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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.
krafttreten des Kampfes ist eine Thatsache von absolut unvergleich-
licher Grossartigkeit; Worte reichen nicht aus, um eine derartige
Wendung zu preisen". Dieser paradiesische Frieden ist nun das Ziel
des Fortschrittes, ja, er ist der Fortschritt selber. Fiske, der ein sehr
gescheiter Mann ist, empfindet nämlich mit Recht, dass bisher Niemand
gewusst hat, was er sich unter diesem talismanischen Worte "Fort-
schritt" denken solle; jetzt wissen wir es. "Endlich", sagt Fiske,
"endlich ist uns klar geworden, was Fortschritt der Menschheit be-
deutet". Da muss ich aber sehr bitten! Was soll denn aus unserer
so sauer und redlich verdienten Seele werden? Uns wurde soeben
gelehrt, der Kampf ums Dasein habe die Seele "erzeugt": wird sie
denn hinfürder ohne Ursache entstehen? Und gesetzt den Fall, das
Steckenpferd der Erblichkeit nähme sie auf seinen cheirontisch gast-
lichen Rücken und führte sie eine Strecke weiter, würde nicht nach
orthodoxer darwinistischer Lehre das Aufhören des Kampfes zur Ent-
artung des durch ihn Erzeugten führen,1) so dass unsere Seele, als
blosses "rudimentary organ" (dem vielgenannten menschlichen Schwanz-
ansatz vergleichbar) für künftige Micromegas in ihrer Zwecklosigkeit
lediglich ein Gegenstand des Staunens sein könnte? Und warum denn,
wenn der Kampf schon so Herrliches hervorgebracht hat, warum soll
er jetzt aufhören? Doch nicht etwa aus blasser, blutscheuer Senti-
mentalität? "Den Tod in der Schlacht", sagte Korporal Trim -- und
dabei schlug er ein Schnippchen -- "den Tod in der Schlacht fürchte
ich nicht so viel! sonst aber würde ich mich in jede Ritze vor ihm
verstecken." Und ist es auch unter Professor Fiske's Führung "ein
Ergötzen, zu schauen, wie wir's zuletzt so herrlich weit gebracht",
ich kann mir viel Herrlicheres denken und erhoffen, als was die Gegen-
wart bietet, und werde darum nimmer zugeben, dass das Aufhören
des Kampfes einen Fortschritt bedeuten würde; gerade hier hat die
Evolutionshypothese eine Wahrheit -- die Bedeutung des Kampfes --
zufällig erwischt, es wäre wirklich unvernünftig, sie preiszugeben, bloss
damit "was Fortschritt der Menschheit bedeutet, endlich klar werde".

Zu Grunde liegt hier, wie gesagt, der Mangel einer sehr einfachen
und nötigen philosophischen Einsicht: Fortschritt und Entartung können
nur von einem Individuellen, niemals von einem Allgemeinen prädiziert
werden. Um von einem Fortschritt der Menschheit reden zu können,
müssten wir die gesamte Erscheinung des Menschen auf Erden aus so

1) Origin, ch. XIV, Animals and Plants, ch. XXIV.

Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.
krafttreten des Kampfes ist eine Thatsache von absolut unvergleich-
licher Grossartigkeit; Worte reichen nicht aus, um eine derartige
Wendung zu preisen«. Dieser paradiesische Frieden ist nun das Ziel
des Fortschrittes, ja, er ist der Fortschritt selber. Fiske, der ein sehr
gescheiter Mann ist, empfindet nämlich mit Recht, dass bisher Niemand
gewusst hat, was er sich unter diesem talismanischen Worte »Fort-
schritt« denken solle; jetzt wissen wir es. »Endlich«, sagt Fiske,
»endlich ist uns klar geworden, was Fortschritt der Menschheit be-
deutet«. Da muss ich aber sehr bitten! Was soll denn aus unserer
so sauer und redlich verdienten Seele werden? Uns wurde soeben
gelehrt, der Kampf ums Dasein habe die Seele »erzeugt«: wird sie
denn hinfürder ohne Ursache entstehen? Und gesetzt den Fall, das
Steckenpferd der Erblichkeit nähme sie auf seinen cheirontisch gast-
lichen Rücken und führte sie eine Strecke weiter, würde nicht nach
orthodoxer darwinistischer Lehre das Aufhören des Kampfes zur Ent-
artung des durch ihn Erzeugten führen,1) so dass unsere Seele, als
blosses »rudimentary organ« (dem vielgenannten menschlichen Schwanz-
ansatz vergleichbar) für künftige Micromègas in ihrer Zwecklosigkeit
lediglich ein Gegenstand des Staunens sein könnte? Und warum denn,
wenn der Kampf schon so Herrliches hervorgebracht hat, warum soll
er jetzt aufhören? Doch nicht etwa aus blasser, blutscheuer Senti-
mentalität? »Den Tod in der Schlacht«, sagte Korporal Trim — und
dabei schlug er ein Schnippchen — »den Tod in der Schlacht fürchte
ich nicht so viel! sonst aber würde ich mich in jede Ritze vor ihm
verstecken.« Und ist es auch unter Professor Fiske’s Führung »ein
Ergötzen, zu schauen, wie wir’s zuletzt so herrlich weit gebracht«,
ich kann mir viel Herrlicheres denken und erhoffen, als was die Gegen-
wart bietet, und werde darum nimmer zugeben, dass das Aufhören
des Kampfes einen Fortschritt bedeuten würde; gerade hier hat die
Evolutionshypothese eine Wahrheit — die Bedeutung des Kampfes —
zufällig erwischt, es wäre wirklich unvernünftig, sie preiszugeben, bloss
damit »was Fortschritt der Menschheit bedeutet, endlich klar werde«.

Zu Grunde liegt hier, wie gesagt, der Mangel einer sehr einfachen
und nötigen philosophischen Einsicht: Fortschritt und Entartung können
nur von einem Individuellen, niemals von einem Allgemeinen prädiziert
werden. Um von einem Fortschritt der Menschheit reden zu können,
müssten wir die gesamte Erscheinung des Menschen auf Erden aus so

1) Origin, ch. XIV, Animals and Plants, ch. XXIV.
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[717/0196] Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur. krafttreten des Kampfes ist eine Thatsache von absolut unvergleich- licher Grossartigkeit; Worte reichen nicht aus, um eine derartige Wendung zu preisen«. Dieser paradiesische Frieden ist nun das Ziel des Fortschrittes, ja, er ist der Fortschritt selber. Fiske, der ein sehr gescheiter Mann ist, empfindet nämlich mit Recht, dass bisher Niemand gewusst hat, was er sich unter diesem talismanischen Worte »Fort- schritt« denken solle; jetzt wissen wir es. »Endlich«, sagt Fiske, »endlich ist uns klar geworden, was Fortschritt der Menschheit be- deutet«. Da muss ich aber sehr bitten! Was soll denn aus unserer so sauer und redlich verdienten Seele werden? Uns wurde soeben gelehrt, der Kampf ums Dasein habe die Seele »erzeugt«: wird sie denn hinfürder ohne Ursache entstehen? Und gesetzt den Fall, das Steckenpferd der Erblichkeit nähme sie auf seinen cheirontisch gast- lichen Rücken und führte sie eine Strecke weiter, würde nicht nach orthodoxer darwinistischer Lehre das Aufhören des Kampfes zur Ent- artung des durch ihn Erzeugten führen, 1) so dass unsere Seele, als blosses »rudimentary organ« (dem vielgenannten menschlichen Schwanz- ansatz vergleichbar) für künftige Micromègas in ihrer Zwecklosigkeit lediglich ein Gegenstand des Staunens sein könnte? Und warum denn, wenn der Kampf schon so Herrliches hervorgebracht hat, warum soll er jetzt aufhören? Doch nicht etwa aus blasser, blutscheuer Senti- mentalität? »Den Tod in der Schlacht«, sagte Korporal Trim — und dabei schlug er ein Schnippchen — »den Tod in der Schlacht fürchte ich nicht so viel! sonst aber würde ich mich in jede Ritze vor ihm verstecken.« Und ist es auch unter Professor Fiske’s Führung »ein Ergötzen, zu schauen, wie wir’s zuletzt so herrlich weit gebracht«, ich kann mir viel Herrlicheres denken und erhoffen, als was die Gegen- wart bietet, und werde darum nimmer zugeben, dass das Aufhören des Kampfes einen Fortschritt bedeuten würde; gerade hier hat die Evolutionshypothese eine Wahrheit — die Bedeutung des Kampfes — zufällig erwischt, es wäre wirklich unvernünftig, sie preiszugeben, bloss damit »was Fortschritt der Menschheit bedeutet, endlich klar werde«. Zu Grunde liegt hier, wie gesagt, der Mangel einer sehr einfachen und nötigen philosophischen Einsicht: Fortschritt und Entartung können nur von einem Individuellen, niemals von einem Allgemeinen prädiziert werden. Um von einem Fortschritt der Menschheit reden zu können, müssten wir die gesamte Erscheinung des Menschen auf Erden aus so 1) Origin, ch. XIV, Animals and Plants, ch. XXIV.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 717. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/196>, abgerufen am 22.11.2024.