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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erscheinung Christi.
(welches alles höchste Denken und Dichten dieser Völker einschliesst)
wie die vorhin genannten Zungenlaute, nämlich wie 2 zu 7. Man
sehe doch, welche üppigste Blüte herrlichster religiöser Vorstellungen
und Begriffe, und dazu, welche Kunst und welche Philosophie, dank
den Griechen und Germanen, auf dem Boden des Christentums empor-
schoss, und frage sich dann, um welche Bilder und Gedanken das
angeblich religiöse Volk der Juden die Menschheit inzwischen bereichert
hat! Spinoza's "geometrische Ethik" (eine falsche, totgeborene An-
wendung eines genialen und schöpferisch produktiven Gedankens von
Descartes) dünkt mich in Wirklichkeit die blutigste Ironisierung der
Talmudmoral und hat jedenfalls noch weniger als die wahrscheinlich den
Ägyptern entlehnten1) zehn Gebote des Moses mit Religion gemein.
Nein, die Achtung gebietende Kraft des Judentums liegt auf einem
ganz anderen Felde; ich komme gleich darauf zu sprechen.

Wie war es denn aber möglich, unsere Urteilsfähigkeit so zu
umnebeln, dass wir die Juden für ein religiöses Volk halten konnten?

Zunächst waren es die Juden selber, die seit jeher mit äusserster
Vehemenz und Volubilität versicherten, sie seien "das Volk Gottes";
selbst ein freisinniger Jude wie der Philosoph Philo, stellt die kühne
Behauptung auf, einzig die Israeliten seien "Menschen im wahren
Sinne";2) die guten dummen Indogermanen glaubten es ihnen! Wie
schwer es diesen aber wurde, beweist der Gang der Geschichte und
die Aussprüche aller ihrer bedeutendsten Männer. Ermöglicht wurde
diese Glaubensseligkeit einzig durch die christlichen Schriftausleger,
welche die gesamte Geschichte Judas zu einer Theodicee umbauten, in
welcher die Kreuzigung Christi den Endpunkt bedeutet. Sogar Schiller
(Die Sendung Moses) deutet an: die Vorsehung habe die jüdische
Nation zerbrochen, sobald sie geleistet hatte, was sie sollte! Dabei
übersahen diese Gelehrten die fatale Thatsache, dass das Judentum
dem Dasein Christi nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt
hat, dass seine älteren Historiker den Namen nicht einmal nennen;
wozu heute die Wahrnehmung kommt, dass die Geschichte dieses
eigenartigen Volkes nach zwei Jahrtausenden weiterlebt und von hoher
Blüte zeugt; niemals, selbst in Alexandrien nicht, ist das Schicksal der
Juden ein so glänzendes gewesen wie heute. Schliesslich wirkte noch
ein drittes Vorurteil mit, welches im letzten Grunde aus den philo-

1) Siehe das Kapitel 125 des Totenbuches.
2) Von Graetz a. a. O. I, 634 ohne nähere Angabe des Ortes citiert.

Die Erscheinung Christi.
(welches alles höchste Denken und Dichten dieser Völker einschliesst)
wie die vorhin genannten Zungenlaute, nämlich wie 2 zu 7. Man
sehe doch, welche üppigste Blüte herrlichster religiöser Vorstellungen
und Begriffe, und dazu, welche Kunst und welche Philosophie, dank
den Griechen und Germanen, auf dem Boden des Christentums empor-
schoss, und frage sich dann, um welche Bilder und Gedanken das
angeblich religiöse Volk der Juden die Menschheit inzwischen bereichert
hat! Spinoza’s »geometrische Ethik« (eine falsche, totgeborene An-
wendung eines genialen und schöpferisch produktiven Gedankens von
Descartes) dünkt mich in Wirklichkeit die blutigste Ironisierung der
Talmudmoral und hat jedenfalls noch weniger als die wahrscheinlich den
Ägyptern entlehnten1) zehn Gebote des Moses mit Religion gemein.
Nein, die Achtung gebietende Kraft des Judentums liegt auf einem
ganz anderen Felde; ich komme gleich darauf zu sprechen.

Wie war es denn aber möglich, unsere Urteilsfähigkeit so zu
umnebeln, dass wir die Juden für ein religiöses Volk halten konnten?

Zunächst waren es die Juden selber, die seit jeher mit äusserster
Vehemenz und Volubilität versicherten, sie seien »das Volk Gottes«;
selbst ein freisinniger Jude wie der Philosoph Philo, stellt die kühne
Behauptung auf, einzig die Israeliten seien »Menschen im wahren
Sinne«;2) die guten dummen Indogermanen glaubten es ihnen! Wie
schwer es diesen aber wurde, beweist der Gang der Geschichte und
die Aussprüche aller ihrer bedeutendsten Männer. Ermöglicht wurde
diese Glaubensseligkeit einzig durch die christlichen Schriftausleger,
welche die gesamte Geschichte Judas zu einer Theodicee umbauten, in
welcher die Kreuzigung Christi den Endpunkt bedeutet. Sogar Schiller
(Die Sendung Moses) deutet an: die Vorsehung habe die jüdische
Nation zerbrochen, sobald sie geleistet hatte, was sie sollte! Dabei
übersahen diese Gelehrten die fatale Thatsache, dass das Judentum
dem Dasein Christi nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt
hat, dass seine älteren Historiker den Namen nicht einmal nennen;
wozu heute die Wahrnehmung kommt, dass die Geschichte dieses
eigenartigen Volkes nach zwei Jahrtausenden weiterlebt und von hoher
Blüte zeugt; niemals, selbst in Alexandrien nicht, ist das Schicksal der
Juden ein so glänzendes gewesen wie heute. Schliesslich wirkte noch
ein drittes Vorurteil mit, welches im letzten Grunde aus den philo-

1) Siehe das Kapitel 125 des Totenbuches.
2) Von Graetz a. a. O. I, 634 ohne nähere Angabe des Ortes citiert.
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[223/0246] Die Erscheinung Christi. (welches alles höchste Denken und Dichten dieser Völker einschliesst) wie die vorhin genannten Zungenlaute, nämlich wie 2 zu 7. Man sehe doch, welche üppigste Blüte herrlichster religiöser Vorstellungen und Begriffe, und dazu, welche Kunst und welche Philosophie, dank den Griechen und Germanen, auf dem Boden des Christentums empor- schoss, und frage sich dann, um welche Bilder und Gedanken das angeblich religiöse Volk der Juden die Menschheit inzwischen bereichert hat! Spinoza’s »geometrische Ethik« (eine falsche, totgeborene An- wendung eines genialen und schöpferisch produktiven Gedankens von Descartes) dünkt mich in Wirklichkeit die blutigste Ironisierung der Talmudmoral und hat jedenfalls noch weniger als die wahrscheinlich den Ägyptern entlehnten 1) zehn Gebote des Moses mit Religion gemein. Nein, die Achtung gebietende Kraft des Judentums liegt auf einem ganz anderen Felde; ich komme gleich darauf zu sprechen. Wie war es denn aber möglich, unsere Urteilsfähigkeit so zu umnebeln, dass wir die Juden für ein religiöses Volk halten konnten? Zunächst waren es die Juden selber, die seit jeher mit äusserster Vehemenz und Volubilität versicherten, sie seien »das Volk Gottes«; selbst ein freisinniger Jude wie der Philosoph Philo, stellt die kühne Behauptung auf, einzig die Israeliten seien »Menschen im wahren Sinne«; 2) die guten dummen Indogermanen glaubten es ihnen! Wie schwer es diesen aber wurde, beweist der Gang der Geschichte und die Aussprüche aller ihrer bedeutendsten Männer. Ermöglicht wurde diese Glaubensseligkeit einzig durch die christlichen Schriftausleger, welche die gesamte Geschichte Judas zu einer Theodicee umbauten, in welcher die Kreuzigung Christi den Endpunkt bedeutet. Sogar Schiller (Die Sendung Moses) deutet an: die Vorsehung habe die jüdische Nation zerbrochen, sobald sie geleistet hatte, was sie sollte! Dabei übersahen diese Gelehrten die fatale Thatsache, dass das Judentum dem Dasein Christi nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hat, dass seine älteren Historiker den Namen nicht einmal nennen; wozu heute die Wahrnehmung kommt, dass die Geschichte dieses eigenartigen Volkes nach zwei Jahrtausenden weiterlebt und von hoher Blüte zeugt; niemals, selbst in Alexandrien nicht, ist das Schicksal der Juden ein so glänzendes gewesen wie heute. Schliesslich wirkte noch ein drittes Vorurteil mit, welches im letzten Grunde aus den philo- 1) Siehe das Kapitel 125 des Totenbuches. 2) Von Graetz a. a. O. I, 634 ohne nähere Angabe des Ortes citiert.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/246>, abgerufen am 22.05.2024.