Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
lässt) erzeugt, den Germanen mit den Hellenen und Römern ge-
meinsam, so ist dagegen die überschwängliche Auffassung der Treue
ein spezifischer Charakterzug der Germanen. Wie der alte Johann
Fischart singt:

Standhaft und treu, und treu und standhaft,
Die machen ein recht teutsch Verwandtschaft!

Julius Caesar hatte neben der kriegerischen Tüchtigkeit auch die
beispiellose Treue der Germanen sofort erkannt und bei ihnen so
viele Reiter gedungen, wie er nur bekommen konnte: in der für die
Weltgeschichte so entscheidenden Schlacht bei Pharsalus schlugen sie
sich für ihn; die romanisierten Gallier hatten den Imperator in der
Stunde der Not verlassen, die Germanen dagegen bewährten sich als
eben so treu wie tüchtig. Diese Treue gegen den aus freier Ent-
schliessung, eigenmächtig erwählten Herrn ist der bedeutendste Zug
im Charakter des Germanen; an ihm können wir sehen, ob reines
germanisches Blut in den Adern fliesst oder nicht. Man hat viel
gespottet über die deutschen Söldnerheere, doch gerade an ihnen zeigt
sich das echte, kostbare Metall dieser Rasse. Gleich der erste römische
Alleinherrscher, Augustus, bildete seine persönliche Leibgarde aus
Germanen; wo hätte er sonst auf unbedingte Treue rechnen dürfen?
Während der ganzen Dauer des römischen West- und Ostreiches
wird dieser selbe Ehrenposten mit den selben Leuten besetzt, nur
schickt man immer weiter nach Norden, da mit der sogenannten
"lateinischen Kultur" die Pest der Treulosigkeit immer weiter in die
Länder gedrungen war; zuletzt, ein Jahrtausend nach Augustus, sind
es Angelsachsen und Normannen, die um den Thron von Byzanz
Wache stehen. Der arme germanische Leibgardist! Von den politischen
Prinzipien, welche die chaotische Welt zu einer scheinbaren Ordnung
mit Gewalt zusammenschmiedeten, verstand er dazumal eben so wenig,
wie von den Streitigkeiten über die Natur der Dreifaltigkeit, die ihm
manchen Tropfen Blut kosteten; doch Eines verstand er: die Treue
zu wahren dem selbsterwählten Herrn. Als unter Nero die friesischen
Gesandten die hinteren Plätze, die man ihnen im Zirkus angewiesen
hatte, verliessen und sich stolz auf die vordersten Bänke der Senatoren
unter die reichgeschmückten Vertreter fremder Völker setzten, was
gab den Besitzlosen, die nach Rom gekommen waren, um Land zum
Ackerbau sich zu erbitten, ein so kühnes Selbstbewusstsein? wessen
durften sie einzig sich rühmen? "Kein Mensch der Welt übertreffe

Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
lässt) erzeugt, den Germanen mit den Hellenen und Römern ge-
meinsam, so ist dagegen die überschwängliche Auffassung der Treue
ein spezifischer Charakterzug der Germanen. Wie der alte Johann
Fischart singt:

Standhaft und treu, und treu und standhaft,
Die machen ein recht teutsch Verwandtschaft!

Julius Caesar hatte neben der kriegerischen Tüchtigkeit auch die
beispiellose Treue der Germanen sofort erkannt und bei ihnen so
viele Reiter gedungen, wie er nur bekommen konnte: in der für die
Weltgeschichte so entscheidenden Schlacht bei Pharsalus schlugen sie
sich für ihn; die romanisierten Gallier hatten den Imperator in der
Stunde der Not verlassen, die Germanen dagegen bewährten sich als
eben so treu wie tüchtig. Diese Treue gegen den aus freier Ent-
schliessung, eigenmächtig erwählten Herrn ist der bedeutendste Zug
im Charakter des Germanen; an ihm können wir sehen, ob reines
germanisches Blut in den Adern fliesst oder nicht. Man hat viel
gespottet über die deutschen Söldnerheere, doch gerade an ihnen zeigt
sich das echte, kostbare Metall dieser Rasse. Gleich der erste römische
Alleinherrscher, Augustus, bildete seine persönliche Leibgarde aus
Germanen; wo hätte er sonst auf unbedingte Treue rechnen dürfen?
Während der ganzen Dauer des römischen West- und Ostreiches
wird dieser selbe Ehrenposten mit den selben Leuten besetzt, nur
schickt man immer weiter nach Norden, da mit der sogenannten
»lateinischen Kultur« die Pest der Treulosigkeit immer weiter in die
Länder gedrungen war; zuletzt, ein Jahrtausend nach Augustus, sind
es Angelsachsen und Normannen, die um den Thron von Byzanz
Wache stehen. Der arme germanische Leibgardist! Von den politischen
Prinzipien, welche die chaotische Welt zu einer scheinbaren Ordnung
mit Gewalt zusammenschmiedeten, verstand er dazumal eben so wenig,
wie von den Streitigkeiten über die Natur der Dreifaltigkeit, die ihm
manchen Tropfen Blut kosteten; doch Eines verstand er: die Treue
zu wahren dem selbsterwählten Herrn. Als unter Nero die friesischen
Gesandten die hinteren Plätze, die man ihnen im Zirkus angewiesen
hatte, verliessen und sich stolz auf die vordersten Bänke der Senatoren
unter die reichgeschmückten Vertreter fremder Völker setzten, was
gab den Besitzlosen, die nach Rom gekommen waren, um Land zum
Ackerbau sich zu erbitten, ein so kühnes Selbstbewusstsein? wessen
durften sie einzig sich rühmen? »Kein Mensch der Welt übertreffe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0528" n="505"/><fw place="top" type="header">Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.</fw><lb/>
lässt) erzeugt, den Germanen mit den Hellenen und Römern ge-<lb/>
meinsam, so ist dagegen die überschwängliche Auffassung der Treue<lb/>
ein spezifischer Charakterzug der Germanen. Wie der alte Johann<lb/>
Fischart singt:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Standhaft und treu, und treu und standhaft,</l><lb/>
              <l>Die machen ein recht <hi rendition="#g">teutsch</hi> Verwandtschaft!</l>
            </lg><lb/>
            <p>Julius Caesar hatte neben der kriegerischen Tüchtigkeit auch die<lb/>
beispiellose Treue der Germanen sofort erkannt und bei ihnen so<lb/>
viele Reiter gedungen, wie er nur bekommen konnte: in der für die<lb/>
Weltgeschichte so entscheidenden Schlacht bei Pharsalus schlugen sie<lb/>
sich für ihn; die romanisierten Gallier hatten den Imperator in der<lb/>
Stunde der Not verlassen, die Germanen dagegen bewährten sich als<lb/>
eben so treu wie tüchtig. Diese Treue gegen den aus freier Ent-<lb/>
schliessung, eigenmächtig erwählten Herrn ist der bedeutendste Zug<lb/>
im Charakter des Germanen; an ihm können wir sehen, ob reines<lb/>
germanisches Blut in den Adern fliesst oder nicht. Man hat viel<lb/>
gespottet über die deutschen Söldnerheere, doch gerade an ihnen zeigt<lb/>
sich das echte, kostbare Metall dieser Rasse. Gleich der erste römische<lb/>
Alleinherrscher, Augustus, bildete seine persönliche Leibgarde aus<lb/>
Germanen; wo hätte er sonst auf unbedingte Treue rechnen dürfen?<lb/>
Während der ganzen Dauer des römischen West- und Ostreiches<lb/>
wird dieser selbe Ehrenposten mit den selben Leuten besetzt, nur<lb/>
schickt man immer weiter nach Norden, da mit der sogenannten<lb/>
»lateinischen Kultur« die Pest der Treulosigkeit immer weiter in die<lb/>
Länder gedrungen war; zuletzt, ein Jahrtausend nach Augustus, sind<lb/>
es Angelsachsen und Normannen, die um den Thron von Byzanz<lb/>
Wache stehen. Der arme germanische Leibgardist! Von den politischen<lb/>
Prinzipien, welche die chaotische Welt zu einer scheinbaren Ordnung<lb/>
mit Gewalt zusammenschmiedeten, verstand er dazumal eben so wenig,<lb/>
wie von den Streitigkeiten über die Natur der Dreifaltigkeit, die ihm<lb/>
manchen Tropfen Blut kosteten; doch Eines verstand er: die Treue<lb/>
zu wahren dem selbsterwählten Herrn. Als unter Nero die friesischen<lb/>
Gesandten die hinteren Plätze, die man ihnen im Zirkus angewiesen<lb/>
hatte, verliessen und sich stolz auf die vordersten Bänke der Senatoren<lb/>
unter die reichgeschmückten Vertreter fremder Völker setzten, was<lb/>
gab den Besitzlosen, die nach Rom gekommen waren, um Land zum<lb/>
Ackerbau sich zu erbitten, ein so kühnes Selbstbewusstsein? wessen<lb/>
durften sie einzig sich rühmen? »Kein Mensch der Welt übertreffe<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[505/0528] Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. lässt) erzeugt, den Germanen mit den Hellenen und Römern ge- meinsam, so ist dagegen die überschwängliche Auffassung der Treue ein spezifischer Charakterzug der Germanen. Wie der alte Johann Fischart singt: Standhaft und treu, und treu und standhaft, Die machen ein recht teutsch Verwandtschaft! Julius Caesar hatte neben der kriegerischen Tüchtigkeit auch die beispiellose Treue der Germanen sofort erkannt und bei ihnen so viele Reiter gedungen, wie er nur bekommen konnte: in der für die Weltgeschichte so entscheidenden Schlacht bei Pharsalus schlugen sie sich für ihn; die romanisierten Gallier hatten den Imperator in der Stunde der Not verlassen, die Germanen dagegen bewährten sich als eben so treu wie tüchtig. Diese Treue gegen den aus freier Ent- schliessung, eigenmächtig erwählten Herrn ist der bedeutendste Zug im Charakter des Germanen; an ihm können wir sehen, ob reines germanisches Blut in den Adern fliesst oder nicht. Man hat viel gespottet über die deutschen Söldnerheere, doch gerade an ihnen zeigt sich das echte, kostbare Metall dieser Rasse. Gleich der erste römische Alleinherrscher, Augustus, bildete seine persönliche Leibgarde aus Germanen; wo hätte er sonst auf unbedingte Treue rechnen dürfen? Während der ganzen Dauer des römischen West- und Ostreiches wird dieser selbe Ehrenposten mit den selben Leuten besetzt, nur schickt man immer weiter nach Norden, da mit der sogenannten »lateinischen Kultur« die Pest der Treulosigkeit immer weiter in die Länder gedrungen war; zuletzt, ein Jahrtausend nach Augustus, sind es Angelsachsen und Normannen, die um den Thron von Byzanz Wache stehen. Der arme germanische Leibgardist! Von den politischen Prinzipien, welche die chaotische Welt zu einer scheinbaren Ordnung mit Gewalt zusammenschmiedeten, verstand er dazumal eben so wenig, wie von den Streitigkeiten über die Natur der Dreifaltigkeit, die ihm manchen Tropfen Blut kosteten; doch Eines verstand er: die Treue zu wahren dem selbsterwählten Herrn. Als unter Nero die friesischen Gesandten die hinteren Plätze, die man ihnen im Zirkus angewiesen hatte, verliessen und sich stolz auf die vordersten Bänke der Senatoren unter die reichgeschmückten Vertreter fremder Völker setzten, was gab den Besitzlosen, die nach Rom gekommen waren, um Land zum Ackerbau sich zu erbitten, ein so kühnes Selbstbewusstsein? wessen durften sie einzig sich rühmen? »Kein Mensch der Welt übertreffe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/528
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/528>, abgerufen am 24.11.2024.