus,
auf den Willen: zwei Deutungen desselben inneren Erlebnisses. Doch
ist die zweite insofern von grösserer Tragweite, als die Erlösung durch
Erkenntnis, wie Indien zeigt, im letzten Grunde eine Verneinung pure
et simple
bedeutet, somit kein positives, schaffendes Prinzip mehr ab-
giebt, indes die Erlösung durch den Glauben das menschliche Wesen in
seinen dunkelsten Wurzeln erfasst und ihm eine bestimmte Richtung,
eine kräftige Bejahung abtrotzt:

Ein’ feste Burg ist unser Gott!

Der jüdischen Religion sind beide Auffassungen gleich fremd.

Jüdische
Weltchronik.

Soviel zur Orientierung und Verständigung über jene mytho-
logischen Bestandteile der christlichen Religion, welche sicherlich nicht
vom Judentum entlehnt waren. Wie man sieht, ist der Bau ein
wesentlich indoeuropäischer, kein bloss der jüdischen Religion zu Ehren
erbauter Tempel. Dieser Bau ruht auf Pfeilern und diese Pfeiler
wieder auf Fundamenten, die alle nicht jüdisch sind. Jetzt aber er-
übrigt es, die Bedeutung des vom Judentum empfangenen Impulses
zu würdigen, wodurch zugleich die Natur des Kampfes innerhalb der
christlichen Religion immer deutlicher hervortreten wird.

Nichts wäre falscher, als wenn man die jüdische Mitwirkung
bei der Erschaffung des christlichen Religionsgebäudes lediglich als
eine negative, zerstörende, verderbende betrachten wollte. Es genügt,
sich auf den semitischen Standpunkt zu stellen (mit Zuhilfenahme
jeder beliebigen jüdischen Religionslehre vermag man das leicht),
um die Sache genau umgekehrt zu erblicken: das helleno-arische Ele-
ment als das auflösende, vernichtende, religionsfeindliche, wie wir das
schon vorhin bei Pelagius beobachteten. Aber auch ohne die uns
natürliche Auffassung zu verlassen, genügt ein vorurteilsfreier Blick,
um den jüdischen Beitrag als sehr bedeutend und zum grossen Teil
als unentbehrlich zu erkennen. Denn in dieser Ehe war der jüdische
Geist das männliche Prinzip, das Zeugende, der Wille. Nichts be-
rechtigt zu der Annahme, dass aus hellenischer Spekulation, aus ägyp-
tischer Askese und aus internationaler Mystik ohne die Glut jüdischen
Glaubenswillens der Welt ein neues Religionsideal und damit zugleich
neue Lebenskraft geschenkt worden wäre. Nicht die römischen Stoiker
mit ihrer edlen, aber kalten, impotenten Morallehre, nicht die ziel-

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[568/0047] Der Kampf. Auffassungen, die nicht soweit voneinander abweichen, wie man wohl gemeint hat; der Inder (sogar auch Buddha) legte den Nachdruck auf den Intellekt, der Graecogermane, belehrt durch Jesus Christus, auf den Willen: zwei Deutungen desselben inneren Erlebnisses. Doch ist die zweite insofern von grösserer Tragweite, als die Erlösung durch Erkenntnis, wie Indien zeigt, im letzten Grunde eine Verneinung pure et simple bedeutet, somit kein positives, schaffendes Prinzip mehr ab- giebt, indes die Erlösung durch den Glauben das menschliche Wesen in seinen dunkelsten Wurzeln erfasst und ihm eine bestimmte Richtung, eine kräftige Bejahung abtrotzt: Ein’ feste Burg ist unser Gott! Der jüdischen Religion sind beide Auffassungen gleich fremd. Soviel zur Orientierung und Verständigung über jene mytho- logischen Bestandteile der christlichen Religion, welche sicherlich nicht vom Judentum entlehnt waren. Wie man sieht, ist der Bau ein wesentlich indoeuropäischer, kein bloss der jüdischen Religion zu Ehren erbauter Tempel. Dieser Bau ruht auf Pfeilern und diese Pfeiler wieder auf Fundamenten, die alle nicht jüdisch sind. Jetzt aber er- übrigt es, die Bedeutung des vom Judentum empfangenen Impulses zu würdigen, wodurch zugleich die Natur des Kampfes innerhalb der christlichen Religion immer deutlicher hervortreten wird. Nichts wäre falscher, als wenn man die jüdische Mitwirkung bei der Erschaffung des christlichen Religionsgebäudes lediglich als eine negative, zerstörende, verderbende betrachten wollte. Es genügt, sich auf den semitischen Standpunkt zu stellen (mit Zuhilfenahme jeder beliebigen jüdischen Religionslehre vermag man das leicht), um die Sache genau umgekehrt zu erblicken: das helleno-arische Ele- ment als das auflösende, vernichtende, religionsfeindliche, wie wir das schon vorhin bei Pelagius beobachteten. Aber auch ohne die uns natürliche Auffassung zu verlassen, genügt ein vorurteilsfreier Blick, um den jüdischen Beitrag als sehr bedeutend und zum grossen Teil als unentbehrlich zu erkennen. Denn in dieser Ehe war der jüdische Geist das männliche Prinzip, das Zeugende, der Wille. Nichts be- rechtigt zu der Annahme, dass aus hellenischer Spekulation, aus ägyp- tischer Askese und aus internationaler Mystik ohne die Glut jüdischen Glaubenswillens der Welt ein neues Religionsideal und damit zugleich neue Lebenskraft geschenkt worden wäre. Nicht die römischen Stoiker mit ihrer edlen, aber kalten, impotenten Morallehre, nicht die ziel-

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/47>, abgerufen am 28.03.2024.