Hätte ich vor hundert Jahren geschrieben, so würde ich michDie Judenfrage. kaum veranlasst gefühlt haben, an dieser Stelle dem Eintritt der Juden in die europäische Geschichte ein besonderes Kapitel zu widmen. Allerdings hätte ihre Beteiligung an der Entstehung des Christentums, wegen des von dort aus infiltrierten besonderen und durchaus unarischen Geistes, die volle Aufmerksamkeit verdient, sodann auch ihre wirt- schaftliche Rolle in allen christlichen Jahrhunderten; doch hätte eine gelegentliche Erwähnung dieser Dinge genügt, mehr wäre ein Zuviel gewesen. Herder schrieb denn auch damals: "Die jüdische Geschichte nimmt mehr Platz in unserer Historie und Aufmerksamkeit ein, als sie an sich verdienen möchte."1) Inzwischen jedoch ist eine grosse Änderung vorgegangen: die Juden spielen in Europa, und überall, wo europäische Hände hinreichen, eine andere Rolle heute als vor hundert Jahren; mag man über ihre vergangene Historie denken wie man will, ihre gegenwärtige nimmt thatsächlich so viel Platz in unserer eigenen Geschichte ein, dass wir ihr unmöglich die Aufmerksamkeit entziehen können. Herder hatte trotz seines ausgesprochenen Humanismus doch gemeint: "Das Volk der Juden ist und bleibt auch in Europa ein unserem Weltteil fremdes, asiatisches Volk, an jenes alte, unter einem entfernten Himmelsstrich ihm gegebene und nach eigenem Geständnis von ihm unauflösbare Gesetz gebunden."2) Ganz richtig. Dieses fremde Volk aber, ewig fremd, weil -- wie Herder so richtig bemerkt -- an ein fremdes, allen anderen Völkern feindliches Gesetz unauflösbar gebunden, dieses fremde Volk ist gerade im Laufe unseres Jahrhunderts ein unverhältnismässig wichtiger, auf manchen Gebieten geradezu ausschlaggebender Bestandteil unseres Lebens geworden. Schon vor hundert Jahren durfte jener selbe Zeuge mit Wehmut gestehen, die "roheren Nationen Europas" seien "freiwillige Sklaven
1)Von den deutsch-orientalischen Dichtern, Abschn. 2.
2)Bekehrung der Juden. Abschnitt 7 der Unternehmungen des vergangenen Jahrhunderts zur Beförderung eines geistigen Reiches.
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Hätte ich vor hundert Jahren geschrieben, so würde ich michDie Judenfrage. kaum veranlasst gefühlt haben, an dieser Stelle dem Eintritt der Juden in die europäische Geschichte ein besonderes Kapitel zu widmen. Allerdings hätte ihre Beteiligung an der Entstehung des Christentums, wegen des von dort aus infiltrierten besonderen und durchaus unarischen Geistes, die volle Aufmerksamkeit verdient, sodann auch ihre wirt- schaftliche Rolle in allen christlichen Jahrhunderten; doch hätte eine gelegentliche Erwähnung dieser Dinge genügt, mehr wäre ein Zuviel gewesen. Herder schrieb denn auch damals: »Die jüdische Geschichte nimmt mehr Platz in unserer Historie und Aufmerksamkeit ein, als sie an sich verdienen möchte.«1) Inzwischen jedoch ist eine grosse Änderung vorgegangen: die Juden spielen in Europa, und überall, wo europäische Hände hinreichen, eine andere Rolle heute als vor hundert Jahren; mag man über ihre vergangene Historie denken wie man will, ihre gegenwärtige nimmt thatsächlich so viel Platz in unserer eigenen Geschichte ein, dass wir ihr unmöglich die Aufmerksamkeit entziehen können. Herder hatte trotz seines ausgesprochenen Humanismus doch gemeint: »Das Volk der Juden ist und bleibt auch in Europa ein unserem Weltteil fremdes, asiatisches Volk, an jenes alte, unter einem entfernten Himmelsstrich ihm gegebene und nach eigenem Geständnis von ihm unauflösbare Gesetz gebunden.«2) Ganz richtig. Dieses fremde Volk aber, ewig fremd, weil — wie Herder so richtig bemerkt — an ein fremdes, allen anderen Völkern feindliches Gesetz unauflösbar gebunden, dieses fremde Volk ist gerade im Laufe unseres Jahrhunderts ein unverhältnismässig wichtiger, auf manchen Gebieten geradezu ausschlaggebender Bestandteil unseres Lebens geworden. Schon vor hundert Jahren durfte jener selbe Zeuge mit Wehmut gestehen, die »roheren Nationen Europas« seien »freiwillige Sklaven
1)Von den deutsch-orientalischen Dichtern, Abschn. 2.
2)Bekehrung der Juden. Abschnitt 7 der Unternehmungen des vergangenen Jahrhunderts zur Beförderung eines geistigen Reiches.
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Hätte ich vor hundert Jahren geschrieben, so würde ich mich
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Juden in die europäische Geschichte ein besonderes Kapitel zu widmen.
Allerdings hätte ihre Beteiligung an der Entstehung des Christentums,
wegen des von dort aus infiltrierten besonderen und durchaus unarischen
Geistes, die volle Aufmerksamkeit verdient, sodann auch ihre wirt-
schaftliche Rolle in allen christlichen Jahrhunderten; doch hätte eine
gelegentliche Erwähnung dieser Dinge genügt, mehr wäre ein Zuviel
gewesen. Herder schrieb denn auch damals: »Die jüdische Geschichte
nimmt mehr Platz in unserer Historie und Aufmerksamkeit ein, als
sie an sich verdienen möchte.« 1) Inzwischen jedoch ist eine grosse
Änderung vorgegangen: die Juden spielen in Europa, und überall, wo
europäische Hände hinreichen, eine andere Rolle heute als vor hundert
Jahren; mag man über ihre vergangene Historie denken wie man will,
ihre gegenwärtige nimmt thatsächlich so viel Platz in unserer eigenen
Geschichte ein, dass wir ihr unmöglich die Aufmerksamkeit entziehen
können. Herder hatte trotz seines ausgesprochenen Humanismus
doch gemeint: »Das Volk der Juden ist und bleibt auch in Europa
ein unserem Weltteil fremdes, asiatisches Volk, an jenes alte,
unter einem entfernten Himmelsstrich ihm gegebene und nach eigenem
Geständnis von ihm unauflösbare Gesetz gebunden.« 2) Ganz richtig.
Dieses fremde Volk aber, ewig fremd, weil — wie Herder so richtig
bemerkt — an ein fremdes, allen anderen Völkern feindliches Gesetz
unauflösbar gebunden, dieses fremde Volk ist gerade im Laufe unseres
Jahrhunderts ein unverhältnismässig wichtiger, auf manchen Gebieten
geradezu ausschlaggebender Bestandteil unseres Lebens geworden.
Schon vor hundert Jahren durfte jener selbe Zeuge mit Wehmut
gestehen, die »roheren Nationen Europas« seien »freiwillige Sklaven
Die
Judenfrage.
1) Von den deutsch-orientalischen Dichtern, Abschn. 2.
2) Bekehrung der Juden. Abschnitt 7 der Unternehmungen des vergangenen
Jahrhunderts zur Beförderung eines geistigen Reiches.
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. [323]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/346>, abgerufen am 25.11.2024.
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