Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Erben.
Andererseits ist es sinnlos, einen Israeliten echtester Abstammung,
dem es gelungen ist, die Fesseln Esra's und Nehemia's abzuwerfen,
in dessen Kopf das Gesetz Mose und in dessen Herzen die Verachtung
Andrer keine Stätte mehr findet, einen "Juden" zu nennen. "Welche
Aussicht wäre es", ruft Herder aus, "die Juden in ihrer Denkart rein-
humanisiert zu sehen!"1) Ein reinhumanisierter Jude ist aber
kein Jude mehr, weil er, indem er der Idee des Judentums entsagt,
aus dieser Nationalität, deren Wesenheit lediglich in einem Komplex
von Vorstellungen, in einem "Glauben" besteht, ipso facto ausgetreten
ist. Mit dem Apostel Paulus müssen wir einsehen lernen: "Denn
das ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, sondern das ist
ein Jude, der inwendig verborgen ist".

Derartige nationale oder religiöse Ideale können nun in zwie-
facher Weise ihren umwandelnden Einfluss zur Geltung bringen, positiv
und negativ. Wir sahen, wie bei den Juden ein paar Männer einem
Volk, welches durchaus nicht willig darauf einging, eine bestimmte
nationale Idee aufzwangen, und ihm den Stempel dieser Idee so tief
eingruben, dass es den Anschein hat, als werde dieses Volk ihn nie
mehr auslöschen können; dazu gehörte aber Konsanguinität und Kon-
genialität: hier wirkte also die Idee positiv schöpferisch. Ein ebenso
merkwürdiges Beispiel ist die plötzliche Umwandlung der blutgierigen,
wilden Mongolen zu milden, frommen Menschen, von denen ein
Dritteil im Mönchsstande lebt, durch die Annahme des buddhistischen
Glaubens.2) Eine Idee kann aber auch rein negativ wirken, sie kann
den Menschen aus seiner eigenen Bahn lenken, ohne ihm dafür eine
andere seiner Rasse angemessene zu öffnen. Ein allbekanntes Beispiel
ist die Wirkung des Mohammedanismus auf die Turkomannen: durch
die Annahme der fatalistischen Weltanschauung versank das wild-
energische Volk nach und nach in volle Passivität. Wenn der jüdische
Einfluss auf geistigem und kulturellem Gebiete in Europa die Oberhand
gewänne, so wären wir um ein weiteres Beispiel negativer, zerstörender
Wirkung reicher.

Ich habe soeben die von mir befolgte Methode, sowie ihre Haupt-
ergebnisse angedeutet; eine andere Zusammenfassung dieses Kapitels mag
ich nicht geben. Organischen Erscheinungen gegenüber sind Formeln
stets Phrasen. Man kennt die Anekdote des: Le voila, le chameau!

1) Adrastea V, 7, Abschnitt "Fortsetzung".
2) Vergl. hierüber Döllinger: Akademische Vorträge I, 8.

Die Erben.
Andererseits ist es sinnlos, einen Israeliten echtester Abstammung,
dem es gelungen ist, die Fesseln Esra’s und Nehemia’s abzuwerfen,
in dessen Kopf das Gesetz Mose und in dessen Herzen die Verachtung
Andrer keine Stätte mehr findet, einen »Juden« zu nennen. »Welche
Aussicht wäre es«, ruft Herder aus, »die Juden in ihrer Denkart rein-
humanisiert zu sehen!«1) Ein reinhumanisierter Jude ist aber
kein Jude mehr, weil er, indem er der Idee des Judentums entsagt,
aus dieser Nationalität, deren Wesenheit lediglich in einem Komplex
von Vorstellungen, in einem »Glauben« besteht, ipso facto ausgetreten
ist. Mit dem Apostel Paulus müssen wir einsehen lernen: »Denn
das ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, sondern das ist
ein Jude, der inwendig verborgen ist«.

Derartige nationale oder religiöse Ideale können nun in zwie-
facher Weise ihren umwandelnden Einfluss zur Geltung bringen, positiv
und negativ. Wir sahen, wie bei den Juden ein paar Männer einem
Volk, welches durchaus nicht willig darauf einging, eine bestimmte
nationale Idee aufzwangen, und ihm den Stempel dieser Idee so tief
eingruben, dass es den Anschein hat, als werde dieses Volk ihn nie
mehr auslöschen können; dazu gehörte aber Konsanguinität und Kon-
genialität: hier wirkte also die Idee positiv schöpferisch. Ein ebenso
merkwürdiges Beispiel ist die plötzliche Umwandlung der blutgierigen,
wilden Mongolen zu milden, frommen Menschen, von denen ein
Dritteil im Mönchsstande lebt, durch die Annahme des buddhistischen
Glaubens.2) Eine Idee kann aber auch rein negativ wirken, sie kann
den Menschen aus seiner eigenen Bahn lenken, ohne ihm dafür eine
andere seiner Rasse angemessene zu öffnen. Ein allbekanntes Beispiel
ist die Wirkung des Mohammedanismus auf die Turkomannen: durch
die Annahme der fatalistischen Weltanschauung versank das wild-
energische Volk nach und nach in volle Passivität. Wenn der jüdische
Einfluss auf geistigem und kulturellem Gebiete in Europa die Oberhand
gewänne, so wären wir um ein weiteres Beispiel negativer, zerstörender
Wirkung reicher.

Ich habe soeben die von mir befolgte Methode, sowie ihre Haupt-
ergebnisse angedeutet; eine andere Zusammenfassung dieses Kapitels mag
ich nicht geben. Organischen Erscheinungen gegenüber sind Formeln
stets Phrasen. Man kennt die Anekdote des: Le voilà, le chameau!

1) Adrastea V, 7, Abschnitt »Fortsetzung«.
2) Vergl. hierüber Döllinger: Akademische Vorträge I, 8.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0481" n="458"/><fw place="top" type="header">Die Erben.</fw><lb/>
Andererseits ist es sinnlos, einen Israeliten echtester Abstammung,<lb/>
dem es gelungen ist, die Fesseln Esra&#x2019;s und Nehemia&#x2019;s abzuwerfen,<lb/>
in dessen Kopf das Gesetz Mose und in dessen Herzen die Verachtung<lb/>
Andrer keine Stätte mehr findet, einen »Juden« zu nennen. »Welche<lb/>
Aussicht wäre es«, ruft Herder aus, »die Juden in ihrer Denkart rein-<lb/>
humanisiert zu sehen!«<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#i">Adrastea</hi> V, 7, Abschnitt »Fortsetzung«.</note> Ein <hi rendition="#g">reinhumanisierter Jude</hi> ist aber<lb/>
kein Jude mehr, weil er, indem er der Idee des Judentums entsagt,<lb/>
aus dieser Nationalität, deren Wesenheit lediglich in einem Komplex<lb/>
von Vorstellungen, in einem »Glauben« besteht, <hi rendition="#i">ipso facto</hi> ausgetreten<lb/>
ist. Mit dem Apostel Paulus müssen wir einsehen lernen: »Denn<lb/>
das ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, sondern das ist<lb/>
ein Jude, der inwendig verborgen ist«.</p><lb/>
            <p>Derartige nationale oder religiöse Ideale können nun in zwie-<lb/>
facher Weise ihren umwandelnden Einfluss zur Geltung bringen, positiv<lb/>
und negativ. Wir sahen, wie bei den Juden ein paar Männer einem<lb/>
Volk, welches durchaus nicht willig darauf einging, eine bestimmte<lb/>
nationale Idee aufzwangen, und ihm den Stempel dieser Idee so tief<lb/>
eingruben, dass es den Anschein hat, als werde dieses Volk ihn nie<lb/>
mehr auslöschen können; dazu gehörte aber Konsanguinität und Kon-<lb/>
genialität: hier wirkte also die Idee positiv schöpferisch. Ein ebenso<lb/>
merkwürdiges Beispiel ist die plötzliche Umwandlung der blutgierigen,<lb/>
wilden Mongolen zu milden, frommen Menschen, von denen ein<lb/>
Dritteil im Mönchsstande lebt, durch die Annahme des buddhistischen<lb/>
Glaubens.<note place="foot" n="2)">Vergl. hierüber Döllinger: <hi rendition="#i">Akademische Vorträge</hi> I, 8.</note> Eine Idee kann aber auch rein negativ wirken, sie kann<lb/>
den Menschen aus seiner eigenen Bahn lenken, ohne ihm dafür eine<lb/>
andere seiner Rasse angemessene zu öffnen. Ein allbekanntes Beispiel<lb/>
ist die Wirkung des Mohammedanismus auf die Turkomannen: durch<lb/>
die Annahme der fatalistischen Weltanschauung versank das wild-<lb/>
energische Volk nach und nach in volle Passivität. Wenn der jüdische<lb/>
Einfluss auf geistigem und kulturellem Gebiete in Europa die Oberhand<lb/>
gewänne, so wären wir um ein weiteres Beispiel negativer, zerstörender<lb/>
Wirkung reicher.</p><lb/>
            <p>Ich habe soeben die von mir befolgte Methode, sowie ihre Haupt-<lb/>
ergebnisse angedeutet; eine andere Zusammenfassung dieses Kapitels mag<lb/>
ich nicht geben. Organischen Erscheinungen gegenüber sind Formeln<lb/>
stets Phrasen. Man kennt die Anekdote des: <hi rendition="#i">Le voilà, le chameau!</hi><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[458/0481] Die Erben. Andererseits ist es sinnlos, einen Israeliten echtester Abstammung, dem es gelungen ist, die Fesseln Esra’s und Nehemia’s abzuwerfen, in dessen Kopf das Gesetz Mose und in dessen Herzen die Verachtung Andrer keine Stätte mehr findet, einen »Juden« zu nennen. »Welche Aussicht wäre es«, ruft Herder aus, »die Juden in ihrer Denkart rein- humanisiert zu sehen!« 1) Ein reinhumanisierter Jude ist aber kein Jude mehr, weil er, indem er der Idee des Judentums entsagt, aus dieser Nationalität, deren Wesenheit lediglich in einem Komplex von Vorstellungen, in einem »Glauben« besteht, ipso facto ausgetreten ist. Mit dem Apostel Paulus müssen wir einsehen lernen: »Denn das ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, sondern das ist ein Jude, der inwendig verborgen ist«. Derartige nationale oder religiöse Ideale können nun in zwie- facher Weise ihren umwandelnden Einfluss zur Geltung bringen, positiv und negativ. Wir sahen, wie bei den Juden ein paar Männer einem Volk, welches durchaus nicht willig darauf einging, eine bestimmte nationale Idee aufzwangen, und ihm den Stempel dieser Idee so tief eingruben, dass es den Anschein hat, als werde dieses Volk ihn nie mehr auslöschen können; dazu gehörte aber Konsanguinität und Kon- genialität: hier wirkte also die Idee positiv schöpferisch. Ein ebenso merkwürdiges Beispiel ist die plötzliche Umwandlung der blutgierigen, wilden Mongolen zu milden, frommen Menschen, von denen ein Dritteil im Mönchsstande lebt, durch die Annahme des buddhistischen Glaubens. 2) Eine Idee kann aber auch rein negativ wirken, sie kann den Menschen aus seiner eigenen Bahn lenken, ohne ihm dafür eine andere seiner Rasse angemessene zu öffnen. Ein allbekanntes Beispiel ist die Wirkung des Mohammedanismus auf die Turkomannen: durch die Annahme der fatalistischen Weltanschauung versank das wild- energische Volk nach und nach in volle Passivität. Wenn der jüdische Einfluss auf geistigem und kulturellem Gebiete in Europa die Oberhand gewänne, so wären wir um ein weiteres Beispiel negativer, zerstörender Wirkung reicher. Ich habe soeben die von mir befolgte Methode, sowie ihre Haupt- ergebnisse angedeutet; eine andere Zusammenfassung dieses Kapitels mag ich nicht geben. Organischen Erscheinungen gegenüber sind Formeln stets Phrasen. Man kennt die Anekdote des: Le voilà, le chameau! 1) Adrastea V, 7, Abschnitt »Fortsetzung«. 2) Vergl. hierüber Döllinger: Akademische Vorträge I, 8.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/481
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/481>, abgerufen am 03.06.2024.