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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Religion.
Hauptzügen richtiges und lebhaft gefärbtes Bild des Kampfes im frühen
Christentum, bis zum Jahre 1215, vorschwebt. Was später kam --
die Reformation und Gegenreformation -- ist viel weniger wichtig in
rein religiöser Beziehung, viel mehr mit Politik durchsetzt und von
Politik beherrscht, ausserdem bleibt es rätselhaft, wenn die Kenntnis
des Vorangegangenen fehlt. Diesem Bedürfnis habe ich in dem vor-
liegenden Kapitel zu entsprechen versucht.



Sollte man der obigen Darstellung Parteilichkeit vorwerfen, soOratio
pro domo.

würde ich erwidern, dass mir die wünschenswerte Gabe der Lüge nicht
zuteil wurde. Was hat die Welt von "objektiven" Phrasen? Auch
der Gegner weiss aufrichtige Offenheit zu preisen. Gilt es die höchsten
Güter des Herzens, so ziehe ich lieber, wie die alten Germanen, nackend
in die Schlacht, mit der Gesinnung, die Gott mir gegeben hat, als
angethan mit der kunstvollen Rüstung einer Wissenschaft, die gerade
hier nichts beweist, oder gar in die Toga einer leeren, alles aus-
gleichenden Rhetorik gehüllt.

Nichts liegt mir ferner, als die Einzelnen mit ihren Kirchen zu
identifizieren. Unsere heutigen Kirchen einen und trennen nach wesent-
lich äusserlichen Merkmalen. Lese ich die Memorials des Kardinal
Manning, und sehe ihn den Jesuitenorden den Krebsschaden des
Katholizismus nennen, höre ich ihn die gerade in unseren Tagen so
eifrig betriebene Ausbildung des Sakramentes zu einem förmlichen
Götzendienste heftig beklagen, die Kirche deswegen eine "Krämerbude"
und einen "Wechslermarkt" schelten, sehe ich ihn eifrig für die Ver-
breitung der Bibel wirken und öffentlich gegen die römische Tendenz,
sie zu unterdrücken (die er als vorherrschend zugiebt) ankämpfen,
oder nehme ich wieder solche vortreffliche, echt germanische Schriften
zur Hand, wie Prof. Schell's: Der Katholizismus als Prinzip des
Fortschrittes,
so empfinde ich lebhaft, dass ein einziger göttlicher
Sturmwind genügen würde, um das verhängnisvolle Gaukelspiel an-
geerbter Wahnvorstellungen aus der Steinzeit hinwegzufegen, die Ver-
blendungen des verfallenen Mestizenimperiums wie Nebelhüllen zu
zerstreuen und uns Germanen alle -- gerade in der Religion und
durch die Religion -- in Blutbrüderschaft zu einen.

Ausserdem blieb ja in meiner Schilderung eingestandenermassen
der Mittelpunkt alles Christentums -- die Gestalt des Gekreuzigten --
unberührt. Und gerade sie ist das Einigende, das, was uns alle an-

Religion.
Hauptzügen richtiges und lebhaft gefärbtes Bild des Kampfes im frühen
Christentum, bis zum Jahre 1215, vorschwebt. Was später kam —
die Reformation und Gegenreformation — ist viel weniger wichtig in
rein religiöser Beziehung, viel mehr mit Politik durchsetzt und von
Politik beherrscht, ausserdem bleibt es rätselhaft, wenn die Kenntnis
des Vorangegangenen fehlt. Diesem Bedürfnis habe ich in dem vor-
liegenden Kapitel zu entsprechen versucht.



Sollte man der obigen Darstellung Parteilichkeit vorwerfen, soOratio
pro domo.

würde ich erwidern, dass mir die wünschenswerte Gabe der Lüge nicht
zuteil wurde. Was hat die Welt von »objektiven« Phrasen? Auch
der Gegner weiss aufrichtige Offenheit zu preisen. Gilt es die höchsten
Güter des Herzens, so ziehe ich lieber, wie die alten Germanen, nackend
in die Schlacht, mit der Gesinnung, die Gott mir gegeben hat, als
angethan mit der kunstvollen Rüstung einer Wissenschaft, die gerade
hier nichts beweist, oder gar in die Toga einer leeren, alles aus-
gleichenden Rhetorik gehüllt.

Nichts liegt mir ferner, als die Einzelnen mit ihren Kirchen zu
identifizieren. Unsere heutigen Kirchen einen und trennen nach wesent-
lich äusserlichen Merkmalen. Lese ich die Memorials des Kardinal
Manning, und sehe ihn den Jesuitenorden den Krebsschaden des
Katholizismus nennen, höre ich ihn die gerade in unseren Tagen so
eifrig betriebene Ausbildung des Sakramentes zu einem förmlichen
Götzendienste heftig beklagen, die Kirche deswegen eine »Krämerbude«
und einen »Wechslermarkt« schelten, sehe ich ihn eifrig für die Ver-
breitung der Bibel wirken und öffentlich gegen die römische Tendenz,
sie zu unterdrücken (die er als vorherrschend zugiebt) ankämpfen,
oder nehme ich wieder solche vortreffliche, echt germanische Schriften
zur Hand, wie Prof. Schell’s: Der Katholizismus als Prinzip des
Fortschrittes,
so empfinde ich lebhaft, dass ein einziger göttlicher
Sturmwind genügen würde, um das verhängnisvolle Gaukelspiel an-
geerbter Wahnvorstellungen aus der Steinzeit hinwegzufegen, die Ver-
blendungen des verfallenen Mestizenimperiums wie Nebelhüllen zu
zerstreuen und uns Germanen alle — gerade in der Religion und
durch die Religion — in Blutbrüderschaft zu einen.

Ausserdem blieb ja in meiner Schilderung eingestandenermassen
der Mittelpunkt alles Christentums — die Gestalt des Gekreuzigten —
unberührt. Und gerade sie ist das Einigende, das, was uns alle an-

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[647/0126] Religion. Hauptzügen richtiges und lebhaft gefärbtes Bild des Kampfes im frühen Christentum, bis zum Jahre 1215, vorschwebt. Was später kam — die Reformation und Gegenreformation — ist viel weniger wichtig in rein religiöser Beziehung, viel mehr mit Politik durchsetzt und von Politik beherrscht, ausserdem bleibt es rätselhaft, wenn die Kenntnis des Vorangegangenen fehlt. Diesem Bedürfnis habe ich in dem vor- liegenden Kapitel zu entsprechen versucht. Sollte man der obigen Darstellung Parteilichkeit vorwerfen, so würde ich erwidern, dass mir die wünschenswerte Gabe der Lüge nicht zuteil wurde. Was hat die Welt von »objektiven« Phrasen? Auch der Gegner weiss aufrichtige Offenheit zu preisen. Gilt es die höchsten Güter des Herzens, so ziehe ich lieber, wie die alten Germanen, nackend in die Schlacht, mit der Gesinnung, die Gott mir gegeben hat, als angethan mit der kunstvollen Rüstung einer Wissenschaft, die gerade hier nichts beweist, oder gar in die Toga einer leeren, alles aus- gleichenden Rhetorik gehüllt. Oratio pro domo. Nichts liegt mir ferner, als die Einzelnen mit ihren Kirchen zu identifizieren. Unsere heutigen Kirchen einen und trennen nach wesent- lich äusserlichen Merkmalen. Lese ich die Memorials des Kardinal Manning, und sehe ihn den Jesuitenorden den Krebsschaden des Katholizismus nennen, höre ich ihn die gerade in unseren Tagen so eifrig betriebene Ausbildung des Sakramentes zu einem förmlichen Götzendienste heftig beklagen, die Kirche deswegen eine »Krämerbude« und einen »Wechslermarkt« schelten, sehe ich ihn eifrig für die Ver- breitung der Bibel wirken und öffentlich gegen die römische Tendenz, sie zu unterdrücken (die er als vorherrschend zugiebt) ankämpfen, oder nehme ich wieder solche vortreffliche, echt germanische Schriften zur Hand, wie Prof. Schell’s: Der Katholizismus als Prinzip des Fortschrittes, so empfinde ich lebhaft, dass ein einziger göttlicher Sturmwind genügen würde, um das verhängnisvolle Gaukelspiel an- geerbter Wahnvorstellungen aus der Steinzeit hinwegzufegen, die Ver- blendungen des verfallenen Mestizenimperiums wie Nebelhüllen zu zerstreuen und uns Germanen alle — gerade in der Religion und durch die Religion — in Blutbrüderschaft zu einen. Ausserdem blieb ja in meiner Schilderung eingestandenermassen der Mittelpunkt alles Christentums — die Gestalt des Gekreuzigten — unberührt. Und gerade sie ist das Einigende, das, was uns alle an-

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/126>, abgerufen am 22.11.2024.