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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
schlachten, ihre Altäre umwerfen, nur mein Gott soll hinfürder Gott
sein, nur ich allein auf Erden Herr! Dies ist der Monotheismus der
Wüste; nicht aus der Idee des Unendlichen entspringt er, sondern
aus der Ideenlosigkeit eines armen, hungrigen, gierigen Menschen,
dessen Gedankenkreis sich kaum über die Vorstellung erhebt, dass
Besitz und Macht höchste Wonne wäre.

Um die tiefgreifende Verwandlung der Gesinnung klar zu
machen, die durch diese semitische Auffassung des Glaubens in dem
menschlichen Gemüt bewirkt wird, kann ich nichts besseres thun als
Goethe citieren. Überall und immer werden seine Worte angeführt:
"Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschen-
geschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des
Unglaubens und des Glaubens."1) Doch weit bedeutender ist folgender
Passus im vierten Buch von Wahrheit und Dichtung: "Die allgemeine,
natürliche Religion bedarf eigentlich keines Glaubens:
denn
die Überzeugung, dass ein grosses, hervorbringendes, ordnendes und
leitendes Wesen sich gleichsam hinter der Natur verberge, um sich
uns fasslich zu machen, eine solche Überzeugung drängt sich einem
Jeden auf, ja, wenn er auch den Faden derselben, der ihn durchs
Leben führt, manchmal fahren liesse, so wird er ihn doch gleich und
überall wieder aufnehmen können. Ganz anders verhält sich's mit
der besonderen Religion, die uns verkündigt, dass jenes grosse Wesen
sich eines Einzelnen, eines Stammes, eines Volkes, einer Landschaft
entschieden und vorzüglich annehme. Diese Religion ist auf den
Glauben gegründet,
der unerschütterlich sein muss, wenn er nicht
sogleich von Grund aus zerstört werden soll. Jeder Zweifel gegen
eine solche Religion ist ihr tödlich. Zur Überzeugung kann man
zurückkehren, aber nicht zum Glauben." Diese Betrachtung führt uns
auf die richtige Spur, sie ermöglicht es uns, mit absoluter Präcision fest-
zustellen, was der Semit hier der Welt geschenkt, oder, wenn man will,
aufgezwungen hat; eine wichtige Untersuchung, denn hier liegt seine
weltgeschichtliche Bedeutung als Einfluss auf Andere, und hier liegt
auch die heutige -- von Herder und von so vielen grossen Geistern als
"fremd" empfundene -- besondere Kraft des Judentums. Goethe hat
den wesentlichsten Punkt gut erkannt und auch angedeutet, doch leider
nicht in so ausführlicher Weise, dass jeder ihn so sieht, wie er: denn er
unterscheidet zwischen einer natürlichen Religion und einer anderen,

1) Noten zum West-Östlichen Divan (Israel in der Wüste).

Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
schlachten, ihre Altäre umwerfen, nur mein Gott soll hinfürder Gott
sein, nur ich allein auf Erden Herr! Dies ist der Monotheismus der
Wüste; nicht aus der Idee des Unendlichen entspringt er, sondern
aus der Ideenlosigkeit eines armen, hungrigen, gierigen Menschen,
dessen Gedankenkreis sich kaum über die Vorstellung erhebt, dass
Besitz und Macht höchste Wonne wäre.

Um die tiefgreifende Verwandlung der Gesinnung klar zu
machen, die durch diese semitische Auffassung des Glaubens in dem
menschlichen Gemüt bewirkt wird, kann ich nichts besseres thun als
Goethe citieren. Überall und immer werden seine Worte angeführt:
»Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschen-
geschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des
Unglaubens und des Glaubens.«1) Doch weit bedeutender ist folgender
Passus im vierten Buch von Wahrheit und Dichtung: »Die allgemeine,
natürliche Religion bedarf eigentlich keines Glaubens:
denn
die Überzeugung, dass ein grosses, hervorbringendes, ordnendes und
leitendes Wesen sich gleichsam hinter der Natur verberge, um sich
uns fasslich zu machen, eine solche Überzeugung drängt sich einem
Jeden auf, ja, wenn er auch den Faden derselben, der ihn durchs
Leben führt, manchmal fahren liesse, so wird er ihn doch gleich und
überall wieder aufnehmen können. Ganz anders verhält sich’s mit
der besonderen Religion, die uns verkündigt, dass jenes grosse Wesen
sich eines Einzelnen, eines Stammes, eines Volkes, einer Landschaft
entschieden und vorzüglich annehme. Diese Religion ist auf den
Glauben gegründet,
der unerschütterlich sein muss, wenn er nicht
sogleich von Grund aus zerstört werden soll. Jeder Zweifel gegen
eine solche Religion ist ihr tödlich. Zur Überzeugung kann man
zurückkehren, aber nicht zum Glauben.« Diese Betrachtung führt uns
auf die richtige Spur, sie ermöglicht es uns, mit absoluter Präcision fest-
zustellen, was der Semit hier der Welt geschenkt, oder, wenn man will,
aufgezwungen hat; eine wichtige Untersuchung, denn hier liegt seine
weltgeschichtliche Bedeutung als Einfluss auf Andere, und hier liegt
auch die heutige — von Herder und von so vielen grossen Geistern als
»fremd« empfundene — besondere Kraft des Judentums. Goethe hat
den wesentlichsten Punkt gut erkannt und auch angedeutet, doch leider
nicht in so ausführlicher Weise, dass jeder ihn so sieht, wie er: denn er
unterscheidet zwischen einer natürlichen Religion und einer anderen,

1) Noten zum West-Östlichen Divan (Israel in der Wüste).
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[405/0428] Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. schlachten, ihre Altäre umwerfen, nur mein Gott soll hinfürder Gott sein, nur ich allein auf Erden Herr! Dies ist der Monotheismus der Wüste; nicht aus der Idee des Unendlichen entspringt er, sondern aus der Ideenlosigkeit eines armen, hungrigen, gierigen Menschen, dessen Gedankenkreis sich kaum über die Vorstellung erhebt, dass Besitz und Macht höchste Wonne wäre. Um die tiefgreifende Verwandlung der Gesinnung klar zu machen, die durch diese semitische Auffassung des Glaubens in dem menschlichen Gemüt bewirkt wird, kann ich nichts besseres thun als Goethe citieren. Überall und immer werden seine Worte angeführt: »Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschen- geschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und des Glaubens.« 1) Doch weit bedeutender ist folgender Passus im vierten Buch von Wahrheit und Dichtung: »Die allgemeine, natürliche Religion bedarf eigentlich keines Glaubens: denn die Überzeugung, dass ein grosses, hervorbringendes, ordnendes und leitendes Wesen sich gleichsam hinter der Natur verberge, um sich uns fasslich zu machen, eine solche Überzeugung drängt sich einem Jeden auf, ja, wenn er auch den Faden derselben, der ihn durchs Leben führt, manchmal fahren liesse, so wird er ihn doch gleich und überall wieder aufnehmen können. Ganz anders verhält sich’s mit der besonderen Religion, die uns verkündigt, dass jenes grosse Wesen sich eines Einzelnen, eines Stammes, eines Volkes, einer Landschaft entschieden und vorzüglich annehme. Diese Religion ist auf den Glauben gegründet, der unerschütterlich sein muss, wenn er nicht sogleich von Grund aus zerstört werden soll. Jeder Zweifel gegen eine solche Religion ist ihr tödlich. Zur Überzeugung kann man zurückkehren, aber nicht zum Glauben.« Diese Betrachtung führt uns auf die richtige Spur, sie ermöglicht es uns, mit absoluter Präcision fest- zustellen, was der Semit hier der Welt geschenkt, oder, wenn man will, aufgezwungen hat; eine wichtige Untersuchung, denn hier liegt seine weltgeschichtliche Bedeutung als Einfluss auf Andere, und hier liegt auch die heutige — von Herder und von so vielen grossen Geistern als »fremd« empfundene — besondere Kraft des Judentums. Goethe hat den wesentlichsten Punkt gut erkannt und auch angedeutet, doch leider nicht in so ausführlicher Weise, dass jeder ihn so sieht, wie er: denn er unterscheidet zwischen einer natürlichen Religion und einer anderen, 1) Noten zum West-Östlichen Divan (Israel in der Wüste).

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/428>, abgerufen am 24.11.2024.