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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
Geschichte eine bisher unbekannte Menschenrasse auftrat, gleich
schöpferisch und individualistisch (folglich von Natur staatenbildend)
wie die Hellenen und die Römer, dabei im Besitz einer bedeutend
breiteren, zeugungsfähigeren und darum auch plastischeren, vielgestal-
tigen Masse: die Germanen.

Die politische Situation während des ersten Jahrtausends von
Konstantin an gerechnet ist also, trotz des unübersehbaren Wirrsals
der Geschehnisse, durchaus deutlich, deutlicher vielleicht als die heutige.
Auf der einen Seite die bewusste, wohl durchdachte, aus Erfahrung
und aus vorhandenen Verhältnissen entlehnte Vorstellung einer im-
perial-hieratischen, unnationalen Universalmonarchie, auf Gottes
Gebot von den römischen Heiden (unbewusst) vorbereitet,1) nunmehr
in ihrer Göttlichkeit offenbart und daher allumfassend, allgewaltig,
unfehlbar, ewig, -- auf der anderen Seite die naturnotwendige, durch
Rasseninstinkt geforderte Bildung von Nationen seitens der germa-
nischen und der mit Germanen in meinem weiteren Sinne (siehe
Kap. 6) stark vermischten Völker, zugleich eine unüberwindliche Ab-
neigung ihrerseits gegen alles Beharrende, die stürmische Auflehnung
gegen jede Beschränkung der Persönlichkeit. Der Widerspruch war
flagrant, der Kampf unausbleiblich.

Das ist kein willkürliches Generalisieren; im Gegenteil: nur wenn
man die anscheinenden Willkürlichkeiten aller Geschichte so liebevoll auf-
merksam betrachtet wie der Physiograph das von ihm sorgfältig polierte
Gestein, nur dann wird die Chronik der Weltbegebenheiten durch-
sichtig, und was das Auge nunmehr erblickt, ist nicht etwas Zu-
fälliges, sondern das zu Grunde Liegende, gerade das einzige nicht
Zufällige, die bleibende Ursache notwendiger, doch bunter, unberechen-
barer Ereignisse. Dergleichen Ursachen erzwingen nämlich bestimmte
Wirkungen. Wo weithin blickendes Bewusstsein vorhanden ist,
wie z. B. (für den Universalismus) bei Karl dem Grossen und Gregor VII.,
oder andrerseits (für den Nationalismus) bei König Alfred und Walther
von der Vogelweide, da gewinnt die notwendige Gestaltung der Ge-
schichte bestimmtere, leichter erkennbare Umrisse; doch war es durch-
aus nicht nötig, dass jeder Vertreter der römischen Idee oder des
Prinzips der Nationalitäten klare Begriffe über Art und Umfang dieser
Gedanken besass. Die römische Idee war zwingend genug, war eine
unabänderliche Thatsache, nach welcher jeder Kaiser und jeder Papst,

1) Augustinus: De civitate Dei V, 21, etc.

Der Kampf.
Geschichte eine bisher unbekannte Menschenrasse auftrat, gleich
schöpferisch und individualistisch (folglich von Natur staatenbildend)
wie die Hellenen und die Römer, dabei im Besitz einer bedeutend
breiteren, zeugungsfähigeren und darum auch plastischeren, vielgestal-
tigen Masse: die Germanen.

Die politische Situation während des ersten Jahrtausends von
Konstantin an gerechnet ist also, trotz des unübersehbaren Wirrsals
der Geschehnisse, durchaus deutlich, deutlicher vielleicht als die heutige.
Auf der einen Seite die bewusste, wohl durchdachte, aus Erfahrung
und aus vorhandenen Verhältnissen entlehnte Vorstellung einer im-
perial-hieratischen, unnationalen Universalmonarchie, auf Gottes
Gebot von den römischen Heiden (unbewusst) vorbereitet,1) nunmehr
in ihrer Göttlichkeit offenbart und daher allumfassend, allgewaltig,
unfehlbar, ewig, — auf der anderen Seite die naturnotwendige, durch
Rasseninstinkt geforderte Bildung von Nationen seitens der germa-
nischen und der mit Germanen in meinem weiteren Sinne (siehe
Kap. 6) stark vermischten Völker, zugleich eine unüberwindliche Ab-
neigung ihrerseits gegen alles Beharrende, die stürmische Auflehnung
gegen jede Beschränkung der Persönlichkeit. Der Widerspruch war
flagrant, der Kampf unausbleiblich.

Das ist kein willkürliches Generalisieren; im Gegenteil: nur wenn
man die anscheinenden Willkürlichkeiten aller Geschichte so liebevoll auf-
merksam betrachtet wie der Physiograph das von ihm sorgfältig polierte
Gestein, nur dann wird die Chronik der Weltbegebenheiten durch-
sichtig, und was das Auge nunmehr erblickt, ist nicht etwas Zu-
fälliges, sondern das zu Grunde Liegende, gerade das einzige nicht
Zufällige, die bleibende Ursache notwendiger, doch bunter, unberechen-
barer Ereignisse. Dergleichen Ursachen erzwingen nämlich bestimmte
Wirkungen. Wo weithin blickendes Bewusstsein vorhanden ist,
wie z. B. (für den Universalismus) bei Karl dem Grossen und Gregor VII.,
oder andrerseits (für den Nationalismus) bei König Alfred und Walther
von der Vogelweide, da gewinnt die notwendige Gestaltung der Ge-
schichte bestimmtere, leichter erkennbare Umrisse; doch war es durch-
aus nicht nötig, dass jeder Vertreter der römischen Idee oder des
Prinzips der Nationalitäten klare Begriffe über Art und Umfang dieser
Gedanken besass. Die römische Idee war zwingend genug, war eine
unabänderliche Thatsache, nach welcher jeder Kaiser und jeder Papst,

1) Augustinus: De civitate Dei V, 21, etc.
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[660/0139] Der Kampf. Geschichte eine bisher unbekannte Menschenrasse auftrat, gleich schöpferisch und individualistisch (folglich von Natur staatenbildend) wie die Hellenen und die Römer, dabei im Besitz einer bedeutend breiteren, zeugungsfähigeren und darum auch plastischeren, vielgestal- tigen Masse: die Germanen. Die politische Situation während des ersten Jahrtausends von Konstantin an gerechnet ist also, trotz des unübersehbaren Wirrsals der Geschehnisse, durchaus deutlich, deutlicher vielleicht als die heutige. Auf der einen Seite die bewusste, wohl durchdachte, aus Erfahrung und aus vorhandenen Verhältnissen entlehnte Vorstellung einer im- perial-hieratischen, unnationalen Universalmonarchie, auf Gottes Gebot von den römischen Heiden (unbewusst) vorbereitet, 1) nunmehr in ihrer Göttlichkeit offenbart und daher allumfassend, allgewaltig, unfehlbar, ewig, — auf der anderen Seite die naturnotwendige, durch Rasseninstinkt geforderte Bildung von Nationen seitens der germa- nischen und der mit Germanen in meinem weiteren Sinne (siehe Kap. 6) stark vermischten Völker, zugleich eine unüberwindliche Ab- neigung ihrerseits gegen alles Beharrende, die stürmische Auflehnung gegen jede Beschränkung der Persönlichkeit. Der Widerspruch war flagrant, der Kampf unausbleiblich. Das ist kein willkürliches Generalisieren; im Gegenteil: nur wenn man die anscheinenden Willkürlichkeiten aller Geschichte so liebevoll auf- merksam betrachtet wie der Physiograph das von ihm sorgfältig polierte Gestein, nur dann wird die Chronik der Weltbegebenheiten durch- sichtig, und was das Auge nunmehr erblickt, ist nicht etwas Zu- fälliges, sondern das zu Grunde Liegende, gerade das einzige nicht Zufällige, die bleibende Ursache notwendiger, doch bunter, unberechen- barer Ereignisse. Dergleichen Ursachen erzwingen nämlich bestimmte Wirkungen. Wo weithin blickendes Bewusstsein vorhanden ist, wie z. B. (für den Universalismus) bei Karl dem Grossen und Gregor VII., oder andrerseits (für den Nationalismus) bei König Alfred und Walther von der Vogelweide, da gewinnt die notwendige Gestaltung der Ge- schichte bestimmtere, leichter erkennbare Umrisse; doch war es durch- aus nicht nötig, dass jeder Vertreter der römischen Idee oder des Prinzips der Nationalitäten klare Begriffe über Art und Umfang dieser Gedanken besass. Die römische Idee war zwingend genug, war eine unabänderliche Thatsache, nach welcher jeder Kaiser und jeder Papst, 1) Augustinus: De civitate Dei V, 21, etc.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 660. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/139>, abgerufen am 22.11.2024.