Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorwort.
Faden auch durch ein sonst steriles Jahrtausend zu verfolgen nicht ge-
scheut werden. Viele befreundete Männer habe ich, und in keinem
Falle vergebens, um Rath und Auskunft gebeten. Ob ich das mir
Dargebotene überall richtig verwandt habe, vermag ich selbst nicht zu
entscheiden. Sollten die früheren Jahrhunderte des Mittelalters für
die Geschichte der Thierkunde heller geworden sein, so verdanke ich es
vorzüglich ihrer Hülfe.

Noch weniger bedarf es einer Darlegung der Gründe, weshalb
die Geschichte nicht bis auf das letzte Jahrzehnt fortgeführt worden ist.
Was die Gegenwart bewegt und ihren wissenschaftlichen Gährungen
als Ferment dient, kann wohl auf seine Quellen und auf seinen Zu-
sammenhang mit dem allgemeinen Culturfortschritt untersucht, aber
nicht historisch dargestellt werden. Erleichtert wurde der Abschluß
durch den Umstand, daß durch das Erscheinen des Darwin'schen Werkes
über den Ursprung der Arten, welches fast genau mit dem leider für
die Wissenschaft zu früh erfolgten Tode Johannes Müller's zusammen-
fiel, eine neue Periode der Geschichte der Zoologie anhebt. Mitten in
der Geburtszeit derselben drin stehend ist es dem Jetztlebenden schwerer,
als es späteren Historikern werden wird, mit ruhiger Objectivität die
wesentlichen von den unwesentlichen Momenten zu scheiden, die mannich-
fachen Ueberstürzungen, zu denen das plötzlich so unendlich erweiterte
Gesichts- und Arbeitsfeld verführt hat, von den haltbaren, den
Sturm des Meinungsstreites überdauernden wirklichen Fortschritten
zu sondern.

Die moderne Naturforschung hat sich bis jetzt einer historischen
Behandlung ihrer eignen Vorzeit wenig geneigt gezeigt. Wie ihr aber
das Bewußtsein, daß sie nur eine Entwickelungsstufe in dem Fortgange
der betreffenden Ideen darstellt, den directen Vortheil bringt, daß sie
diese, wie früheren Keimen entsprungen, so auch weiterer Ausbildung
fähig erkennt und daß sie durch Einsicht in das Entwickelungsgesetz
derselben zu weiteren Schritten geführt wird, so würde mancher Streit

Vorwort.
Faden auch durch ein ſonſt ſteriles Jahrtauſend zu verfolgen nicht ge-
ſcheut werden. Viele befreundete Männer habe ich, und in keinem
Falle vergebens, um Rath und Auskunft gebeten. Ob ich das mir
Dargebotene überall richtig verwandt habe, vermag ich ſelbſt nicht zu
entſcheiden. Sollten die früheren Jahrhunderte des Mittelalters für
die Geſchichte der Thierkunde heller geworden ſein, ſo verdanke ich es
vorzüglich ihrer Hülfe.

Noch weniger bedarf es einer Darlegung der Gründe, weshalb
die Geſchichte nicht bis auf das letzte Jahrzehnt fortgeführt worden iſt.
Was die Gegenwart bewegt und ihren wiſſenſchaftlichen Gährungen
als Ferment dient, kann wohl auf ſeine Quellen und auf ſeinen Zu-
ſammenhang mit dem allgemeinen Culturfortſchritt unterſucht, aber
nicht hiſtoriſch dargeſtellt werden. Erleichtert wurde der Abſchluß
durch den Umſtand, daß durch das Erſcheinen des Darwin'ſchen Werkes
über den Urſprung der Arten, welches faſt genau mit dem leider für
die Wiſſenſchaft zu früh erfolgten Tode Johannes Müller's zuſammen-
fiel, eine neue Periode der Geſchichte der Zoologie anhebt. Mitten in
der Geburtszeit derſelben drin ſtehend iſt es dem Jetztlebenden ſchwerer,
als es ſpäteren Hiſtorikern werden wird, mit ruhiger Objectivität die
weſentlichen von den unweſentlichen Momenten zu ſcheiden, die mannich-
fachen Ueberſtürzungen, zu denen das plötzlich ſo unendlich erweiterte
Geſichts- und Arbeitsfeld verführt hat, von den haltbaren, den
Sturm des Meinungsſtreites überdauernden wirklichen Fortſchritten
zu ſondern.

Die moderne Naturforſchung hat ſich bis jetzt einer hiſtoriſchen
Behandlung ihrer eignen Vorzeit wenig geneigt gezeigt. Wie ihr aber
das Bewußtſein, daß ſie nur eine Entwickelungsſtufe in dem Fortgange
der betreffenden Ideen darſtellt, den directen Vortheil bringt, daß ſie
dieſe, wie früheren Keimen entſprungen, ſo auch weiterer Ausbildung
fähig erkennt und daß ſie durch Einſicht in das Entwickelungsgeſetz
derſelben zu weiteren Schritten geführt wird, ſo würde mancher Streit

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0006" n="VII"/><fw place="top" type="header">Vorwort.</fw><lb/>
Faden auch durch ein &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;teriles Jahrtau&#x017F;end zu verfolgen nicht ge-<lb/>
&#x017F;cheut werden. Viele befreundete Männer habe ich, und in keinem<lb/>
Falle vergebens, um Rath und Auskunft gebeten. Ob ich das mir<lb/>
Dargebotene überall richtig verwandt habe, vermag ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht zu<lb/>
ent&#x017F;cheiden. Sollten die früheren Jahrhunderte des Mittelalters für<lb/>
die Ge&#x017F;chichte der Thierkunde heller geworden &#x017F;ein, &#x017F;o verdanke ich es<lb/>
vorzüglich ihrer Hülfe.</p><lb/>
        <p>Noch weniger bedarf es einer Darlegung der Gründe, weshalb<lb/>
die Ge&#x017F;chichte nicht bis auf das letzte Jahrzehnt fortgeführt worden i&#x017F;t.<lb/>
Was die Gegenwart bewegt und ihren wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Gährungen<lb/>
als Ferment dient, kann wohl auf &#x017F;eine Quellen und auf &#x017F;einen Zu-<lb/>
&#x017F;ammenhang mit dem allgemeinen Culturfort&#x017F;chritt unter&#x017F;ucht, aber<lb/>
nicht hi&#x017F;tori&#x017F;ch darge&#x017F;tellt werden. Erleichtert wurde der Ab&#x017F;chluß<lb/>
durch den Um&#x017F;tand, daß durch das Er&#x017F;cheinen des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118523813">Darwin</persName>'&#x017F;chen Werkes<lb/>
über den Ur&#x017F;prung der Arten, welches fa&#x017F;t genau mit dem leider für<lb/>
die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft zu früh erfolgten Tode <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118585053">Johannes Müller's</persName> zu&#x017F;ammen-<lb/>
fiel, eine neue Periode der Ge&#x017F;chichte der Zoologie anhebt. Mitten in<lb/>
der Geburtszeit der&#x017F;elben drin &#x017F;tehend i&#x017F;t es dem Jetztlebenden &#x017F;chwerer,<lb/>
als es &#x017F;päteren Hi&#x017F;torikern werden wird, mit ruhiger Objectivität die<lb/>
we&#x017F;entlichen von den unwe&#x017F;entlichen Momenten zu &#x017F;cheiden, die mannich-<lb/>
fachen Ueber&#x017F;türzungen, zu denen das plötzlich &#x017F;o unendlich erweiterte<lb/>
Ge&#x017F;ichts- und Arbeitsfeld verführt hat, von den haltbaren, den<lb/>
Sturm des Meinungs&#x017F;treites überdauernden wirklichen Fort&#x017F;chritten<lb/>
zu &#x017F;ondern.</p><lb/>
        <p>Die moderne Naturfor&#x017F;chung hat &#x017F;ich bis jetzt einer hi&#x017F;tori&#x017F;chen<lb/>
Behandlung ihrer eignen Vorzeit wenig geneigt gezeigt. Wie ihr aber<lb/>
das Bewußt&#x017F;ein, daß &#x017F;ie nur eine Entwickelungs&#x017F;tufe in dem Fortgange<lb/>
der betreffenden Ideen dar&#x017F;tellt, den directen Vortheil bringt, daß &#x017F;ie<lb/>
die&#x017F;e, wie früheren Keimen ent&#x017F;prungen, &#x017F;o auch weiterer Ausbildung<lb/>
fähig erkennt und daß &#x017F;ie durch Ein&#x017F;icht in das Entwickelungsge&#x017F;etz<lb/>
der&#x017F;elben zu weiteren Schritten geführt wird, &#x017F;o würde mancher Streit<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[VII/0006] Vorwort. Faden auch durch ein ſonſt ſteriles Jahrtauſend zu verfolgen nicht ge- ſcheut werden. Viele befreundete Männer habe ich, und in keinem Falle vergebens, um Rath und Auskunft gebeten. Ob ich das mir Dargebotene überall richtig verwandt habe, vermag ich ſelbſt nicht zu entſcheiden. Sollten die früheren Jahrhunderte des Mittelalters für die Geſchichte der Thierkunde heller geworden ſein, ſo verdanke ich es vorzüglich ihrer Hülfe. Noch weniger bedarf es einer Darlegung der Gründe, weshalb die Geſchichte nicht bis auf das letzte Jahrzehnt fortgeführt worden iſt. Was die Gegenwart bewegt und ihren wiſſenſchaftlichen Gährungen als Ferment dient, kann wohl auf ſeine Quellen und auf ſeinen Zu- ſammenhang mit dem allgemeinen Culturfortſchritt unterſucht, aber nicht hiſtoriſch dargeſtellt werden. Erleichtert wurde der Abſchluß durch den Umſtand, daß durch das Erſcheinen des Darwin'ſchen Werkes über den Urſprung der Arten, welches faſt genau mit dem leider für die Wiſſenſchaft zu früh erfolgten Tode Johannes Müller's zuſammen- fiel, eine neue Periode der Geſchichte der Zoologie anhebt. Mitten in der Geburtszeit derſelben drin ſtehend iſt es dem Jetztlebenden ſchwerer, als es ſpäteren Hiſtorikern werden wird, mit ruhiger Objectivität die weſentlichen von den unweſentlichen Momenten zu ſcheiden, die mannich- fachen Ueberſtürzungen, zu denen das plötzlich ſo unendlich erweiterte Geſichts- und Arbeitsfeld verführt hat, von den haltbaren, den Sturm des Meinungsſtreites überdauernden wirklichen Fortſchritten zu ſondern. Die moderne Naturforſchung hat ſich bis jetzt einer hiſtoriſchen Behandlung ihrer eignen Vorzeit wenig geneigt gezeigt. Wie ihr aber das Bewußtſein, daß ſie nur eine Entwickelungsſtufe in dem Fortgange der betreffenden Ideen darſtellt, den directen Vortheil bringt, daß ſie dieſe, wie früheren Keimen entſprungen, ſo auch weiterer Ausbildung fähig erkennt und daß ſie durch Einſicht in das Entwickelungsgeſetz derſelben zu weiteren Schritten geführt wird, ſo würde mancher Streit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/6
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/6>, abgerufen am 21.11.2024.