immer tiefer: der Bürger durfte sich nicht einmal seinen Beruf mehr wählen, der Bauer, früher freier Besitzer seines Erbgutes, war Leib- eigener eines Herrn und an die Scholle gebunden; der Tod jedoch löst alle Bande, und es kam ein Tag, wo die Steuereinnehmer die ehedem blühendsten Gegenden des Reiches in ihren Berichten auf- führen mussten als agri deserti.
Es ist nicht meine Absicht, die Idee des römischen Staates hier historisch weiter zu verfolgen; Einiges wird in einem späteren Kapitel noch darüber zu sagen sein; ich begnüge mich, daran zu erinnern, dass ein römisches Reich -- dem Begriffe nach eine unmittelbare Fort- setzung des alten -- bis zum 6. August 1806 zu Recht bestand, und dass das allerälteste schon von Numa bekleidete römische Amt, das des Pontifex maximus, noch heute besteht; das Papsttum ist das letzte Bruchstück der uralten heidnischen vergangenen Welt, welches sich bis in die Gegenwart lebendig erhalten hat.1) Wenn ich aber Allbekanntes zusammenfassend andeutete, so geschah es in der Hoff- nung, dass ich die eigentümlich verwickelte Form der politischen Erbschaft, die unser Jahrhundert von Rom übernahm, hierdurch leb- hafter und anregender entwickeln könnte, als durch theoretische Auseinandersetzungen. Hier, wie in den anderen Teilen dieses Buches, handelt es sich nicht um gelehrte Betrachtungen, diese findet man in Geschichten des Staatsrechtes, sondern um allgemeine Ein- sichten, die Jedem zugänglich und auch für Jeden förderlich sind. In rein politischer Hinsicht erbten wir nun von Rom nicht eine ein- fache Idee, nicht einmal etwas so Einfaches, wie das, was z. B. in dem Wort "hellenische Kunst", wie reichhaltig das Wort auch sein mag, zusammengefasst wird, sondern wir erbten ein merkwürdiges Gemisch von allerrealstem Besitz: Civilisation, Recht, Organisation, Verwaltung u. s. w., und zugleich von unfassbaren und dennoch übermächtigen Ideen, von Begriffen, denen kein Mensch beikommen kann und die nichtsdestoweniger, zum Guten und zum Schlimmen, auch heute noch unser öffentliches Leben beeinflussen. Sicherlich können wir unser eigenes Jahrhundert nicht gründlich und kritisch begreifen, wenn wir nicht über diese doppelte politische Erbschaft klare Vorstellungen besitzen.
Nachdem wir also jetzt das im engeren Sinn Politische be-Staatsrecht- liches Erbe. sprochen haben, werfen wir nun einen Blick auf das allgemein Staats-
1) Hierüber Ausführliches im 7. Kapitel.
Römisches Recht.
immer tiefer: der Bürger durfte sich nicht einmal seinen Beruf mehr wählen, der Bauer, früher freier Besitzer seines Erbgutes, war Leib- eigener eines Herrn und an die Scholle gebunden; der Tod jedoch löst alle Bande, und es kam ein Tag, wo die Steuereinnehmer die ehedem blühendsten Gegenden des Reiches in ihren Berichten auf- führen mussten als agri deserti.
Es ist nicht meine Absicht, die Idee des römischen Staates hier historisch weiter zu verfolgen; Einiges wird in einem späteren Kapitel noch darüber zu sagen sein; ich begnüge mich, daran zu erinnern, dass ein römisches Reich — dem Begriffe nach eine unmittelbare Fort- setzung des alten — bis zum 6. August 1806 zu Recht bestand, und dass das allerälteste schon von Numa bekleidete römische Amt, das des Pontifex maximus, noch heute besteht; das Papsttum ist das letzte Bruchstück der uralten heidnischen vergangenen Welt, welches sich bis in die Gegenwart lebendig erhalten hat.1) Wenn ich aber Allbekanntes zusammenfassend andeutete, so geschah es in der Hoff- nung, dass ich die eigentümlich verwickelte Form der politischen Erbschaft, die unser Jahrhundert von Rom übernahm, hierdurch leb- hafter und anregender entwickeln könnte, als durch theoretische Auseinandersetzungen. Hier, wie in den anderen Teilen dieses Buches, handelt es sich nicht um gelehrte Betrachtungen, diese findet man in Geschichten des Staatsrechtes, sondern um allgemeine Ein- sichten, die Jedem zugänglich und auch für Jeden förderlich sind. In rein politischer Hinsicht erbten wir nun von Rom nicht eine ein- fache Idee, nicht einmal etwas so Einfaches, wie das, was z. B. in dem Wort »hellenische Kunst«, wie reichhaltig das Wort auch sein mag, zusammengefasst wird, sondern wir erbten ein merkwürdiges Gemisch von allerrealstem Besitz: Civilisation, Recht, Organisation, Verwaltung u. s. w., und zugleich von unfassbaren und dennoch übermächtigen Ideen, von Begriffen, denen kein Mensch beikommen kann und die nichtsdestoweniger, zum Guten und zum Schlimmen, auch heute noch unser öffentliches Leben beeinflussen. Sicherlich können wir unser eigenes Jahrhundert nicht gründlich und kritisch begreifen, wenn wir nicht über diese doppelte politische Erbschaft klare Vorstellungen besitzen.
Nachdem wir also jetzt das im engeren Sinn Politische be-Staatsrecht- liches Erbe. sprochen haben, werfen wir nun einen Blick auf das allgemein Staats-
1) Hierüber Ausführliches im 7. Kapitel.
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Römisches Recht.
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wählen, der Bauer, früher freier Besitzer seines Erbgutes, war Leib-
eigener eines Herrn und an die Scholle gebunden; der Tod jedoch
löst alle Bande, und es kam ein Tag, wo die Steuereinnehmer die
ehedem blühendsten Gegenden des Reiches in ihren Berichten auf-
führen mussten als agri deserti.
Es ist nicht meine Absicht, die Idee des römischen Staates hier
historisch weiter zu verfolgen; Einiges wird in einem späteren Kapitel
noch darüber zu sagen sein; ich begnüge mich, daran zu erinnern,
dass ein römisches Reich — dem Begriffe nach eine unmittelbare Fort-
setzung des alten — bis zum 6. August 1806 zu Recht bestand, und
dass das allerälteste schon von Numa bekleidete römische Amt, das
des Pontifex maximus, noch heute besteht; das Papsttum ist das
letzte Bruchstück der uralten heidnischen vergangenen Welt, welches
sich bis in die Gegenwart lebendig erhalten hat. 1) Wenn ich aber
Allbekanntes zusammenfassend andeutete, so geschah es in der Hoff-
nung, dass ich die eigentümlich verwickelte Form der politischen
Erbschaft, die unser Jahrhundert von Rom übernahm, hierdurch leb-
hafter und anregender entwickeln könnte, als durch theoretische
Auseinandersetzungen. Hier, wie in den anderen Teilen dieses
Buches, handelt es sich nicht um gelehrte Betrachtungen, diese findet
man in Geschichten des Staatsrechtes, sondern um allgemeine Ein-
sichten, die Jedem zugänglich und auch für Jeden förderlich sind.
In rein politischer Hinsicht erbten wir nun von Rom nicht eine ein-
fache Idee, nicht einmal etwas so Einfaches, wie das, was z. B. in dem
Wort »hellenische Kunst«, wie reichhaltig das Wort auch sein mag,
zusammengefasst wird, sondern wir erbten ein merkwürdiges Gemisch
von allerrealstem Besitz: Civilisation, Recht, Organisation, Verwaltung
u. s. w., und zugleich von unfassbaren und dennoch übermächtigen
Ideen, von Begriffen, denen kein Mensch beikommen kann und die
nichtsdestoweniger, zum Guten und zum Schlimmen, auch heute
noch unser öffentliches Leben beeinflussen. Sicherlich können wir
unser eigenes Jahrhundert nicht gründlich und kritisch begreifen, wenn
wir nicht über diese doppelte politische Erbschaft klare Vorstellungen
besitzen.
Nachdem wir also jetzt das im engeren Sinn Politische be-
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/172>, abgerufen am 25.12.2024.
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