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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
Beispiele eines eigentümlichen Scharfblickes. Schon in der Ilias z. B.
heisst Poseidon der "Erderschütterer"; dieser Gott, d. h. also das
Wasser und namentlich das Meer, wird immer als Ursache der Erd-
beben genannt: das stimmt mit den Ergebnissen der modernsten
Wissenschaft genau überein! Jedoch will ich auf solche Züge nur
als Kontrast zu der Beschränktheit jener Helden einer angeblichen
"Aufklärung" hingewiesen haben. -- Weit auffallenderen Beispielen
der Reinigung der Wirklichkeit von dem Scheine begegnen wir auf
dem Gebiete der Astrophysik, namentlich in der Schule des Pytha-
goras. Die Lehre von der Kugelgestalt der Erde findet sich schon
bei den frühesten Adepten, und selbst das viele Phantastische, was
den Vorstellungen dieser Ältesten noch anhaftete, ist äusserst lehrreich,
weil es das zukünftige Richtige gewissermassen in nuce enthält.1)
Und so gesellte sich denn bei den Pythagoreern mit der Zeit zu der
Lehre von der Kugelgestalt der Erde und von der Neigung der
Erdbahn auch die der Achsendrehung sowie der Bewegung um einen
Mittelpunkt im Raume, verbürgt von Philolaus an, einem Zeitgenossen
des Demokrit; eine Generation nachher war auch das hypothetische
"Centralfeuer" durch die Sonne ersetzt. Nicht als Philosoph freilich,
sondern als Astronom hat dann später (etwa 250 v. Chr.) Aristarchos
das heliozentrische System klar begründet, die Entfernung von Sonne
und Mond zu berechnen unternommen und in der Sonne (1900 Jahre
vor Giordano Bruno) einen der zahllosen Fixsterne erkannt.2) Welche

Astronom Schiaparelli mit Recht bemerkt: "Solche Männer sind nicht wert zu
verstehen, welche gewaltige spekulative Kraft nötig war, um zu der Idee von der
Kugelgestalt der Erde, ihres freien Schwebens im Raume und ihrer Beweglichkeit
zu gelangen: Ideen, ohne welche wir weder einen Kopernikus, noch einen Kepler,
einen Galilei, einen Newton gehabt hätten" (im unten citierten Werke, S. 16).
1) Zeller: Die Philosophie der Griechen, 3. Aufl., S. 369. Mehr technisch
aber ungemein lichtvoll auseinandergesetzt in der Schrift von Schiaparelli: Die
Vorläufer des Kopernikus im Altertum
(nach dem italienischen Original ins Deutsche
übertragen vom Verfasser und M. Curtze, erschienen in der Altpreussischen Monats-
schrift,
Jahrgang 1876). "Wir sind in der Lage, konstatieren zu können, dass
die Entwickelung der physischen Prinzipien dieser Schule durch logische Ver-
kettung der Ideen zur Theorie der Bewegung der Erde führen musste". (S. 5 fg.)
Viel Ausführlicheres über "die geradezu revolutionäre Anschauung, dass nicht die
Erde den Mittelpunkt des Universums einnehme" in dem vor kurzem erschienenen
Buch von Wilhelm Bauer: Der ältere Pythagoreismus (1897), S. 54 fg., 64 fg. u. s. w.
2) "Aristarchos stellt die Sonne unter die Zahl der Fixsterne und lässt die
Erde sich durch den Sonnenkreis (d. h. die Ekliptik) bewegen und sagt, sie werde
je nach ihrer Neigung beschattet", berichtet Plutarch. Für dieses und die anderen

Das Erbe der alten Welt.
Beispiele eines eigentümlichen Scharfblickes. Schon in der Ilias z. B.
heisst Poseidon der »Erderschütterer«; dieser Gott, d. h. also das
Wasser und namentlich das Meer, wird immer als Ursache der Erd-
beben genannt: das stimmt mit den Ergebnissen der modernsten
Wissenschaft genau überein! Jedoch will ich auf solche Züge nur
als Kontrast zu der Beschränktheit jener Helden einer angeblichen
»Aufklärung« hingewiesen haben. — Weit auffallenderen Beispielen
der Reinigung der Wirklichkeit von dem Scheine begegnen wir auf
dem Gebiete der Astrophysik, namentlich in der Schule des Pytha-
goras. Die Lehre von der Kugelgestalt der Erde findet sich schon
bei den frühesten Adepten, und selbst das viele Phantastische, was
den Vorstellungen dieser Ältesten noch anhaftete, ist äusserst lehrreich,
weil es das zukünftige Richtige gewissermassen in nuce enthält.1)
Und so gesellte sich denn bei den Pythagoreern mit der Zeit zu der
Lehre von der Kugelgestalt der Erde und von der Neigung der
Erdbahn auch die der Achsendrehung sowie der Bewegung um einen
Mittelpunkt im Raume, verbürgt von Philolaus an, einem Zeitgenossen
des Demokrit; eine Generation nachher war auch das hypothetische
»Centralfeuer« durch die Sonne ersetzt. Nicht als Philosoph freilich,
sondern als Astronom hat dann später (etwa 250 v. Chr.) Aristarchos
das heliozentrische System klar begründet, die Entfernung von Sonne
und Mond zu berechnen unternommen und in der Sonne (1900 Jahre
vor Giordano Bruno) einen der zahllosen Fixsterne erkannt.2) Welche

Astronom Schiaparelli mit Recht bemerkt: »Solche Männer sind nicht wert zu
verstehen, welche gewaltige spekulative Kraft nötig war, um zu der Idee von der
Kugelgestalt der Erde, ihres freien Schwebens im Raume und ihrer Beweglichkeit
zu gelangen: Ideen, ohne welche wir weder einen Kopernikus, noch einen Kepler,
einen Galilei, einen Newton gehabt hätten« (im unten citierten Werke, S. 16).
1) Zeller: Die Philosophie der Griechen, 3. Aufl., S. 369. Mehr technisch
aber ungemein lichtvoll auseinandergesetzt in der Schrift von Schiaparelli: Die
Vorläufer des Kopernikus im Altertum
(nach dem italienischen Original ins Deutsche
übertragen vom Verfasser und M. Curtze, erschienen in der Altpreussischen Monats-
schrift,
Jahrgang 1876). »Wir sind in der Lage, konstatieren zu können, dass
die Entwickelung der physischen Prinzipien dieser Schule durch logische Ver-
kettung der Ideen zur Theorie der Bewegung der Erde führen musste«. (S. 5 fg.)
Viel Ausführlicheres über »die geradezu revolutionäre Anschauung, dass nicht die
Erde den Mittelpunkt des Universums einnehme« in dem vor kurzem erschienenen
Buch von Wilhelm Bauer: Der ältere Pythagoreismus (1897), S. 54 fg., 64 fg. u. s. w.
2) »Aristarchos stellt die Sonne unter die Zahl der Fixsterne und lässt die
Erde sich durch den Sonnenkreis (d. h. die Ekliptik) bewegen und sagt, sie werde
je nach ihrer Neigung beschattet«, berichtet Plutarch. Für dieses und die anderen
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[86/0109] Das Erbe der alten Welt. Beispiele eines eigentümlichen Scharfblickes. Schon in der Ilias z. B. heisst Poseidon der »Erderschütterer«; dieser Gott, d. h. also das Wasser und namentlich das Meer, wird immer als Ursache der Erd- beben genannt: das stimmt mit den Ergebnissen der modernsten Wissenschaft genau überein! Jedoch will ich auf solche Züge nur als Kontrast zu der Beschränktheit jener Helden einer angeblichen »Aufklärung« hingewiesen haben. — Weit auffallenderen Beispielen der Reinigung der Wirklichkeit von dem Scheine begegnen wir auf dem Gebiete der Astrophysik, namentlich in der Schule des Pytha- goras. Die Lehre von der Kugelgestalt der Erde findet sich schon bei den frühesten Adepten, und selbst das viele Phantastische, was den Vorstellungen dieser Ältesten noch anhaftete, ist äusserst lehrreich, weil es das zukünftige Richtige gewissermassen in nuce enthält. 1) Und so gesellte sich denn bei den Pythagoreern mit der Zeit zu der Lehre von der Kugelgestalt der Erde und von der Neigung der Erdbahn auch die der Achsendrehung sowie der Bewegung um einen Mittelpunkt im Raume, verbürgt von Philolaus an, einem Zeitgenossen des Demokrit; eine Generation nachher war auch das hypothetische »Centralfeuer« durch die Sonne ersetzt. Nicht als Philosoph freilich, sondern als Astronom hat dann später (etwa 250 v. Chr.) Aristarchos das heliozentrische System klar begründet, die Entfernung von Sonne und Mond zu berechnen unternommen und in der Sonne (1900 Jahre vor Giordano Bruno) einen der zahllosen Fixsterne erkannt. 2) Welche 4) 1) Zeller: Die Philosophie der Griechen, 3. Aufl., S. 369. Mehr technisch aber ungemein lichtvoll auseinandergesetzt in der Schrift von Schiaparelli: Die Vorläufer des Kopernikus im Altertum (nach dem italienischen Original ins Deutsche übertragen vom Verfasser und M. Curtze, erschienen in der Altpreussischen Monats- schrift, Jahrgang 1876). »Wir sind in der Lage, konstatieren zu können, dass die Entwickelung der physischen Prinzipien dieser Schule durch logische Ver- kettung der Ideen zur Theorie der Bewegung der Erde führen musste«. (S. 5 fg.) Viel Ausführlicheres über »die geradezu revolutionäre Anschauung, dass nicht die Erde den Mittelpunkt des Universums einnehme« in dem vor kurzem erschienenen Buch von Wilhelm Bauer: Der ältere Pythagoreismus (1897), S. 54 fg., 64 fg. u. s. w. 2) »Aristarchos stellt die Sonne unter die Zahl der Fixsterne und lässt die Erde sich durch den Sonnenkreis (d. h. die Ekliptik) bewegen und sagt, sie werde je nach ihrer Neigung beschattet«, berichtet Plutarch. Für dieses und die anderen 4) Astronom Schiaparelli mit Recht bemerkt: »Solche Männer sind nicht wert zu verstehen, welche gewaltige spekulative Kraft nötig war, um zu der Idee von der Kugelgestalt der Erde, ihres freien Schwebens im Raume und ihrer Beweglichkeit zu gelangen: Ideen, ohne welche wir weder einen Kopernikus, noch einen Kepler, einen Galilei, einen Newton gehabt hätten« (im unten citierten Werke, S. 16).

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/109>, abgerufen am 22.11.2024.