Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Der Kampf. habe -- ficht er für Wahrheit gegen Aberglauben, für Wissenschaftgegen Obskurantismus. Andererseits aber ist ihm (und seinen Ge- sinnungsgenossen) durch Aristotelismus und Hebraismus so sehr der Sinn für Poesie und Mythus abhanden gekommen, dass er selber (wie so mancher Antisemit des heutigen Tages) ein halber Jude geworden ist und das Kind mit dem Bade ausschüttet: er will von Sündenfall überhaupt nichts wissen; das alte, heilige, den Weg zur tiefsten Er- kenntnis des menschlichen Wesens weisende Bild verwirft er ganz und gar; dadurch schrumpft aber auch die Gnade zu einem nichts- sagenden Wort zusammen, und die Erlösung bleibt als ein so schatten- haftes Gedankending zurück, dass ein Anhänger des Pelagius von einer "Emanzipation des Menschen von Gott durch den freien Willen" reden durfte. Auf diesem Wege wäre man gleich wieder bei platt rationa- listischer Philosophie und beim Stoicismus angelangt, mit dem nie fehlenden Komplement krass-sinnlichen Mysteriendienstes und Aber- glaubens, eine Bewegung, die wir in den ethischen und theosophischen Gesellschaften unseres Jahrhunderts beobachten können. Kein Zweifel also, dass Augustinus in jenem berühmten Kampf, in dem er anfangs den grössten und begabtesten Teil des Episkopats, mehr als einmal auch den Papst, gegen sich hatte, die Religion als solche rettete; denn er verteidigte den Mythus. Doch wie allein ward ihm das möglich? Nur dadurch, dass er das enge Nessusgewand angelernter jüdischer Beschränktheit über die herrlichen Schöpfungen ahnungsvoller, intuitiver, himmelwärts strebender Weisheit warf und sumero-akkadische Gleichnisse zu christlichen Dogmen umgestaltete, an deren historische Wahrheit fortan Jeder bei Todesstrafe glauben musste.1) Ich schreibe keine Geschichte der Theologie und kann diese Streit- 1) Schwer genug mag dies Augustinus gefallen sein, der doch selber früher
im 27. Kap. des fünfzehnten Buches seines De civitate Dei sich dagegen erhoben hatte, dass man das Buch der Genesis "als eine geschichtliche Wahrheit ohne alle Allegorie zu deuten versuche". Der Kampf. habe — ficht er für Wahrheit gegen Aberglauben, für Wissenschaftgegen Obskurantismus. Andererseits aber ist ihm (und seinen Ge- sinnungsgenossen) durch Aristotelismus und Hebraismus so sehr der Sinn für Poesie und Mythus abhanden gekommen, dass er selber (wie so mancher Antisemit des heutigen Tages) ein halber Jude geworden ist und das Kind mit dem Bade ausschüttet: er will von Sündenfall überhaupt nichts wissen; das alte, heilige, den Weg zur tiefsten Er- kenntnis des menschlichen Wesens weisende Bild verwirft er ganz und gar; dadurch schrumpft aber auch die Gnade zu einem nichts- sagenden Wort zusammen, und die Erlösung bleibt als ein so schatten- haftes Gedankending zurück, dass ein Anhänger des Pelagius von einer »Emanzipation des Menschen von Gott durch den freien Willen« reden durfte. Auf diesem Wege wäre man gleich wieder bei platt rationa- listischer Philosophie und beim Stoicismus angelangt, mit dem nie fehlenden Komplement krass-sinnlichen Mysteriendienstes und Aber- glaubens, eine Bewegung, die wir in den ethischen und theosophischen Gesellschaften unseres Jahrhunderts beobachten können. Kein Zweifel also, dass Augustinus in jenem berühmten Kampf, in dem er anfangs den grössten und begabtesten Teil des Episkopats, mehr als einmal auch den Papst, gegen sich hatte, die Religion als solche rettete; denn er verteidigte den Mythus. Doch wie allein ward ihm das möglich? Nur dadurch, dass er das enge Nessusgewand angelernter jüdischer Beschränktheit über die herrlichen Schöpfungen ahnungsvoller, intuitiver, himmelwärts strebender Weisheit warf und sumero-akkadische Gleichnisse zu christlichen Dogmen umgestaltete, an deren historische Wahrheit fortan Jeder bei Todesstrafe glauben musste.1) Ich schreibe keine Geschichte der Theologie und kann diese Streit- 1) Schwer genug mag dies Augustinus gefallen sein, der doch selber früher
im 27. Kap. des fünfzehnten Buches seines De civitate Dei sich dagegen erhoben hatte, dass man das Buch der Genesis »als eine geschichtliche Wahrheit ohne alle Allegorie zu deuten versuche«. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0045" n="566"/><fw place="top" type="header">Der Kampf.</fw><lb/> habe — ficht er für Wahrheit gegen Aberglauben, für Wissenschaft<lb/> gegen Obskurantismus. Andererseits aber ist ihm (und seinen Ge-<lb/> sinnungsgenossen) durch Aristotelismus und Hebraismus so sehr der<lb/> Sinn für Poesie und Mythus abhanden gekommen, dass er selber (wie<lb/> so mancher Antisemit des heutigen Tages) ein halber Jude geworden<lb/> ist und das Kind mit dem Bade ausschüttet: er will von Sündenfall<lb/> überhaupt nichts wissen; das alte, heilige, den Weg zur tiefsten Er-<lb/> kenntnis des menschlichen Wesens weisende Bild verwirft er ganz<lb/> und gar; dadurch schrumpft aber auch die Gnade zu einem nichts-<lb/> sagenden Wort zusammen, und die Erlösung bleibt als ein so schatten-<lb/> haftes Gedankending zurück, dass ein Anhänger des Pelagius von einer<lb/> »Emanzipation des Menschen von Gott durch den freien Willen« reden<lb/> durfte. Auf diesem Wege wäre man gleich wieder bei platt rationa-<lb/> listischer Philosophie und beim Stoicismus angelangt, mit dem nie<lb/> fehlenden Komplement krass-sinnlichen Mysteriendienstes und Aber-<lb/> glaubens, eine Bewegung, die wir in den ethischen und theosophischen<lb/> Gesellschaften unseres Jahrhunderts beobachten können. Kein Zweifel<lb/> also, dass Augustinus in jenem berühmten Kampf, in dem er anfangs<lb/> den grössten und begabtesten Teil des Episkopats, mehr als einmal<lb/> auch den Papst, gegen sich hatte, die Religion als solche rettete;<lb/> denn er verteidigte den Mythus. Doch wie allein ward ihm das<lb/> möglich? Nur dadurch, dass er das enge Nessusgewand angelernter<lb/> jüdischer Beschränktheit über die herrlichen Schöpfungen ahnungsvoller,<lb/> intuitiver, himmelwärts strebender Weisheit warf und sumero-akkadische<lb/> Gleichnisse zu christlichen Dogmen umgestaltete, an deren historische<lb/> Wahrheit fortan Jeder bei Todesstrafe glauben musste.<note place="foot" n="1)">Schwer genug mag dies Augustinus gefallen sein, der doch selber früher<lb/> im 27. Kap. des fünfzehnten Buches seines <hi rendition="#i">De civitate Dei</hi> sich dagegen erhoben<lb/> hatte, dass man das Buch der Genesis »als eine geschichtliche Wahrheit ohne alle<lb/> Allegorie zu deuten versuche«.</note></p><lb/> <p>Ich schreibe keine Geschichte der Theologie und kann diese Streit-<lb/> frage nicht näher untersuchen und weiter verfolgen, doch hoffe ich durch<lb/> diese fragmentarischen Andeutungen den unausbleiblichen Kampf über<lb/> den Sündenfall veranschaulicht und in seinem Wesen charakterisiert zu<lb/> haben. Jeder Gebildete weiss, dass der pelagianische Streit noch heute fort-<lb/> dauert. Indem die katholische Kirche die Bedeutung der Werke, dem<lb/> Glauben gegenüber, betonte, konnte sie nicht umhin, die Bedeutung<lb/> der Gnade ein wenig herabzusetzen; keine Sophistereien vermögen es,<lb/> diese Thatsache zu beseitigen, welche dann, weitergespiegelt, auf<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [566/0045]
Der Kampf.
habe — ficht er für Wahrheit gegen Aberglauben, für Wissenschaft
gegen Obskurantismus. Andererseits aber ist ihm (und seinen Ge-
sinnungsgenossen) durch Aristotelismus und Hebraismus so sehr der
Sinn für Poesie und Mythus abhanden gekommen, dass er selber (wie
so mancher Antisemit des heutigen Tages) ein halber Jude geworden
ist und das Kind mit dem Bade ausschüttet: er will von Sündenfall
überhaupt nichts wissen; das alte, heilige, den Weg zur tiefsten Er-
kenntnis des menschlichen Wesens weisende Bild verwirft er ganz
und gar; dadurch schrumpft aber auch die Gnade zu einem nichts-
sagenden Wort zusammen, und die Erlösung bleibt als ein so schatten-
haftes Gedankending zurück, dass ein Anhänger des Pelagius von einer
»Emanzipation des Menschen von Gott durch den freien Willen« reden
durfte. Auf diesem Wege wäre man gleich wieder bei platt rationa-
listischer Philosophie und beim Stoicismus angelangt, mit dem nie
fehlenden Komplement krass-sinnlichen Mysteriendienstes und Aber-
glaubens, eine Bewegung, die wir in den ethischen und theosophischen
Gesellschaften unseres Jahrhunderts beobachten können. Kein Zweifel
also, dass Augustinus in jenem berühmten Kampf, in dem er anfangs
den grössten und begabtesten Teil des Episkopats, mehr als einmal
auch den Papst, gegen sich hatte, die Religion als solche rettete;
denn er verteidigte den Mythus. Doch wie allein ward ihm das
möglich? Nur dadurch, dass er das enge Nessusgewand angelernter
jüdischer Beschränktheit über die herrlichen Schöpfungen ahnungsvoller,
intuitiver, himmelwärts strebender Weisheit warf und sumero-akkadische
Gleichnisse zu christlichen Dogmen umgestaltete, an deren historische
Wahrheit fortan Jeder bei Todesstrafe glauben musste. 1)
Ich schreibe keine Geschichte der Theologie und kann diese Streit-
frage nicht näher untersuchen und weiter verfolgen, doch hoffe ich durch
diese fragmentarischen Andeutungen den unausbleiblichen Kampf über
den Sündenfall veranschaulicht und in seinem Wesen charakterisiert zu
haben. Jeder Gebildete weiss, dass der pelagianische Streit noch heute fort-
dauert. Indem die katholische Kirche die Bedeutung der Werke, dem
Glauben gegenüber, betonte, konnte sie nicht umhin, die Bedeutung
der Gnade ein wenig herabzusetzen; keine Sophistereien vermögen es,
diese Thatsache zu beseitigen, welche dann, weitergespiegelt, auf
1) Schwer genug mag dies Augustinus gefallen sein, der doch selber früher
im 27. Kap. des fünfzehnten Buches seines De civitate Dei sich dagegen erhoben
hatte, dass man das Buch der Genesis »als eine geschichtliche Wahrheit ohne alle
Allegorie zu deuten versuche«.
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