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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.

Doch genug dieser flüchtigen historischen Fragmente. Sie zeigen,Innere
Berührung.

dass "der Eintritt der Juden" auf den Gang der europäischen Geschichte
seit dem 1. Jahrhundert einen nicht geringen und einen nach manchen
Richtungen hin gewiss verhängnisvollen Einfluss ausgeübt hat. Damit
ist aber über den Juden selber noch wenig ausgesagt; dass der nord-
amerikanische Indianer an dem Kontakt des Indoeuropäers ausstirbt,
beweist noch nicht, dass letzterer ein schlechter, verderbnisvoller
Mensch sei; dass der Jude uns schadet oder nützt, ist eine zu viel-
seitig bedingte Aussage, um ein sicheres Urteil über sein Wesen zu
gestatten. Überhaupt steht der Jude seit 19 Jahrhunderten nicht
bloss in äusserer Berührung mit unserer Kultur, als mehr oder
weniger willkommener Hospitant, sondern auch in innerer Be-
rührung. Aus seiner Mitte, wenn auch nicht aus seinem Stamm
und seinem Geist, ging Jesus Christus, gingen die frühesten Bekenner
der christlichen Religion hervor. Jüdische Geschichte, jüdische Vor-
stellungen, jüdisches Denken und Dichten wurden zu wichtigen
Bestandteilen unseres seelischen Lebens. Es geht wohl doch nicht
an, jene äussere Reibung von dieser inneren Durchdringung ganz zu
trennen. Hätten wir den Juden nicht feierlich zu unserem Ohm er-
nannt, er wäre bei uns ebensowenig heimisch geworden wie der
Sarazene oder wie jene übrigen Wracke halbsemitischer Völkerschaften,
welche nur durch bedingungsloses Aufgehen in die Nationen Süd-
europas ihr Leben -- doch nicht ihre Individualität -- retteten. Der
Jude dagegen war ein gefeites Wesen; mochte er auch hin und
wieder auf den Scheiterhaufen geschleppt werden, die blosse That-
sache, dass er Jesum Christum gekreuzigt hatte, umgab ihn mit einem
feierlichen, Furcht erregenden Nimbus. Und während das Volk auf
diese Weise fasciniert wurde, studierten die Gelehrten und heiligen

Sekretär des Abgesandten der Juden der Bouches-du-Rhone, M. Costantini). Nach
einer ausführlichen Begründung schliesst das betr. Dokument: "Les deputes israelites
arretent: Que l'expression de ces sentiments sera consignee dans le proces-verbal de ce jour
pour qu'elle demeure a jamais comme un temoignage authentique de la gratitude
des Israelites de cette Assemblee pour les bienfaits que les generations qui les ont
precedes ont recus des ecclesiastiques des divers pays d'Europe.
" Eingebracht wurde der
Antrag von M. Isaac Samuel Avigdor, Vertreter der Juden in den Alpes-Maritimes.
Tama setzt hinzu, die Rede des Avigdor sei mit Beifall aufgenommen und ihre
Aufnahme in extenso ins Protokoll beschlossen worden. -- Die heutigen jüdischen
Historiker melden kein Wort von dieser wichtigen Begebenheit. Nicht allein Graetz
übergeht sie mit Stillschweigen, sondern auch Bedarride: Les Juifs en France (1859),
der sich den Anschein giebt, als berichte er ausführlich protokollarisch.
Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.

Doch genug dieser flüchtigen historischen Fragmente. Sie zeigen,Innere
Berührung.

dass »der Eintritt der Juden« auf den Gang der europäischen Geschichte
seit dem 1. Jahrhundert einen nicht geringen und einen nach manchen
Richtungen hin gewiss verhängnisvollen Einfluss ausgeübt hat. Damit
ist aber über den Juden selber noch wenig ausgesagt; dass der nord-
amerikanische Indianer an dem Kontakt des Indoeuropäers ausstirbt,
beweist noch nicht, dass letzterer ein schlechter, verderbnisvoller
Mensch sei; dass der Jude uns schadet oder nützt, ist eine zu viel-
seitig bedingte Aussage, um ein sicheres Urteil über sein Wesen zu
gestatten. Überhaupt steht der Jude seit 19 Jahrhunderten nicht
bloss in äusserer Berührung mit unserer Kultur, als mehr oder
weniger willkommener Hospitant, sondern auch in innerer Be-
rührung. Aus seiner Mitte, wenn auch nicht aus seinem Stamm
und seinem Geist, ging Jesus Christus, gingen die frühesten Bekenner
der christlichen Religion hervor. Jüdische Geschichte, jüdische Vor-
stellungen, jüdisches Denken und Dichten wurden zu wichtigen
Bestandteilen unseres seelischen Lebens. Es geht wohl doch nicht
an, jene äussere Reibung von dieser inneren Durchdringung ganz zu
trennen. Hätten wir den Juden nicht feierlich zu unserem Ohm er-
nannt, er wäre bei uns ebensowenig heimisch geworden wie der
Sarazene oder wie jene übrigen Wracke halbsemitischer Völkerschaften,
welche nur durch bedingungsloses Aufgehen in die Nationen Süd-
europas ihr Leben — doch nicht ihre Individualität — retteten. Der
Jude dagegen war ein gefeites Wesen; mochte er auch hin und
wieder auf den Scheiterhaufen geschleppt werden, die blosse That-
sache, dass er Jesum Christum gekreuzigt hatte, umgab ihn mit einem
feierlichen, Furcht erregenden Nimbus. Und während das Volk auf
diese Weise fasciniert wurde, studierten die Gelehrten und heiligen

Sekretär des Abgesandten der Juden der Bouches-du-Rhône, M. Costantini). Nach
einer ausführlichen Begründung schliesst das betr. Dokument: »Les députés israélites
arrêtent: Que l’expression de ces sentiments sera consignée dans le procès-verbal de ce jour
pour qu’elle demeure à jamais comme un témoignage authentique de la gratitude
des Israélites de cette Assemblée pour les bienfaits que les générations qui les ont
précédés ont reçus des ecclésiastiques des divers pays d’Europe.
« Eingebracht wurde der
Antrag von M. Isaac Samuel Avigdor, Vertreter der Juden in den Alpes-Maritimes.
Tama setzt hinzu, die Rede des Avigdor sei mit Beifall aufgenommen und ihre
Aufnahme in extenso ins Protokoll beschlossen worden. — Die heutigen jüdischen
Historiker melden kein Wort von dieser wichtigen Begebenheit. Nicht allein Graetz
übergeht sie mit Stillschweigen, sondern auch Bédarride: Les Juifs en France (1859),
der sich den Anschein giebt, als berichte er ausführlich protokollarisch.
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[341/0364] Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. Doch genug dieser flüchtigen historischen Fragmente. Sie zeigen, dass »der Eintritt der Juden« auf den Gang der europäischen Geschichte seit dem 1. Jahrhundert einen nicht geringen und einen nach manchen Richtungen hin gewiss verhängnisvollen Einfluss ausgeübt hat. Damit ist aber über den Juden selber noch wenig ausgesagt; dass der nord- amerikanische Indianer an dem Kontakt des Indoeuropäers ausstirbt, beweist noch nicht, dass letzterer ein schlechter, verderbnisvoller Mensch sei; dass der Jude uns schadet oder nützt, ist eine zu viel- seitig bedingte Aussage, um ein sicheres Urteil über sein Wesen zu gestatten. Überhaupt steht der Jude seit 19 Jahrhunderten nicht bloss in äusserer Berührung mit unserer Kultur, als mehr oder weniger willkommener Hospitant, sondern auch in innerer Be- rührung. Aus seiner Mitte, wenn auch nicht aus seinem Stamm und seinem Geist, ging Jesus Christus, gingen die frühesten Bekenner der christlichen Religion hervor. Jüdische Geschichte, jüdische Vor- stellungen, jüdisches Denken und Dichten wurden zu wichtigen Bestandteilen unseres seelischen Lebens. Es geht wohl doch nicht an, jene äussere Reibung von dieser inneren Durchdringung ganz zu trennen. Hätten wir den Juden nicht feierlich zu unserem Ohm er- nannt, er wäre bei uns ebensowenig heimisch geworden wie der Sarazene oder wie jene übrigen Wracke halbsemitischer Völkerschaften, welche nur durch bedingungsloses Aufgehen in die Nationen Süd- europas ihr Leben — doch nicht ihre Individualität — retteten. Der Jude dagegen war ein gefeites Wesen; mochte er auch hin und wieder auf den Scheiterhaufen geschleppt werden, die blosse That- sache, dass er Jesum Christum gekreuzigt hatte, umgab ihn mit einem feierlichen, Furcht erregenden Nimbus. Und während das Volk auf diese Weise fasciniert wurde, studierten die Gelehrten und heiligen 2) Innere Berührung. 2) Sekretär des Abgesandten der Juden der Bouches-du-Rhône, M. Costantini). Nach einer ausführlichen Begründung schliesst das betr. Dokument: »Les députés israélites arrêtent: Que l’expression de ces sentiments sera consignée dans le procès-verbal de ce jour pour qu’elle demeure à jamais comme un témoignage authentique de la gratitude des Israélites de cette Assemblée pour les bienfaits que les générations qui les ont précédés ont reçus des ecclésiastiques des divers pays d’Europe.« Eingebracht wurde der Antrag von M. Isaac Samuel Avigdor, Vertreter der Juden in den Alpes-Maritimes. Tama setzt hinzu, die Rede des Avigdor sei mit Beifall aufgenommen und ihre Aufnahme in extenso ins Protokoll beschlossen worden. — Die heutigen jüdischen Historiker melden kein Wort von dieser wichtigen Begebenheit. Nicht allein Graetz übergeht sie mit Stillschweigen, sondern auch Bédarride: Les Juifs en France (1859), der sich den Anschein giebt, als berichte er ausführlich protokollarisch.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/364>, abgerufen am 14.06.2024.