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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
schwarzem Haar, zugleich mit besonders grossen kühnen Adlernasen
und schlankerem Körperbau, dort rotes Haar mit auffallend weisser,
fleckiger Haut und etwas breiterem Gesicht im Oberteil -- -- -- denn
jede geringste Änderung in der Gestaltung zieht andere nach sich.
Noch viel zahlreicher werden freilich jene Gestaltungen gewesen sein,
denen in ihrer durchschnittlichen Unauffälligkeit gar kein spezifisches
Bildungsgesetz hätte entnommen werden können, wären sie nicht als
Bestandteile eines grossen Ganzen aufgetreten, in welchem ihr Platz
bestimmt bezeichnet war, so dass wir aus ihrer genauen Einfügung
ersehen, dass sie doch organisch dazu gehören. Gerade Darwin, der
sein Leben lang mit Kompass, Zollmass und Gewichtswage gearbeitet
hat, macht immer wieder bei seinen Studien über künstliche Züchtungen
darauf aufmerksam, dass der Blick des geborenen und geübten
Züchters Dinge entdeckt, für welche die Ziffern nicht den geringsten
Beleg liefern und die der Züchter selber meistens nicht in Worte
fassen kann; er merkt, dass dies und jenes den einen Organismus vom
anderen unterscheidet und richtet sich bei seinen Züchtungen darnach;
es ist dies eine Intuition, geboren aus vielem unablässigen Schauen.
Ein derartiges Schauen müssten wir uns nun anüben; dazu hätte jener
Gesamtüberblick über alle Germanen zu Zeiten des Tacitus gedient.
Gewiss hätten wir nicht gefunden, dass bei allen diesen Menschen sich
die Breite des Kopfes zur Länge wie 75 zu 100 verhielte; die Natur
kennt derartige Begrenzungen nicht; in der unbeschränkten Mannig-
faltigkeit aller denkbaren Zwischenformen, sowie auch von Formen
weiterer Entwickelung nach diesem und jenem Extrem hin, wären
wir höchst wahrscheinlich hier und dort auf ausgesprochene Brachy-
cephalen gestossen, die Gräberfunde lassen es vermuten, und warum
sollte die Plastizität der gestaltenden Kräfte es nicht bewirkt haben? Wir
hätten auch nicht lauter Riesen gesehen und erklären können: wer nicht
1,971/2 m erreicht, ist kein Germane. Dagegen hätten wir uns ganz
gut die paradox klingende Behauptung gestatten dürfen: die kleinen
Männer dieser Gruppe sind gross, denn sie gehören einer hoch-
gewachsenen Rasse an, und aus demselben Grunde sind jene Brachy-
cephalen Langschädel; bei näherem Zusehen werdet ihr in ihrem
Äussern und Innern die spezifischen Charaktere des Germanen schon
entdecken. Die Hieroglyphen der Natursprache sind eben nicht so
logisch mathematisch, so mechanisch deutbar wie mancher Forscher
zu wähnen beliebt. Es gehört Leben dazu, um Leben zu verstehen.
Und dabei fällt mir eine Geschichte ein, die gerade zur Erläuterung

Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 32

Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
schwarzem Haar, zugleich mit besonders grossen kühnen Adlernasen
und schlankerem Körperbau, dort rotes Haar mit auffallend weisser,
fleckiger Haut und etwas breiterem Gesicht im Oberteil — — — denn
jede geringste Änderung in der Gestaltung zieht andere nach sich.
Noch viel zahlreicher werden freilich jene Gestaltungen gewesen sein,
denen in ihrer durchschnittlichen Unauffälligkeit gar kein spezifisches
Bildungsgesetz hätte entnommen werden können, wären sie nicht als
Bestandteile eines grossen Ganzen aufgetreten, in welchem ihr Platz
bestimmt bezeichnet war, so dass wir aus ihrer genauen Einfügung
ersehen, dass sie doch organisch dazu gehören. Gerade Darwin, der
sein Leben lang mit Kompass, Zollmass und Gewichtswage gearbeitet
hat, macht immer wieder bei seinen Studien über künstliche Züchtungen
darauf aufmerksam, dass der Blick des geborenen und geübten
Züchters Dinge entdeckt, für welche die Ziffern nicht den geringsten
Beleg liefern und die der Züchter selber meistens nicht in Worte
fassen kann; er merkt, dass dies und jenes den einen Organismus vom
anderen unterscheidet und richtet sich bei seinen Züchtungen darnach;
es ist dies eine Intuition, geboren aus vielem unablässigen Schauen.
Ein derartiges Schauen müssten wir uns nun anüben; dazu hätte jener
Gesamtüberblick über alle Germanen zu Zeiten des Tacitus gedient.
Gewiss hätten wir nicht gefunden, dass bei allen diesen Menschen sich
die Breite des Kopfes zur Länge wie 75 zu 100 verhielte; die Natur
kennt derartige Begrenzungen nicht; in der unbeschränkten Mannig-
faltigkeit aller denkbaren Zwischenformen, sowie auch von Formen
weiterer Entwickelung nach diesem und jenem Extrem hin, wären
wir höchst wahrscheinlich hier und dort auf ausgesprochene Brachy-
cephalen gestossen, die Gräberfunde lassen es vermuten, und warum
sollte die Plastizität der gestaltenden Kräfte es nicht bewirkt haben? Wir
hätten auch nicht lauter Riesen gesehen und erklären können: wer nicht
1,97½ m erreicht, ist kein Germane. Dagegen hätten wir uns ganz
gut die paradox klingende Behauptung gestatten dürfen: die kleinen
Männer dieser Gruppe sind gross, denn sie gehören einer hoch-
gewachsenen Rasse an, und aus demselben Grunde sind jene Brachy-
cephalen Langschädel; bei näherem Zusehen werdet ihr in ihrem
Äussern und Innern die spezifischen Charaktere des Germanen schon
entdecken. Die Hieroglyphen der Natursprache sind eben nicht so
logisch mathematisch, so mechanisch deutbar wie mancher Forscher
zu wähnen beliebt. Es gehört Leben dazu, um Leben zu verstehen.
Und dabei fällt mir eine Geschichte ein, die gerade zur Erläuterung

Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 32
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[497/0520] Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. schwarzem Haar, zugleich mit besonders grossen kühnen Adlernasen und schlankerem Körperbau, dort rotes Haar mit auffallend weisser, fleckiger Haut und etwas breiterem Gesicht im Oberteil — — — denn jede geringste Änderung in der Gestaltung zieht andere nach sich. Noch viel zahlreicher werden freilich jene Gestaltungen gewesen sein, denen in ihrer durchschnittlichen Unauffälligkeit gar kein spezifisches Bildungsgesetz hätte entnommen werden können, wären sie nicht als Bestandteile eines grossen Ganzen aufgetreten, in welchem ihr Platz bestimmt bezeichnet war, so dass wir aus ihrer genauen Einfügung ersehen, dass sie doch organisch dazu gehören. Gerade Darwin, der sein Leben lang mit Kompass, Zollmass und Gewichtswage gearbeitet hat, macht immer wieder bei seinen Studien über künstliche Züchtungen darauf aufmerksam, dass der Blick des geborenen und geübten Züchters Dinge entdeckt, für welche die Ziffern nicht den geringsten Beleg liefern und die der Züchter selber meistens nicht in Worte fassen kann; er merkt, dass dies und jenes den einen Organismus vom anderen unterscheidet und richtet sich bei seinen Züchtungen darnach; es ist dies eine Intuition, geboren aus vielem unablässigen Schauen. Ein derartiges Schauen müssten wir uns nun anüben; dazu hätte jener Gesamtüberblick über alle Germanen zu Zeiten des Tacitus gedient. Gewiss hätten wir nicht gefunden, dass bei allen diesen Menschen sich die Breite des Kopfes zur Länge wie 75 zu 100 verhielte; die Natur kennt derartige Begrenzungen nicht; in der unbeschränkten Mannig- faltigkeit aller denkbaren Zwischenformen, sowie auch von Formen weiterer Entwickelung nach diesem und jenem Extrem hin, wären wir höchst wahrscheinlich hier und dort auf ausgesprochene Brachy- cephalen gestossen, die Gräberfunde lassen es vermuten, und warum sollte die Plastizität der gestaltenden Kräfte es nicht bewirkt haben? Wir hätten auch nicht lauter Riesen gesehen und erklären können: wer nicht 1,97½ m erreicht, ist kein Germane. Dagegen hätten wir uns ganz gut die paradox klingende Behauptung gestatten dürfen: die kleinen Männer dieser Gruppe sind gross, denn sie gehören einer hoch- gewachsenen Rasse an, und aus demselben Grunde sind jene Brachy- cephalen Langschädel; bei näherem Zusehen werdet ihr in ihrem Äussern und Innern die spezifischen Charaktere des Germanen schon entdecken. Die Hieroglyphen der Natursprache sind eben nicht so logisch mathematisch, so mechanisch deutbar wie mancher Forscher zu wähnen beliebt. Es gehört Leben dazu, um Leben zu verstehen. Und dabei fällt mir eine Geschichte ein, die gerade zur Erläuterung Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 32

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/520>, abgerufen am 25.11.2024.