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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt des Juden in die europäische Geschichte hatte (wieDer Begriff
"Germane".

Herder sagte) den Eintritt eines fremden Elementes bedeutet -- fremd
gegen das, was Europa damals bereits geleistet hatte, fremd gegen das,
was es noch zu leisten berufen war; umgekehrt verhält es sich mit
dem Germanen. Dieser Barbar, der am liebsten nackend in die Schlacht
zieht, dieser Wilde, der plötzlich aus Wäldern und Sümpfen auftaucht,
um über eine civilisierte und kultivierte Welt die Schrecken einer
gewaltsamen, mit der blossen Faust erfochtenen Eroberung zu giessen,
ist nichtsdestoweniger der rechtmässige Erbe des Hellenen und des
Römers, Blut von ihrem Blut, und Geist von ihrem Geist. Sein Eigenes
ist es, das er, unwissend, aus fremder Hand entreisst. Ohne ihn ging
der Tag des Indoeuropäers zu Ende. Meuchelmörderisch hatte sich
der asiatische und afrikanische Knecht bis zum Thron des römischen
Imperiums hinaufgeschlichen, inzwischen der syrische Bastard sich des
Gesetzeswerkes bemächtigte, der Jude die Bibliothek zu Alexandria
benutzte, um hellenische Philosophie dem mosaischen Gesetze anzu-
passen, der Ägypter, um die lebensvoll aufkeimende Naturkunde in den
prunkvollen Pyramiden wissenschaftlicher Systematik auf unabsehbare
Zeiten einbalsamiert zu begraben; bald sollte auch der Mongole die
hehren Blüten des urarischen Lebens: indisches Denken, indisches
Dichten unter seinem rohen, bluttriefenden Fusse zertreten, und der
vom Wüstenwahnsinn bethörte Beduin jenen Edensgarten, in welchem
Jahrtausende hindurch alle Symbolik der Welt gewachsen war, Eranien,
zu ewiger Öde einäschern; Kunst gab es schon lange nicht mehr,
sondern für die Reichen Schablonen und für das Volk Zirkusreiten:
somit, nach dem Worte Schiller's, das ich zu Beginn des ersten Kapitels
anführte, eigentlich keine Menschen mehr, sondern nur Geschöpfe. Es
war hohe Zeit, dass der Retter erschien. Zwar trat er nicht so in die
Weltgeschichte ein wie sich die kombinierende, konstruierende Vernunft,
um ihren Rat befragt, einen rettenden Engel, den Spender eines neuen
Menschheitsmorgens gedacht hätte; doch können wir heute, wo uns
der Rückblick auf Jahrhunderte die Weisheit leicht erwirbt, nur das
Eine bedauern, dass der Germane überall, wohin sein siegender Arm

Der Eintritt des Juden in die europäische Geschichte hatte (wieDer Begriff
»Germane«.

Herder sagte) den Eintritt eines fremden Elementes bedeutet — fremd
gegen das, was Europa damals bereits geleistet hatte, fremd gegen das,
was es noch zu leisten berufen war; umgekehrt verhält es sich mit
dem Germanen. Dieser Barbar, der am liebsten nackend in die Schlacht
zieht, dieser Wilde, der plötzlich aus Wäldern und Sümpfen auftaucht,
um über eine civilisierte und kultivierte Welt die Schrecken einer
gewaltsamen, mit der blossen Faust erfochtenen Eroberung zu giessen,
ist nichtsdestoweniger der rechtmässige Erbe des Hellenen und des
Römers, Blut von ihrem Blut, und Geist von ihrem Geist. Sein Eigenes
ist es, das er, unwissend, aus fremder Hand entreisst. Ohne ihn ging
der Tag des Indoeuropäers zu Ende. Meuchelmörderisch hatte sich
der asiatische und afrikanische Knecht bis zum Thron des römischen
Imperiums hinaufgeschlichen, inzwischen der syrische Bastard sich des
Gesetzeswerkes bemächtigte, der Jude die Bibliothek zu Alexandria
benutzte, um hellenische Philosophie dem mosaischen Gesetze anzu-
passen, der Ägypter, um die lebensvoll aufkeimende Naturkunde in den
prunkvollen Pyramiden wissenschaftlicher Systematik auf unabsehbare
Zeiten einbalsamiert zu begraben; bald sollte auch der Mongole die
hehren Blüten des urarischen Lebens: indisches Denken, indisches
Dichten unter seinem rohen, bluttriefenden Fusse zertreten, und der
vom Wüstenwahnsinn bethörte Beduin jenen Edensgarten, in welchem
Jahrtausende hindurch alle Symbolik der Welt gewachsen war, Eranien,
zu ewiger Öde einäschern; Kunst gab es schon lange nicht mehr,
sondern für die Reichen Schablonen und für das Volk Zirkusreiten:
somit, nach dem Worte Schiller’s, das ich zu Beginn des ersten Kapitels
anführte, eigentlich keine Menschen mehr, sondern nur Geschöpfe. Es
war hohe Zeit, dass der Retter erschien. Zwar trat er nicht so in die
Weltgeschichte ein wie sich die kombinierende, konstruierende Vernunft,
um ihren Rat befragt, einen rettenden Engel, den Spender eines neuen
Menschheitsmorgens gedacht hätte; doch können wir heute, wo uns
der Rückblick auf Jahrhunderte die Weisheit leicht erwirbt, nur das
Eine bedauern, dass der Germane überall, wohin sein siegender Arm

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[[463]/0486] Der Eintritt des Juden in die europäische Geschichte hatte (wie Herder sagte) den Eintritt eines fremden Elementes bedeutet — fremd gegen das, was Europa damals bereits geleistet hatte, fremd gegen das, was es noch zu leisten berufen war; umgekehrt verhält es sich mit dem Germanen. Dieser Barbar, der am liebsten nackend in die Schlacht zieht, dieser Wilde, der plötzlich aus Wäldern und Sümpfen auftaucht, um über eine civilisierte und kultivierte Welt die Schrecken einer gewaltsamen, mit der blossen Faust erfochtenen Eroberung zu giessen, ist nichtsdestoweniger der rechtmässige Erbe des Hellenen und des Römers, Blut von ihrem Blut, und Geist von ihrem Geist. Sein Eigenes ist es, das er, unwissend, aus fremder Hand entreisst. Ohne ihn ging der Tag des Indoeuropäers zu Ende. Meuchelmörderisch hatte sich der asiatische und afrikanische Knecht bis zum Thron des römischen Imperiums hinaufgeschlichen, inzwischen der syrische Bastard sich des Gesetzeswerkes bemächtigte, der Jude die Bibliothek zu Alexandria benutzte, um hellenische Philosophie dem mosaischen Gesetze anzu- passen, der Ägypter, um die lebensvoll aufkeimende Naturkunde in den prunkvollen Pyramiden wissenschaftlicher Systematik auf unabsehbare Zeiten einbalsamiert zu begraben; bald sollte auch der Mongole die hehren Blüten des urarischen Lebens: indisches Denken, indisches Dichten unter seinem rohen, bluttriefenden Fusse zertreten, und der vom Wüstenwahnsinn bethörte Beduin jenen Edensgarten, in welchem Jahrtausende hindurch alle Symbolik der Welt gewachsen war, Eranien, zu ewiger Öde einäschern; Kunst gab es schon lange nicht mehr, sondern für die Reichen Schablonen und für das Volk Zirkusreiten: somit, nach dem Worte Schiller’s, das ich zu Beginn des ersten Kapitels anführte, eigentlich keine Menschen mehr, sondern nur Geschöpfe. Es war hohe Zeit, dass der Retter erschien. Zwar trat er nicht so in die Weltgeschichte ein wie sich die kombinierende, konstruierende Vernunft, um ihren Rat befragt, einen rettenden Engel, den Spender eines neuen Menschheitsmorgens gedacht hätte; doch können wir heute, wo uns der Rückblick auf Jahrhunderte die Weisheit leicht erwirbt, nur das Eine bedauern, dass der Germane überall, wohin sein siegender Arm Der Begriff »Germane«.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. [463]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/486>, abgerufen am 22.11.2024.