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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
Folgende Charakteristika der Hethiter, der Amoriter und der Semiten
sollen also nur zur allgemeinsten Orientierung dienen.

Die Hethiter sehen auf den ägyptischen Bildern nichts weniger
als geistreich aus. Die übertrieben "jüdische" Nase setzt sich nach
oben in eine zurückweichende Stirn fort und unten schliesst sich ein
bisweilen noch ärger zurücktretendes Kinn an.1) Vielleicht hat sich
wirklich der Homo syriacus im Allgemeinen nicht durch den Besitz
grosser und feuriger Begabung ausgezeichnet; ich wüsste auch nicht,
dass er heute, wo er angeblich wieder überhandnimmt, hiervon Be-
weise gegeben habe. Doch besass er ohne Frage tüchtige Eigen-
schaften. Dass seine Rasse in den verschiedenen Mischungen siegreich
durchgedrungen ist und noch durchdringt, beweist grosse physische
Kraft. Dieser Kraft entsprach Ausdauer und Fleiss. Klug muss er
auch gewesen sein, nach den wenigen Bildern zu urteilen, sogar un-
geheuer schlau (was ja mit Genialität nichts zu thun hat, im Gegenteil).
Auch seine Geschichte zeigt ihn klug: er hat verstanden zu herrschen
und er hat verstanden, sich unter möglichst günstigen Bedingungen
der fremden Gewalt zu unterwerfen. Unwirtliche Gegenden machte
er urbar und, als ihre Bevölkerung zunahm, baute er Städte und war
ein so tüchtiger Kaufmann, dass im Alten Testament "Kaufmann"
und "Kanaaniter" durch ein und dasselbe Wort ausgedrückt werden.
Dass er als Krieger tapfer zu sterben wusste, bezeugt sein langer Kampf
gegen Ägypten2) und das Vorkommen solcher Charaktere wie Uria.3)
Ein Zug von Güte ist auf allen jenen sonst recht verschiedenen Por-
träts zu lesen. Man stellt sich lebhaft vor, wie diese Menschen --
gleich fern von symbolischer Mythologie und von fanatischem Wüsten-

1) Siehe namentlich die Figuren auf einem hethitischen Monument bei
Aintab: (Sayce: Hittites, p. 62) und die Typenbilder nach ägyptischen Monumenten
auf S. 361.
2) Die Hethiter scheinen lange Zeit hindurch ganz Syrien beherrscht zu
haben und wahrscheinlich ganz Kleinasien; ihre Macht war eben so gross wie die
Ägyptens in seiner Glanzzeit (siehe Wright; Empire of the Hittites, 1886, und Sayce:
The Hittites, 1892). Doch ist Vorsicht am Platze, denn die hethitische Schrift ist
noch nicht entziffert, und wenn auch hethitische Physiognomie, Tracht, Kunst und
Schreibart bereits einen bestimmten Begriff für die Wissenschaft bilden, die Ge-
schichte dieses Volkes, von dem man vor wenigen Jahren noch nichts wusste, ist
bis jetzt sehr dunkel geblieben.
3) Man lese (II Sam. XI) wie prächtig und männlich sich Uria benimmt;
neben dem verbrecherischen Leichtsinn David's sticht diese srenge, wortkarge
Pflichterfüllung angenehm ab.

Die Erben.
Folgende Charakteristika der Hethiter, der Amoriter und der Semiten
sollen also nur zur allgemeinsten Orientierung dienen.

Die Hethiter sehen auf den ägyptischen Bildern nichts weniger
als geistreich aus. Die übertrieben »jüdische« Nase setzt sich nach
oben in eine zurückweichende Stirn fort und unten schliesst sich ein
bisweilen noch ärger zurücktretendes Kinn an.1) Vielleicht hat sich
wirklich der Homo syriacus im Allgemeinen nicht durch den Besitz
grosser und feuriger Begabung ausgezeichnet; ich wüsste auch nicht,
dass er heute, wo er angeblich wieder überhandnimmt, hiervon Be-
weise gegeben habe. Doch besass er ohne Frage tüchtige Eigen-
schaften. Dass seine Rasse in den verschiedenen Mischungen siegreich
durchgedrungen ist und noch durchdringt, beweist grosse physische
Kraft. Dieser Kraft entsprach Ausdauer und Fleiss. Klug muss er
auch gewesen sein, nach den wenigen Bildern zu urteilen, sogar un-
geheuer schlau (was ja mit Genialität nichts zu thun hat, im Gegenteil).
Auch seine Geschichte zeigt ihn klug: er hat verstanden zu herrschen
und er hat verstanden, sich unter möglichst günstigen Bedingungen
der fremden Gewalt zu unterwerfen. Unwirtliche Gegenden machte
er urbar und, als ihre Bevölkerung zunahm, baute er Städte und war
ein so tüchtiger Kaufmann, dass im Alten Testament »Kaufmann«
und »Kanaaniter« durch ein und dasselbe Wort ausgedrückt werden.
Dass er als Krieger tapfer zu sterben wusste, bezeugt sein langer Kampf
gegen Ägypten2) und das Vorkommen solcher Charaktere wie Uria.3)
Ein Zug von Güte ist auf allen jenen sonst recht verschiedenen Por-
träts zu lesen. Man stellt sich lebhaft vor, wie diese Menschen —
gleich fern von symbolischer Mythologie und von fanatischem Wüsten-

1) Siehe namentlich die Figuren auf einem hethitischen Monument bei
Aintab: (Sayce: Hittites, p. 62) und die Typenbilder nach ägyptischen Monumenten
auf S. 361.
2) Die Hethiter scheinen lange Zeit hindurch ganz Syrien beherrscht zu
haben und wahrscheinlich ganz Kleinasien; ihre Macht war eben so gross wie die
Ägyptens in seiner Glanzzeit (siehe Wright; Empire of the Hittites, 1886, und Sayce:
The Hittites, 1892). Doch ist Vorsicht am Platze, denn die hethitische Schrift ist
noch nicht entziffert, und wenn auch hethitische Physiognomie, Tracht, Kunst und
Schreibart bereits einen bestimmten Begriff für die Wissenschaft bilden, die Ge-
schichte dieses Volkes, von dem man vor wenigen Jahren noch nichts wusste, ist
bis jetzt sehr dunkel geblieben.
3) Man lese (II Sam. XI) wie prächtig und männlich sich Uria benimmt;
neben dem verbrecherischen Leichtsinn David’s sticht diese srenge, wortkarge
Pflichterfüllung angenehm ab.
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[376/0399] Die Erben. Folgende Charakteristika der Hethiter, der Amoriter und der Semiten sollen also nur zur allgemeinsten Orientierung dienen. Die Hethiter sehen auf den ägyptischen Bildern nichts weniger als geistreich aus. Die übertrieben »jüdische« Nase setzt sich nach oben in eine zurückweichende Stirn fort und unten schliesst sich ein bisweilen noch ärger zurücktretendes Kinn an. 1) Vielleicht hat sich wirklich der Homo syriacus im Allgemeinen nicht durch den Besitz grosser und feuriger Begabung ausgezeichnet; ich wüsste auch nicht, dass er heute, wo er angeblich wieder überhandnimmt, hiervon Be- weise gegeben habe. Doch besass er ohne Frage tüchtige Eigen- schaften. Dass seine Rasse in den verschiedenen Mischungen siegreich durchgedrungen ist und noch durchdringt, beweist grosse physische Kraft. Dieser Kraft entsprach Ausdauer und Fleiss. Klug muss er auch gewesen sein, nach den wenigen Bildern zu urteilen, sogar un- geheuer schlau (was ja mit Genialität nichts zu thun hat, im Gegenteil). Auch seine Geschichte zeigt ihn klug: er hat verstanden zu herrschen und er hat verstanden, sich unter möglichst günstigen Bedingungen der fremden Gewalt zu unterwerfen. Unwirtliche Gegenden machte er urbar und, als ihre Bevölkerung zunahm, baute er Städte und war ein so tüchtiger Kaufmann, dass im Alten Testament »Kaufmann« und »Kanaaniter« durch ein und dasselbe Wort ausgedrückt werden. Dass er als Krieger tapfer zu sterben wusste, bezeugt sein langer Kampf gegen Ägypten 2) und das Vorkommen solcher Charaktere wie Uria. 3) Ein Zug von Güte ist auf allen jenen sonst recht verschiedenen Por- träts zu lesen. Man stellt sich lebhaft vor, wie diese Menschen — gleich fern von symbolischer Mythologie und von fanatischem Wüsten- 1) Siehe namentlich die Figuren auf einem hethitischen Monument bei Aintab: (Sayce: Hittites, p. 62) und die Typenbilder nach ägyptischen Monumenten auf S. 361. 2) Die Hethiter scheinen lange Zeit hindurch ganz Syrien beherrscht zu haben und wahrscheinlich ganz Kleinasien; ihre Macht war eben so gross wie die Ägyptens in seiner Glanzzeit (siehe Wright; Empire of the Hittites, 1886, und Sayce: The Hittites, 1892). Doch ist Vorsicht am Platze, denn die hethitische Schrift ist noch nicht entziffert, und wenn auch hethitische Physiognomie, Tracht, Kunst und Schreibart bereits einen bestimmten Begriff für die Wissenschaft bilden, die Ge- schichte dieses Volkes, von dem man vor wenigen Jahren noch nichts wusste, ist bis jetzt sehr dunkel geblieben. 3) Man lese (II Sam. XI) wie prächtig und männlich sich Uria benimmt; neben dem verbrecherischen Leichtsinn David’s sticht diese srenge, wortkarge Pflichterfüllung angenehm ab.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/399>, abgerufen am 24.11.2024.