Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. ständige Bibel in der Volkssprache. Doch die lebendigste Anregungwar von Wyclif ausgegangen; er erst öffnete den Slaven die Augen für die evangelische Wahrheit, so dass Hieronymus von Prag von ihm sagen durfte: "Bisher hat man die Schale gehabt, erst Wyclif hat den Kern aufgedeckt".1) Man macht sich ein durchaus falsches Bild von der slavischen Reformationsbewegung, wenn man sein Augen- merk vornehmlich auf Hus und die hussitischen Kriege wirft; das Vorwalten der politischen Kombinationen, sowie des Hasses zwischen Tschechen und Deutschen, verwirrte von da an die Gemüter und verdunkelte das reine Streben, welches vorerst so hell geglänzt hatte. Schon hundert Jahre vor Hus lebte jener Milic, der, selber ein recht- gläubiger Katholik und allen Grübeleien über Dogmatik in Folge seines auf praktische Seelsorge gerichteten Sinnes überhaupt abhold, den Ausdruck Antichrist für die römische Kirche erfand; im Kerker zu Rom schrieb er seinen Traktat De Antichristo, worin er aus- führt, der Antichrist werde nicht erst in Zukunft kommen, er sei schon da, er häufe "geistliche" Reichtümer, er kaufe Prebenden, er verkaufe Sakramente. Von Mathias von Janow wird dieser Gedanke dann weiter ausgeführt und die eigentliche theologische Reformation angebahnt; freilich eifert er für die eine heilige Kirche, diese müsse aber von Grund aus gereinigt und neu aufgerichtet werden: "Es bleibt uns nun allein noch übrig, die Reformation durch die Zer- störung des Antichrist selbst zu wünschen; erheben wir unsere Häupter, denn schon ist die Erlösung nahe!" (1389). Auf ihn folgen Stanislaus von Znaim, welcher die 45 Sätze Wyclif's vor der Universität Prags verteidigt, Hus, der das "Apostolische" vom "Päpstlichen" scharf scheidet und erklärt, dem Ersteren werde er gehorchen, dem Päpst- lichen jedoch nur insofern es mit dem Apostolischen übereinstimme, Nikolaus von Welenowic, der die Stellung der Priester als privilegierter Heilsvermittler leugnet, Hieronymus, jener herrliche Ritter und Märtyrer, der selbst einem Gleichgültigen, dem mehr um hellenische Litteratur als um Christentum besorgten, hauptsächlich als Sammler und Heraus- geber obscöner Anekdoten berühmten Poggio, päpstlichen Sekretär, die Worte entriss: "O welcher Mann, der ewiges Andenken verdient!" Und viele Andere. Man sieht, hier liegt nicht die That eines Ein- zelnen, vielleicht erratischen Geistes vor; es spricht im Gegenteil eine Volksseele, Alles wenigstens, was in dieser Volksseele echt und edel 1) Neander: IX, 314.
Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. ständige Bibel in der Volkssprache. Doch die lebendigste Anregungwar von Wyclif ausgegangen; er erst öffnete den Slaven die Augen für die evangelische Wahrheit, so dass Hieronymus von Prag von ihm sagen durfte: »Bisher hat man die Schale gehabt, erst Wyclif hat den Kern aufgedeckt«.1) Man macht sich ein durchaus falsches Bild von der slavischen Reformationsbewegung, wenn man sein Augen- merk vornehmlich auf Hus und die hussitischen Kriege wirft; das Vorwalten der politischen Kombinationen, sowie des Hasses zwischen Tschechen und Deutschen, verwirrte von da an die Gemüter und verdunkelte das reine Streben, welches vorerst so hell geglänzt hatte. Schon hundert Jahre vor Hus lebte jener Milič, der, selber ein recht- gläubiger Katholik und allen Grübeleien über Dogmatik in Folge seines auf praktische Seelsorge gerichteten Sinnes überhaupt abhold, den Ausdruck Antichrist für die römische Kirche erfand; im Kerker zu Rom schrieb er seinen Traktat De Antichristo, worin er aus- führt, der Antichrist werde nicht erst in Zukunft kommen, er sei schon da, er häufe »geistliche« Reichtümer, er kaufe Prebenden, er verkaufe Sakramente. Von Mathias von Janow wird dieser Gedanke dann weiter ausgeführt und die eigentliche theologische Reformation angebahnt; freilich eifert er für die eine heilige Kirche, diese müsse aber von Grund aus gereinigt und neu aufgerichtet werden: »Es bleibt uns nun allein noch übrig, die Reformation durch die Zer- störung des Antichrist selbst zu wünschen; erheben wir unsere Häupter, denn schon ist die Erlösung nahe!« (1389). Auf ihn folgen Stanislaus von Znaim, welcher die 45 Sätze Wyclif’s vor der Universität Prags verteidigt, Hus, der das »Apostolische« vom »Päpstlichen« scharf scheidet und erklärt, dem Ersteren werde er gehorchen, dem Päpst- lichen jedoch nur insofern es mit dem Apostolischen übereinstimme, Nikolaus von Welenowič, der die Stellung der Priester als privilegierter Heilsvermittler leugnet, Hieronymus, jener herrliche Ritter und Märtyrer, der selbst einem Gleichgültigen, dem mehr um hellenische Litteratur als um Christentum besorgten, hauptsächlich als Sammler und Heraus- geber obscöner Anekdoten berühmten Poggio, päpstlichen Sekretär, die Worte entriss: »O welcher Mann, der ewiges Andenken verdient!« Und viele Andere. Man sieht, hier liegt nicht die That eines Ein- zelnen, vielleicht erratischen Geistes vor; es spricht im Gegenteil eine Volksseele, Alles wenigstens, was in dieser Volksseele echt und edel 1) Neander: IX, 314.
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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
ständige Bibel in der Volkssprache. Doch die lebendigste Anregung
war von Wyclif ausgegangen; er erst öffnete den Slaven die Augen
für die evangelische Wahrheit, so dass Hieronymus von Prag von
ihm sagen durfte: »Bisher hat man die Schale gehabt, erst Wyclif
hat den Kern aufgedeckt«. 1) Man macht sich ein durchaus falsches
Bild von der slavischen Reformationsbewegung, wenn man sein Augen-
merk vornehmlich auf Hus und die hussitischen Kriege wirft; das
Vorwalten der politischen Kombinationen, sowie des Hasses zwischen
Tschechen und Deutschen, verwirrte von da an die Gemüter und
verdunkelte das reine Streben, welches vorerst so hell geglänzt hatte.
Schon hundert Jahre vor Hus lebte jener Milič, der, selber ein recht-
gläubiger Katholik und allen Grübeleien über Dogmatik in Folge
seines auf praktische Seelsorge gerichteten Sinnes überhaupt abhold, den
Ausdruck Antichrist für die römische Kirche erfand; im Kerker
zu Rom schrieb er seinen Traktat De Antichristo, worin er aus-
führt, der Antichrist werde nicht erst in Zukunft kommen, er sei
schon da, er häufe »geistliche« Reichtümer, er kaufe Prebenden, er
verkaufe Sakramente. Von Mathias von Janow wird dieser Gedanke
dann weiter ausgeführt und die eigentliche theologische Reformation
angebahnt; freilich eifert er für die eine heilige Kirche, diese müsse
aber von Grund aus gereinigt und neu aufgerichtet werden: »Es
bleibt uns nun allein noch übrig, die Reformation durch die Zer-
störung des Antichrist selbst zu wünschen; erheben wir unsere Häupter,
denn schon ist die Erlösung nahe!« (1389). Auf ihn folgen Stanislaus
von Znaim, welcher die 45 Sätze Wyclif’s vor der Universität Prags
verteidigt, Hus, der das »Apostolische« vom »Päpstlichen« scharf
scheidet und erklärt, dem Ersteren werde er gehorchen, dem Päpst-
lichen jedoch nur insofern es mit dem Apostolischen übereinstimme,
Nikolaus von Welenowič, der die Stellung der Priester als privilegierter
Heilsvermittler leugnet, Hieronymus, jener herrliche Ritter und Märtyrer,
der selbst einem Gleichgültigen, dem mehr um hellenische Litteratur
als um Christentum besorgten, hauptsächlich als Sammler und Heraus-
geber obscöner Anekdoten berühmten Poggio, päpstlichen Sekretär,
die Worte entriss: »O welcher Mann, der ewiges Andenken verdient!«
Und viele Andere. Man sieht, hier liegt nicht die That eines Ein-
zelnen, vielleicht erratischen Geistes vor; es spricht im Gegenteil eine
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