Hiermit will ich aber keineswegs tendenziös moralisieren. Die altrömischen Regierungsformen wären für neue Verhältnisse und neue Menschen nicht verwendbar gewesen, reichten sie doch schon für das erweiterte Rom nicht mehr aus. Dazu war das Christentum gekommen, und mit ihm die Abschaffung der Sklaverei ein offen- bares Gebot geworden. Das alles machte ein starkes Königtum nötig. Ohne die Könige wäre das Sklaventum niemals in Europa abgeschafft worden, nie hätte der Adel seine Sklaven freigegeben, vielmehr machte er die freigeborenen Männer zu Leibeigenen. Das Erstarken des Königtums ist seit tausend Jahren überall eine Vorbedingung für das Erstarken geordneter gesellschaftlicher Verhältnisse und bürgerlicher Freiheit gewesen, und auch heute würde vielleicht in keinem einzigen Lande Europas ein ganz freies Plebiscit eine andere Regierungsform denn die monarchische als Gesamtwillen kundgeben. Immer klarer erfasst auch das öffentliche Bewusstsein durch die trügerischen Um- hüllungen hindurch, welche Rabulisten und Sophisten ihm umhingen, den echten Rechtsgehalt des Königtumes, nämlich die alte römische Auffassung eines obersten Staatsbeamten, vermehrt jedoch um ein Element, welches die Juristen ein "sacrales" nennen, und welches einen nicht unpassenden mystischen Ausdruck in den Worten findet: von Gottes Gnaden. Manches was wir in unserm lieben neunzehnten Jahrhundert um uns her beobachteten, berechtigt wohl zur Über- zeugung, dass wir ohne Königtum und ohne eine besondere Gnade Gottes uns noch heute nicht zu regieren verstehen würden. Dazu gehörten vielleicht nicht allein die Tugenden der Römer, sondern auch ihre Mängel, vor allem ihre übergrosse geistige Nüchternheit.
Wie dem auch sei, man sieht, das von Rom auf uns über- kommene politische und staatsrechtliche Erbe bildet eine ziemlich ver- wickelte und verworrene Masse, und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen: erstens, weil Rom anstatt wie Athen kurz zu blühen und dann ganz zu verschwinden, 2500 Jahre lang bestand, zunächst als weltbeherrschender Staat, später als mächtige Staatsidee, wodurch die Einheit des Impulses sich in eine ganze Reihe von Anstössen auflöste, die sich häufig gegenseitig aufhoben; zweitens, weil das Werk eines unvergleichlich thatkräftigen, indoeuropäischen Volkes später von den subtilsten Geistern der westasiatischen Mischvölker bearbeitet und gehandhabt wurde, was abermals die Einheit des Charakters verwischte.
Ich hoffe, meine spärlichen Andeutungen über ungemein ver- wickelte weltgeschichtliche Verhältnisse werden genügt haben, um
Römisches Recht.
Hiermit will ich aber keineswegs tendenziös moralisieren. Die altrömischen Regierungsformen wären für neue Verhältnisse und neue Menschen nicht verwendbar gewesen, reichten sie doch schon für das erweiterte Rom nicht mehr aus. Dazu war das Christentum gekommen, und mit ihm die Abschaffung der Sklaverei ein offen- bares Gebot geworden. Das alles machte ein starkes Königtum nötig. Ohne die Könige wäre das Sklaventum niemals in Europa abgeschafft worden, nie hätte der Adel seine Sklaven freigegeben, vielmehr machte er die freigeborenen Männer zu Leibeigenen. Das Erstarken des Königtums ist seit tausend Jahren überall eine Vorbedingung für das Erstarken geordneter gesellschaftlicher Verhältnisse und bürgerlicher Freiheit gewesen, und auch heute würde vielleicht in keinem einzigen Lande Europas ein ganz freies Plebiscit eine andere Regierungsform denn die monarchische als Gesamtwillen kundgeben. Immer klarer erfasst auch das öffentliche Bewusstsein durch die trügerischen Um- hüllungen hindurch, welche Rabulisten und Sophisten ihm umhingen, den echten Rechtsgehalt des Königtumes, nämlich die alte römische Auffassung eines obersten Staatsbeamten, vermehrt jedoch um ein Element, welches die Juristen ein »sacrales« nennen, und welches einen nicht unpassenden mystischen Ausdruck in den Worten findet: von Gottes Gnaden. Manches was wir in unserm lieben neunzehnten Jahrhundert um uns her beobachteten, berechtigt wohl zur Über- zeugung, dass wir ohne Königtum und ohne eine besondere Gnade Gottes uns noch heute nicht zu regieren verstehen würden. Dazu gehörten vielleicht nicht allein die Tugenden der Römer, sondern auch ihre Mängel, vor allem ihre übergrosse geistige Nüchternheit.
Wie dem auch sei, man sieht, das von Rom auf uns über- kommene politische und staatsrechtliche Erbe bildet eine ziemlich ver- wickelte und verworrene Masse, und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen: erstens, weil Rom anstatt wie Athen kurz zu blühen und dann ganz zu verschwinden, 2500 Jahre lang bestand, zunächst als weltbeherrschender Staat, später als mächtige Staatsidee, wodurch die Einheit des Impulses sich in eine ganze Reihe von Anstössen auflöste, die sich häufig gegenseitig aufhoben; zweitens, weil das Werk eines unvergleichlich thatkräftigen, indoeuropäischen Volkes später von den subtilsten Geistern der westasiatischen Mischvölker bearbeitet und gehandhabt wurde, was abermals die Einheit des Charakters verwischte.
Ich hoffe, meine spärlichen Andeutungen über ungemein ver- wickelte weltgeschichtliche Verhältnisse werden genügt haben, um
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Römisches Recht.
Hiermit will ich aber keineswegs tendenziös moralisieren. Die
altrömischen Regierungsformen wären für neue Verhältnisse und neue
Menschen nicht verwendbar gewesen, reichten sie doch schon für
das erweiterte Rom nicht mehr aus. Dazu war das Christentum
gekommen, und mit ihm die Abschaffung der Sklaverei ein offen-
bares Gebot geworden. Das alles machte ein starkes Königtum nötig.
Ohne die Könige wäre das Sklaventum niemals in Europa abgeschafft
worden, nie hätte der Adel seine Sklaven freigegeben, vielmehr machte
er die freigeborenen Männer zu Leibeigenen. Das Erstarken des
Königtums ist seit tausend Jahren überall eine Vorbedingung für das
Erstarken geordneter gesellschaftlicher Verhältnisse und bürgerlicher
Freiheit gewesen, und auch heute würde vielleicht in keinem einzigen
Lande Europas ein ganz freies Plebiscit eine andere Regierungsform
denn die monarchische als Gesamtwillen kundgeben. Immer klarer
erfasst auch das öffentliche Bewusstsein durch die trügerischen Um-
hüllungen hindurch, welche Rabulisten und Sophisten ihm umhingen,
den echten Rechtsgehalt des Königtumes, nämlich die alte römische
Auffassung eines obersten Staatsbeamten, vermehrt jedoch um ein
Element, welches die Juristen ein »sacrales« nennen, und welches
einen nicht unpassenden mystischen Ausdruck in den Worten findet:
von Gottes Gnaden. Manches was wir in unserm lieben neunzehnten
Jahrhundert um uns her beobachteten, berechtigt wohl zur Über-
zeugung, dass wir ohne Königtum und ohne eine besondere Gnade
Gottes uns noch heute nicht zu regieren verstehen würden. Dazu
gehörten vielleicht nicht allein die Tugenden der Römer, sondern
auch ihre Mängel, vor allem ihre übergrosse geistige Nüchternheit.
Wie dem auch sei, man sieht, das von Rom auf uns über-
kommene politische und staatsrechtliche Erbe bildet eine ziemlich ver-
wickelte und verworrene Masse, und zwar hauptsächlich aus zwei
Gründen: erstens, weil Rom anstatt wie Athen kurz zu blühen und
dann ganz zu verschwinden, 2500 Jahre lang bestand, zunächst als
weltbeherrschender Staat, später als mächtige Staatsidee, wodurch die
Einheit des Impulses sich in eine ganze Reihe von Anstössen auflöste,
die sich häufig gegenseitig aufhoben; zweitens, weil das Werk eines
unvergleichlich thatkräftigen, indoeuropäischen Volkes später von den
subtilsten Geistern der westasiatischen Mischvölker bearbeitet und
gehandhabt wurde, was abermals die Einheit des Charakters verwischte.
Ich hoffe, meine spärlichen Andeutungen über ungemein ver-
wickelte weltgeschichtliche Verhältnisse werden genügt haben, um
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/178>, abgerufen am 24.11.2024.
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