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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Entwickelungsgeschichte.
Thieren war gleichfalls von mehreren Forschern untersucht worden;
indeß dauerte es hier verhältnißmäßig länger, ehe in gleicher Weise wie
für die eben angeführten Classen das Gesetzmäßige und die zuweilen
wunderbare Complication beim Aufbau der einzelnen Typen gefunden
wurde. Nachdem bereits 1815 Sal. Friedr. Stiebel die Entwicke-
lung einzelner Gastropoden verfolgt hatte, aus welcher dann 1825
Rob. Edm. Grant Einzelnes (Wimpern der Embryonen) untersuchte,
gaben C. G. Carus und von Baer die ersten Umrisse zur Embryo-
logie der Acephalen. Im Jahre 1828 schilderte Henri Milne Ed-
wards
zuerst die merkwürdigen cercarienförmigen Jugendformen der
zusammengesetzten Ascidien28), während fast gleichzeitig C. G. Carus
Einzelnes aus der Entwickelungsgeschichte der einfachen Seescheiden
mittheilte. Schon 1819 hatte Adelbert von Chamisso den wun-
derbaren Wechsel der Formen in den beiden regelmäßig alternirenden
Generationen der Salpen beschrieben, ohne damit die Aufmerksamkeit
der Forscher zu reizen. Selbst von Baer gesteht später, daß ihm
Chamisso's Mittheilungen ganz fremdartig erschienen seien. Es war
nun aber auch für die niedern Thiere wiederum C. E. von Baer,
welcher die Einzelnuntersuchungen zusammenfassend zuerst verschiedene
Entwickelungstypen aufstellte und damit die Beziehung der Entwicke-
lungsgeschichte zur Morphologie von Neuem sicher stellte.

Der hier besprochenen Zeit gehören noch zwei weitere für die all-
gemeine Auffassung der Entwickelungserscheinungen äußerst wichtige
Beobachtungsreihen an. Es galt nämlich zunächst, den Ausgangspunkt
aller Entwickelung, das Ei, näher kennen zu lernen und sein Verhältniß
zu den Formbestandtheilen des entwickelten Körpers zu bestimmen.
Man kannte das Ei der Vögel, Frösche, Fische, ebenso die Eier mehrerer
niedern Thiere, konnte sich aber über die formale Bedeutung der in
dem Ei vorliegenden Substanz keine Rechenschaft geben. Nament-
lich fehlte der Nachweis der Gleichartigkeit der ersten Bildung und ur-
sprünglichen Form des Eies. Ueber die Entstehung des Säugethiereies
machte man sich oft die wunderbarsten Vorstellungen. Den wichtigsten

28) Annal. d. scienc. nat. T. 15. 1828. p. 10.
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Entwickelungsgeſchichte.
Thieren war gleichfalls von mehreren Forſchern unterſucht worden;
indeß dauerte es hier verhältnißmäßig länger, ehe in gleicher Weiſe wie
für die eben angeführten Claſſen das Geſetzmäßige und die zuweilen
wunderbare Complication beim Aufbau der einzelnen Typen gefunden
wurde. Nachdem bereits 1815 Sal. Friedr. Stiebel die Entwicke-
lung einzelner Gaſtropoden verfolgt hatte, aus welcher dann 1825
Rob. Edm. Grant Einzelnes (Wimpern der Embryonen) unterſuchte,
gaben C. G. Carus und von Baer die erſten Umriſſe zur Embryo-
logie der Acephalen. Im Jahre 1828 ſchilderte Henri Milne Ed-
wards
zuerſt die merkwürdigen cercarienförmigen Jugendformen der
zuſammengeſetzten Ascidien28), während faſt gleichzeitig C. G. Carus
Einzelnes aus der Entwickelungsgeſchichte der einfachen Seeſcheiden
mittheilte. Schon 1819 hatte Adelbert von Chamiſſo den wun-
derbaren Wechſel der Formen in den beiden regelmäßig alternirenden
Generationen der Salpen beſchrieben, ohne damit die Aufmerkſamkeit
der Forſcher zu reizen. Selbſt von Baer geſteht ſpäter, daß ihm
Chamiſſo's Mittheilungen ganz fremdartig erſchienen ſeien. Es war
nun aber auch für die niedern Thiere wiederum C. E. von Baer,
welcher die Einzelnunterſuchungen zuſammenfaſſend zuerſt verſchiedene
Entwickelungstypen aufſtellte und damit die Beziehung der Entwicke-
lungsgeſchichte zur Morphologie von Neuem ſicher ſtellte.

Der hier beſprochenen Zeit gehören noch zwei weitere für die all-
gemeine Auffaſſung der Entwickelungserſcheinungen äußerſt wichtige
Beobachtungsreihen an. Es galt nämlich zunächſt, den Ausgangspunkt
aller Entwickelung, das Ei, näher kennen zu lernen und ſein Verhältniß
zu den Formbeſtandtheilen des entwickelten Körpers zu beſtimmen.
Man kannte das Ei der Vögel, Fröſche, Fiſche, ebenſo die Eier mehrerer
niedern Thiere, konnte ſich aber über die formale Bedeutung der in
dem Ei vorliegenden Subſtanz keine Rechenſchaft geben. Nament-
lich fehlte der Nachweis der Gleichartigkeit der erſten Bildung und ur-
ſprünglichen Form des Eies. Ueber die Entſtehung des Säugethiereies
machte man ſich oft die wunderbarſten Vorſtellungen. Den wichtigſten

28) Annal. d. scienc. nat. T. 15. 1828. p. 10.
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[627/0638] Entwickelungsgeſchichte. Thieren war gleichfalls von mehreren Forſchern unterſucht worden; indeß dauerte es hier verhältnißmäßig länger, ehe in gleicher Weiſe wie für die eben angeführten Claſſen das Geſetzmäßige und die zuweilen wunderbare Complication beim Aufbau der einzelnen Typen gefunden wurde. Nachdem bereits 1815 Sal. Friedr. Stiebel die Entwicke- lung einzelner Gaſtropoden verfolgt hatte, aus welcher dann 1825 Rob. Edm. Grant Einzelnes (Wimpern der Embryonen) unterſuchte, gaben C. G. Carus und von Baer die erſten Umriſſe zur Embryo- logie der Acephalen. Im Jahre 1828 ſchilderte Henri Milne Ed- wards zuerſt die merkwürdigen cercarienförmigen Jugendformen der zuſammengeſetzten Ascidien 28), während faſt gleichzeitig C. G. Carus Einzelnes aus der Entwickelungsgeſchichte der einfachen Seeſcheiden mittheilte. Schon 1819 hatte Adelbert von Chamiſſo den wun- derbaren Wechſel der Formen in den beiden regelmäßig alternirenden Generationen der Salpen beſchrieben, ohne damit die Aufmerkſamkeit der Forſcher zu reizen. Selbſt von Baer geſteht ſpäter, daß ihm Chamiſſo's Mittheilungen ganz fremdartig erſchienen ſeien. Es war nun aber auch für die niedern Thiere wiederum C. E. von Baer, welcher die Einzelnunterſuchungen zuſammenfaſſend zuerſt verſchiedene Entwickelungstypen aufſtellte und damit die Beziehung der Entwicke- lungsgeſchichte zur Morphologie von Neuem ſicher ſtellte. Der hier beſprochenen Zeit gehören noch zwei weitere für die all- gemeine Auffaſſung der Entwickelungserſcheinungen äußerſt wichtige Beobachtungsreihen an. Es galt nämlich zunächſt, den Ausgangspunkt aller Entwickelung, das Ei, näher kennen zu lernen und ſein Verhältniß zu den Formbeſtandtheilen des entwickelten Körpers zu beſtimmen. Man kannte das Ei der Vögel, Fröſche, Fiſche, ebenſo die Eier mehrerer niedern Thiere, konnte ſich aber über die formale Bedeutung der in dem Ei vorliegenden Subſtanz keine Rechenſchaft geben. Nament- lich fehlte der Nachweis der Gleichartigkeit der erſten Bildung und ur- ſprünglichen Form des Eies. Ueber die Entſtehung des Säugethiereies machte man ſich oft die wunderbarſten Vorſtellungen. Den wichtigſten 28) Annal. d. scienc. nat. T. 15. 1828. p. 10. 40*

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/638>, abgerufen am 22.11.2024.