Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. aller Herzen schlummert. Des Inders Geist umfasst enorm viel, zuviel für sein irdisches Glück; sein Gemüt ist innig und mitleidsvoll, sein Sinn fromm, sein Denken das metaphysisch tiefste der Welt, seine Phantasie ebenso üppig wie seine Urwälder, so kühn wie jenes höchste Gebirge der Erde, das sein Auge stets nach oben zieht. Zwei Dinge fehlen ihm indes fast ganz: er hat gar keinen geschichtlichen Sinn, alles hat dieses Volk hervorgebracht, nur keine Geschichte seines eigenen Lebenslaufes, nicht die Spur einer Chronik; das wäre das erste; das zweite, was ihm mangelt, ist die Fähigkeit, seine Phantasie zu zügeln, wodurch er, als Hyperidealist, den rechten Masstab für die Dinge dieser Welt und -- leider -- trotzdem kein todesmutigerer Mensch auf Erden lebt, zugleich seine Stellung als energischer Gestalter der Weltgeschichte verliert. Er war nicht Materialist genug. Weit entfernt, sich mit semitischem Hochmut für "den einzigen Menschen im wahren Sinne" zu halten, schätzte er die Menschheit überhaupt als eine Erscheinung des Lebens den anderen Erscheinungen gleichartig und lehrte als Grund- lage aller Weisheit und Religion das tat tvam asi: das bist auch du, d. h. der Mensch solle in allem Lebendigen sich selber wiederer- kennen. Da sind wir allerdings weit von dem auserwählten Völkchen, zu dessen Gunsten die Schöpfung des Kosmos unternommen wurde, zu dessen Vorteil allein die gesamte übrige Menschheit lebt und leidet, und es ist ohne Weiteres klar, dass die Gottheit, resp. Gottheiten, dieser Inder nicht solche sein werden, die man in einer Bundeslade herumträgt oder in einem Stein sich gegenwärtig denkt. Schon das eine tat tvam asi deutet auf eine kosmische Religion, und eine kos- mische Religion wiederum impliziert -- im Gegensatz zu einem Nationalglauben -- ein unmittelbares Verhältnis zwischen dem Indivi- duum und dem göttlich Übermenschlichen. Welchen anderen Sinn musste für diesen arischen Inder Religion und Glauben haben, als wie für den Semiten! "Eigentlich keinen Glauben," sagte der deutsche Weise, und der Franzose echot mit parodistischer Oberflächlichkeit: "die indoeuropäischen Völker haben ihren Glauben nie für die absolute Wahrheit gehalten."1) Ach nein! das ist doch nicht möglich und es wird durch das Leben der Brahmanen in glänzendster Weise wider- legt. Denn auch die Indoarier "stellen ihre Zeugen", wenngleich nicht ganz im selben Sinne wie Deuterojesaia und Mohammed es gemeint hatten. Wenn der Arier von Weib, Kindern und Kindes- 1) Renan: Langues semitiques, p. 7.
Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. aller Herzen schlummert. Des Inders Geist umfasst enorm viel, zuviel für sein irdisches Glück; sein Gemüt ist innig und mitleidsvoll, sein Sinn fromm, sein Denken das metaphysisch tiefste der Welt, seine Phantasie ebenso üppig wie seine Urwälder, so kühn wie jenes höchste Gebirge der Erde, das sein Auge stets nach oben zieht. Zwei Dinge fehlen ihm indes fast ganz: er hat gar keinen geschichtlichen Sinn, alles hat dieses Volk hervorgebracht, nur keine Geschichte seines eigenen Lebenslaufes, nicht die Spur einer Chronik; das wäre das erste; das zweite, was ihm mangelt, ist die Fähigkeit, seine Phantasie zu zügeln, wodurch er, als Hyperidealist, den rechten Masstab für die Dinge dieser Welt und — leider — trotzdem kein todesmutigerer Mensch auf Erden lebt, zugleich seine Stellung als energischer Gestalter der Weltgeschichte verliert. Er war nicht Materialist genug. Weit entfernt, sich mit semitischem Hochmut für »den einzigen Menschen im wahren Sinne« zu halten, schätzte er die Menschheit überhaupt als eine Erscheinung des Lebens den anderen Erscheinungen gleichartig und lehrte als Grund- lage aller Weisheit und Religion das tat tvam asi: das bist auch du, d. h. der Mensch solle in allem Lebendigen sich selber wiederer- kennen. Da sind wir allerdings weit von dem auserwählten Völkchen, zu dessen Gunsten die Schöpfung des Kosmos unternommen wurde, zu dessen Vorteil allein die gesamte übrige Menschheit lebt und leidet, und es ist ohne Weiteres klar, dass die Gottheit, resp. Gottheiten, dieser Inder nicht solche sein werden, die man in einer Bundeslade herumträgt oder in einem Stein sich gegenwärtig denkt. Schon das eine tat tvam asi deutet auf eine kosmische Religion, und eine kos- mische Religion wiederum impliziert — im Gegensatz zu einem Nationalglauben — ein unmittelbares Verhältnis zwischen dem Indivi- duum und dem göttlich Übermenschlichen. Welchen anderen Sinn musste für diesen arischen Inder Religion und Glauben haben, als wie für den Semiten! »Eigentlich keinen Glauben,« sagte der deutsche Weise, und der Franzose echot mit parodistischer Oberflächlichkeit: »die indoeuropäischen Völker haben ihren Glauben nie für die absolute Wahrheit gehalten.«1) Ach nein! das ist doch nicht möglich und es wird durch das Leben der Brahmanen in glänzendster Weise wider- legt. Denn auch die Indoarier »stellen ihre Zeugen«, wenngleich nicht ganz im selben Sinne wie Deuterojesaia und Mohammed es gemeint hatten. Wenn der Arier von Weib, Kindern und Kindes- 1) Renan: Langues sémitiques, p. 7.
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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
aller Herzen schlummert. Des Inders Geist umfasst enorm viel, zu
viel für sein irdisches Glück; sein Gemüt ist innig und mitleidsvoll,
sein Sinn fromm, sein Denken das metaphysisch tiefste der Welt, seine
Phantasie ebenso üppig wie seine Urwälder, so kühn wie jenes höchste
Gebirge der Erde, das sein Auge stets nach oben zieht. Zwei Dinge
fehlen ihm indes fast ganz: er hat gar keinen geschichtlichen Sinn,
alles hat dieses Volk hervorgebracht, nur keine Geschichte seines eigenen
Lebenslaufes, nicht die Spur einer Chronik; das wäre das erste; das
zweite, was ihm mangelt, ist die Fähigkeit, seine Phantasie zu zügeln,
wodurch er, als Hyperidealist, den rechten Masstab für die Dinge dieser
Welt und — leider — trotzdem kein todesmutigerer Mensch auf Erden
lebt, zugleich seine Stellung als energischer Gestalter der Weltgeschichte
verliert. Er war nicht Materialist genug. Weit entfernt, sich mit
semitischem Hochmut für »den einzigen Menschen im wahren Sinne«
zu halten, schätzte er die Menschheit überhaupt als eine Erscheinung
des Lebens den anderen Erscheinungen gleichartig und lehrte als Grund-
lage aller Weisheit und Religion das tat tvam asi: das bist auch du,
d. h. der Mensch solle in allem Lebendigen sich selber wiederer-
kennen. Da sind wir allerdings weit von dem auserwählten Völkchen,
zu dessen Gunsten die Schöpfung des Kosmos unternommen wurde,
zu dessen Vorteil allein die gesamte übrige Menschheit lebt und leidet,
und es ist ohne Weiteres klar, dass die Gottheit, resp. Gottheiten,
dieser Inder nicht solche sein werden, die man in einer Bundeslade
herumträgt oder in einem Stein sich gegenwärtig denkt. Schon das
eine tat tvam asi deutet auf eine kosmische Religion, und eine kos-
mische Religion wiederum impliziert — im Gegensatz zu einem
Nationalglauben — ein unmittelbares Verhältnis zwischen dem Indivi-
duum und dem göttlich Übermenschlichen. Welchen anderen Sinn
musste für diesen arischen Inder Religion und Glauben haben, als wie
für den Semiten! »Eigentlich keinen Glauben,« sagte der deutsche
Weise, und der Franzose echot mit parodistischer Oberflächlichkeit:
»die indoeuropäischen Völker haben ihren Glauben nie für die absolute
Wahrheit gehalten.« 1) Ach nein! das ist doch nicht möglich und es
wird durch das Leben der Brahmanen in glänzendster Weise wider-
legt. Denn auch die Indoarier »stellen ihre Zeugen«, wenngleich
nicht ganz im selben Sinne wie Deuterojesaia und Mohammed es
gemeint hatten. Wenn der Arier von Weib, Kindern und Kindes-
1) Renan: Langues sémitiques, p. 7.
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