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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Politik und Kirche.
so dass wir das paradoxe Schauspiel erleben, die Hugenotten im Bunde
mit den ultramontanen Spaniern, und ihren Gegner, den Kardinal
Richelieu, im Bunde mit dem Protagonisten des Protestantismus, Gustav
Adolf zu sehen. Nun ist aber erfahrungsgemäss ein starkes Königtum
überall, auch in katholischen Ländern, das mächtigste Bollwerk gegen
römische Politik; ausserdem bedeutet es (wie wir im vorigen Ab-
schnitt gesehen haben) den sichersten Weg zur Erreichung weit-
gehender individueller Freiheit auf Grundlage festgeordneter Verhält-
nisse. So stand denn diese Sache auf schlechten Füssen. Noch
schlimmer erging es aber mit ihr, als die Hugenotten sich endgültig
unterworfen hatten und -- jede politische Hoffnung aufgebend -- ledig-
lich als religiöse Sekte zurückgeblieben waren; denn nun wurden sie
hingeschlachtet und vertrieben. Die Zahl der Ausgewanderten (der Er-
mordeten gar nicht zu gedenken) wird auf über eine Million geschätzt.
Man denke nur, was aus einer Million Menschen heute -- in einer
Zwischenzeit von zweihundert Jahren -- für eine Macht herangewachsen
wäre! Und es waren die Besten des Landes. Überall wohin sie kamen,
haben sie Fleiss, Bildung, Reichtum, sittliche Kraft, Hochthaten des
Geistes gebracht. Frankreich hat den Verlust dieses Kernes seiner Be-
völkerung seither nie verwunden. Nunmehr war es dem Völkerchaos
und (bald darauf) dem Judentum ausgeliefert. Heute weiss man ganz
genau, dass die Vernichtung und Vertreibung der Protestanten das Werk
nicht des Königs sondern der Jesuiten war; La Chaise ist der wirkliche
Urheber und Durchführer der Hugenottenausrottung. Die Franzosen
besassen früher ebensowenig wie andere Germanen eine Neigung zur
Unduldsamkeit; ihr grosser Rechtslehrer Jean Bodin, einer der Be-
gründer des modernen Staates, hatte im 16. Jahrhundert, obwohl selber
Katholik, die unbeschränkte religiöse Toleranz und die Abweisung aller
römischen Ingerenz gefordert. Inzwischen hatte sich aber der nationalitäts-
lose Jesuit -- die "Leiche" in der Hand seiner Oberen (S. 528) -- bis
an den Thron hinaufgeschlichen; mit der Grausamkeit und Sicherheit
und Dummheit einer Bestie vertilgte er das Edelste im Lande. Und
nachdem La Chaise gestorben und die Hugenotten ausgetilgt waren,
kam ein anderer Jesuit, Le Tellier, daran und wusste den wollüstigen,
von seinen jesuitischen Lehrern in krassester Ignoranz erzogenen König
durch die Furcht vor der Hölle so ganz in seine Hände zu bekommen,
dass sein Orden nunmehr zu dem nächsten Kampf im Interesse Rom's,
nämlich zur Vernichtung jeder wahrhaften, auch katholischen
Religiosität schreiten konnte; es war dies der Kampf gegen den

Politik und Kirche.
so dass wir das paradoxe Schauspiel erleben, die Hugenotten im Bunde
mit den ultramontanen Spaniern, und ihren Gegner, den Kardinal
Richelieu, im Bunde mit dem Protagonisten des Protestantismus, Gustav
Adolf zu sehen. Nun ist aber erfahrungsgemäss ein starkes Königtum
überall, auch in katholischen Ländern, das mächtigste Bollwerk gegen
römische Politik; ausserdem bedeutet es (wie wir im vorigen Ab-
schnitt gesehen haben) den sichersten Weg zur Erreichung weit-
gehender individueller Freiheit auf Grundlage festgeordneter Verhält-
nisse. So stand denn diese Sache auf schlechten Füssen. Noch
schlimmer erging es aber mit ihr, als die Hugenotten sich endgültig
unterworfen hatten und — jede politische Hoffnung aufgebend — ledig-
lich als religiöse Sekte zurückgeblieben waren; denn nun wurden sie
hingeschlachtet und vertrieben. Die Zahl der Ausgewanderten (der Er-
mordeten gar nicht zu gedenken) wird auf über eine Million geschätzt.
Man denke nur, was aus einer Million Menschen heute — in einer
Zwischenzeit von zweihundert Jahren — für eine Macht herangewachsen
wäre! Und es waren die Besten des Landes. Überall wohin sie kamen,
haben sie Fleiss, Bildung, Reichtum, sittliche Kraft, Hochthaten des
Geistes gebracht. Frankreich hat den Verlust dieses Kernes seiner Be-
völkerung seither nie verwunden. Nunmehr war es dem Völkerchaos
und (bald darauf) dem Judentum ausgeliefert. Heute weiss man ganz
genau, dass die Vernichtung und Vertreibung der Protestanten das Werk
nicht des Königs sondern der Jesuiten war; La Chaise ist der wirkliche
Urheber und Durchführer der Hugenottenausrottung. Die Franzosen
besassen früher ebensowenig wie andere Germanen eine Neigung zur
Unduldsamkeit; ihr grosser Rechtslehrer Jean Bodin, einer der Be-
gründer des modernen Staates, hatte im 16. Jahrhundert, obwohl selber
Katholik, die unbeschränkte religiöse Toleranz und die Abweisung aller
römischen Ingerenz gefordert. Inzwischen hatte sich aber der nationalitäts-
lose Jesuit — die »Leiche« in der Hand seiner Oberen (S. 528) — bis
an den Thron hinaufgeschlichen; mit der Grausamkeit und Sicherheit
und Dummheit einer Bestie vertilgte er das Edelste im Lande. Und
nachdem La Chaise gestorben und die Hugenotten ausgetilgt waren,
kam ein anderer Jesuit, Le Tellier, daran und wusste den wollüstigen,
von seinen jesuitischen Lehrern in krassester Ignoranz erzogenen König
durch die Furcht vor der Hölle so ganz in seine Hände zu bekommen,
dass sein Orden nunmehr zu dem nächsten Kampf im Interesse Rom’s,
nämlich zur Vernichtung jeder wahrhaften, auch katholischen
Religiosität schreiten konnte; es war dies der Kampf gegen den

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[849/0328] Politik und Kirche. so dass wir das paradoxe Schauspiel erleben, die Hugenotten im Bunde mit den ultramontanen Spaniern, und ihren Gegner, den Kardinal Richelieu, im Bunde mit dem Protagonisten des Protestantismus, Gustav Adolf zu sehen. Nun ist aber erfahrungsgemäss ein starkes Königtum überall, auch in katholischen Ländern, das mächtigste Bollwerk gegen römische Politik; ausserdem bedeutet es (wie wir im vorigen Ab- schnitt gesehen haben) den sichersten Weg zur Erreichung weit- gehender individueller Freiheit auf Grundlage festgeordneter Verhält- nisse. So stand denn diese Sache auf schlechten Füssen. Noch schlimmer erging es aber mit ihr, als die Hugenotten sich endgültig unterworfen hatten und — jede politische Hoffnung aufgebend — ledig- lich als religiöse Sekte zurückgeblieben waren; denn nun wurden sie hingeschlachtet und vertrieben. Die Zahl der Ausgewanderten (der Er- mordeten gar nicht zu gedenken) wird auf über eine Million geschätzt. Man denke nur, was aus einer Million Menschen heute — in einer Zwischenzeit von zweihundert Jahren — für eine Macht herangewachsen wäre! Und es waren die Besten des Landes. Überall wohin sie kamen, haben sie Fleiss, Bildung, Reichtum, sittliche Kraft, Hochthaten des Geistes gebracht. Frankreich hat den Verlust dieses Kernes seiner Be- völkerung seither nie verwunden. Nunmehr war es dem Völkerchaos und (bald darauf) dem Judentum ausgeliefert. Heute weiss man ganz genau, dass die Vernichtung und Vertreibung der Protestanten das Werk nicht des Königs sondern der Jesuiten war; La Chaise ist der wirkliche Urheber und Durchführer der Hugenottenausrottung. Die Franzosen besassen früher ebensowenig wie andere Germanen eine Neigung zur Unduldsamkeit; ihr grosser Rechtslehrer Jean Bodin, einer der Be- gründer des modernen Staates, hatte im 16. Jahrhundert, obwohl selber Katholik, die unbeschränkte religiöse Toleranz und die Abweisung aller römischen Ingerenz gefordert. Inzwischen hatte sich aber der nationalitäts- lose Jesuit — die »Leiche« in der Hand seiner Oberen (S. 528) — bis an den Thron hinaufgeschlichen; mit der Grausamkeit und Sicherheit und Dummheit einer Bestie vertilgte er das Edelste im Lande. Und nachdem La Chaise gestorben und die Hugenotten ausgetilgt waren, kam ein anderer Jesuit, Le Tellier, daran und wusste den wollüstigen, von seinen jesuitischen Lehrern in krassester Ignoranz erzogenen König durch die Furcht vor der Hölle so ganz in seine Hände zu bekommen, dass sein Orden nunmehr zu dem nächsten Kampf im Interesse Rom’s, nämlich zur Vernichtung jeder wahrhaften, auch katholischen Religiosität schreiten konnte; es war dies der Kampf gegen den

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 849. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/328>, abgerufen am 25.11.2024.