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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
sprechen. Wo findet man in den heiligen Büchern der Hebräer eine
noch so leise Andeutung der Vorstellung eines dreieinigen Gottes?
Nirgends. Man beachte auch, mit welchem genialen Instinkte die
ersten Träger des christlichen Gedankens dafür sorgen, dass der "Er-
löser" in keinerlei Weise dem jüdischen Volke einverleibt werden
könne: dem Hause David's war von den Priestern ewige Dauer ver-
heissen worden (II Samuel XXIII, 5), daher die Erwartung eines Königs
aus diesem Stamme; Christus aber stammt nicht aus dem Hause David;1)
er ist auch nicht ein Sohn Jahve's, des Gottes der Juden, sondern er
ist der Sohn des kosmischen Gottes, jenes allen Ariern unter ver-
schiedenen Namen geläufigen "heiligen Geistes" -- des "Odems Odem",
wie ihn die Brihadaranyaka benennt, oder, um mit den griechischen
Vätern der christlichen Kirche zu reden, des poietes und plaster der
Welt, des "Urhebers des erhabenen Kunstwerks der Schöpfung".2)
Der Gedanke an eine Erlösung des Menschen ist den Juden von jeher
und bis auf den heutigen Tag ebenfalls vollkommen fremd, und mit
ihm zugleich (notwendigerweise) die Vorstellungen von Entartung und
Gnade. Den treffendsten Beleg liefert die Thatsache, dass, obwohl die
Juden den Mythus des Sündenfalls am Anfang ihrer heiligen Bücher
selber erzählen, sie niemals von Erbsünde etwas gewusst haben! Ich
habe schon früher Gelegenheit gehabt, hierauf hinzuweisen, und wir
wissen ja, dass Alles, was die Bibel an Mythen enthält, ohne Ausnahme
Lehngut ist, von den Verfassern des Alten Testamentes aus mytho-
logischer Vieldeutigkeit zu der engen Bedeutung einer historischen
Chronik zusammengepresst.3) Darum entwickelte sich aber auch um
diesen Mythenkreis der Erlösung ein Streit innerhalb der christlichen
Kirche, der in den ersten Jahrhunderten wild tobte und einen Kampf
auf Leben und Tod der Religion bedeutete, der aber noch heute nicht
geschlichtet ist und nie geschlichtet werden kann -- nie, so lange
zwei sich widersprechende Weltanschauungen durch hartnäckiges Un-
verständnis gezwungen werden, nebeneinander als eine und dieselbe
Religion zu bestehen. Der Jude, wie Professor Darmesteter uns ver-
sicherte (S. 399), "hat sich niemals über die Geschichte von dem Apfel
und der Schlange den Kopf zerbrochen"; für sein phantasieloses Hirn

1) Man sehe die fingierten Genealogien in Matthäus I und Lucas II, welche
beide auf Joseph -- nicht etwa auf Maria -- führen.
2) Siehe Hergenröther: Photius III, 428.
3) Siehe S. 235 u. 397 u. 410.

Der Kampf.
sprechen. Wo findet man in den heiligen Büchern der Hebräer eine
noch so leise Andeutung der Vorstellung eines dreieinigen Gottes?
Nirgends. Man beachte auch, mit welchem genialen Instinkte die
ersten Träger des christlichen Gedankens dafür sorgen, dass der »Er-
löser« in keinerlei Weise dem jüdischen Volke einverleibt werden
könne: dem Hause David’s war von den Priestern ewige Dauer ver-
heissen worden (II Samuel XXIII, 5), daher die Erwartung eines Königs
aus diesem Stamme; Christus aber stammt nicht aus dem Hause David;1)
er ist auch nicht ein Sohn Jahve’s, des Gottes der Juden, sondern er
ist der Sohn des kosmischen Gottes, jenes allen Ariern unter ver-
schiedenen Namen geläufigen »heiligen Geistes« — des »Odems Odem«,
wie ihn die Brihadâranyaka benennt, oder, um mit den griechischen
Vätern der christlichen Kirche zu reden, des poietes und plaster der
Welt, des »Urhebers des erhabenen Kunstwerks der Schöpfung«.2)
Der Gedanke an eine Erlösung des Menschen ist den Juden von jeher
und bis auf den heutigen Tag ebenfalls vollkommen fremd, und mit
ihm zugleich (notwendigerweise) die Vorstellungen von Entartung und
Gnade. Den treffendsten Beleg liefert die Thatsache, dass, obwohl die
Juden den Mythus des Sündenfalls am Anfang ihrer heiligen Bücher
selber erzählen, sie niemals von Erbsünde etwas gewusst haben! Ich
habe schon früher Gelegenheit gehabt, hierauf hinzuweisen, und wir
wissen ja, dass Alles, was die Bibel an Mythen enthält, ohne Ausnahme
Lehngut ist, von den Verfassern des Alten Testamentes aus mytho-
logischer Vieldeutigkeit zu der engen Bedeutung einer historischen
Chronik zusammengepresst.3) Darum entwickelte sich aber auch um
diesen Mythenkreis der Erlösung ein Streit innerhalb der christlichen
Kirche, der in den ersten Jahrhunderten wild tobte und einen Kampf
auf Leben und Tod der Religion bedeutete, der aber noch heute nicht
geschlichtet ist und nie geschlichtet werden kann — nie, so lange
zwei sich widersprechende Weltanschauungen durch hartnäckiges Un-
verständnis gezwungen werden, nebeneinander als eine und dieselbe
Religion zu bestehen. Der Jude, wie Professor Darmesteter uns ver-
sicherte (S. 399), »hat sich niemals über die Geschichte von dem Apfel
und der Schlange den Kopf zerbrochen«; für sein phantasieloses Hirn

1) Man sehe die fingierten Genealogien in Matthäus I und Lucas II, welche
beide auf Joseph — nicht etwa auf Maria — führen.
2) Siehe Hergenröther: Photius III, 428.
3) Siehe S. 235 u. 397 u. 410.
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[564/0043] Der Kampf. sprechen. Wo findet man in den heiligen Büchern der Hebräer eine noch so leise Andeutung der Vorstellung eines dreieinigen Gottes? Nirgends. Man beachte auch, mit welchem genialen Instinkte die ersten Träger des christlichen Gedankens dafür sorgen, dass der »Er- löser« in keinerlei Weise dem jüdischen Volke einverleibt werden könne: dem Hause David’s war von den Priestern ewige Dauer ver- heissen worden (II Samuel XXIII, 5), daher die Erwartung eines Königs aus diesem Stamme; Christus aber stammt nicht aus dem Hause David; 1) er ist auch nicht ein Sohn Jahve’s, des Gottes der Juden, sondern er ist der Sohn des kosmischen Gottes, jenes allen Ariern unter ver- schiedenen Namen geläufigen »heiligen Geistes« — des »Odems Odem«, wie ihn die Brihadâranyaka benennt, oder, um mit den griechischen Vätern der christlichen Kirche zu reden, des poietes und plaster der Welt, des »Urhebers des erhabenen Kunstwerks der Schöpfung«. 2) Der Gedanke an eine Erlösung des Menschen ist den Juden von jeher und bis auf den heutigen Tag ebenfalls vollkommen fremd, und mit ihm zugleich (notwendigerweise) die Vorstellungen von Entartung und Gnade. Den treffendsten Beleg liefert die Thatsache, dass, obwohl die Juden den Mythus des Sündenfalls am Anfang ihrer heiligen Bücher selber erzählen, sie niemals von Erbsünde etwas gewusst haben! Ich habe schon früher Gelegenheit gehabt, hierauf hinzuweisen, und wir wissen ja, dass Alles, was die Bibel an Mythen enthält, ohne Ausnahme Lehngut ist, von den Verfassern des Alten Testamentes aus mytho- logischer Vieldeutigkeit zu der engen Bedeutung einer historischen Chronik zusammengepresst. 3) Darum entwickelte sich aber auch um diesen Mythenkreis der Erlösung ein Streit innerhalb der christlichen Kirche, der in den ersten Jahrhunderten wild tobte und einen Kampf auf Leben und Tod der Religion bedeutete, der aber noch heute nicht geschlichtet ist und nie geschlichtet werden kann — nie, so lange zwei sich widersprechende Weltanschauungen durch hartnäckiges Un- verständnis gezwungen werden, nebeneinander als eine und dieselbe Religion zu bestehen. Der Jude, wie Professor Darmesteter uns ver- sicherte (S. 399), »hat sich niemals über die Geschichte von dem Apfel und der Schlange den Kopf zerbrochen«; für sein phantasieloses Hirn 1) Man sehe die fingierten Genealogien in Matthäus I und Lucas II, welche beide auf Joseph — nicht etwa auf Maria — führen. 2) Siehe Hergenröther: Photius III, 428. 3) Siehe S. 235 u. 397 u. 410.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/43>, abgerufen am 28.03.2024.