lichen gehörig unterrichtet gewesen wäre, und daß die sich je hieraus ergebenden angemessenen Vorstellungen in logischer Ordnung verwendet und durch eine gesunde Dialektik zu einem System verbunden worden wären. Die erste dieser Bedingungen war noch nicht erfüllt, wie ja auch heute das Wesen ganzer Classen von Vorgängen noch in Dunkel gehüllt ist. Zur Zeit aber, als Schelling mit seiner Naturphilosophie hervortrat, ahnte man von vielen, jetzt wenigstens mit Sicherheit als gesetzmäßig erkannten Naturerscheinungen nur einen nicht näher zu be- stimmenden Zusammenhang mit den allgemeinen Naturgesetzen. Eine Naturphilosophie in dem weiten Umfange und mit dem Inhalte und der Form, wie sie Schelling sich dachte, war also zu seiner Zeit verfrüht, wie sie auch heute noch nicht gegeben werden könnte. Eine solche würde überhaupt erst möglich sein, wenn man Alles wüßte. Sie konnte aber schon damals nicht einmal eine heuristische Bedeutung beanspruchen, da sie zu viel auf einmal beweisen wollte und die erfundenen Grundsätze weder logisch entwickelt waren noch der Natur des zu Erklärenden oder Abzuleitenden entsprachen.
Es lag nun auch weder in dem Entwickelungsgange sämmtlicher Naturwissenszweige, über ihren Bereich hinaus alle Naturerscheinun- gen geistig zu umfassen, noch lag eine Anregung hierzu in irgend einer außerordentlichen Leistung etwa eines besondern Zweiges. Der Anstoß kam vielmehr lediglich von philosophischer Seite her. Der alte Wider- streit zwischen der sinnesanschaulich erkannten Wirklichkeit der Gegen- stände und der nur vernünftig bestimmbaren, nur denkend erkannten nothwendigen Wahrheit wirkte noch immer fort. Aristoteles hatte schon gezeigt, daß man mit dem Denken des unveränderlichen Nothwendigen, worin Plato die Wahrheit der menschlichen Erkenntniß suchte, nie auf die Wirklichkeit komme, weil nur das Allgemeine nothwendig wahr ist, dieses aber als etwas Abstractes nicht für sich besteht. Die inductiven Wissenschaften zeigten zwar, daß die Wahrheit in der Unterordnung des Wirklichen unter das Nothwendige liege; es kann aber die Induction nur auf Lehrsätze führen und keine nothwendigen Wahrheiten finden. Nun schrieb freilich Locke sämmtlichen Vorstellungen einen empirischen Ursprung zu, er vernachlässigte aber den Nachweis des Zusammen-
lichen gehörig unterrichtet geweſen wäre, und daß die ſich je hieraus ergebenden angemeſſenen Vorſtellungen in logiſcher Ordnung verwendet und durch eine geſunde Dialektik zu einem Syſtem verbunden worden wären. Die erſte dieſer Bedingungen war noch nicht erfüllt, wie ja auch heute das Weſen ganzer Claſſen von Vorgängen noch in Dunkel gehüllt iſt. Zur Zeit aber, als Schelling mit ſeiner Naturphiloſophie hervortrat, ahnte man von vielen, jetzt wenigſtens mit Sicherheit als geſetzmäßig erkannten Naturerſcheinungen nur einen nicht näher zu be- ſtimmenden Zuſammenhang mit den allgemeinen Naturgeſetzen. Eine Naturphiloſophie in dem weiten Umfange und mit dem Inhalte und der Form, wie ſie Schelling ſich dachte, war alſo zu ſeiner Zeit verfrüht, wie ſie auch heute noch nicht gegeben werden könnte. Eine ſolche würde überhaupt erſt möglich ſein, wenn man Alles wüßte. Sie konnte aber ſchon damals nicht einmal eine heuriſtiſche Bedeutung beanſpruchen, da ſie zu viel auf einmal beweiſen wollte und die erfundenen Grundſätze weder logiſch entwickelt waren noch der Natur des zu Erklärenden oder Abzuleitenden entſprachen.
Es lag nun auch weder in dem Entwickelungsgange ſämmtlicher Naturwiſſenszweige, über ihren Bereich hinaus alle Naturerſcheinun- gen geiſtig zu umfaſſen, noch lag eine Anregung hierzu in irgend einer außerordentlichen Leiſtung etwa eines beſondern Zweiges. Der Anſtoß kam vielmehr lediglich von philoſophiſcher Seite her. Der alte Wider- ſtreit zwiſchen der ſinnesanſchaulich erkannten Wirklichkeit der Gegen- ſtände und der nur vernünftig beſtimmbaren, nur denkend erkannten nothwendigen Wahrheit wirkte noch immer fort. Ariſtoteles hatte ſchon gezeigt, daß man mit dem Denken des unveränderlichen Nothwendigen, worin Plato die Wahrheit der menſchlichen Erkenntniß ſuchte, nie auf die Wirklichkeit komme, weil nur das Allgemeine nothwendig wahr iſt, dieſes aber als etwas Abſtractes nicht für ſich beſteht. Die inductiven Wiſſenſchaften zeigten zwar, daß die Wahrheit in der Unterordnung des Wirklichen unter das Nothwendige liege; es kann aber die Induction nur auf Lehrſätze führen und keine nothwendigen Wahrheiten finden. Nun ſchrieb freilich Locke ſämmtlichen Vorſtellungen einen empiriſchen Urſprung zu, er vernachläſſigte aber den Nachweis des Zuſammen-
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Die deutſche Naturphiloſophie.
lichen gehörig unterrichtet geweſen wäre, und daß die ſich je hieraus
ergebenden angemeſſenen Vorſtellungen in logiſcher Ordnung verwendet
und durch eine geſunde Dialektik zu einem Syſtem verbunden worden
wären. Die erſte dieſer Bedingungen war noch nicht erfüllt, wie ja
auch heute das Weſen ganzer Claſſen von Vorgängen noch in Dunkel
gehüllt iſt. Zur Zeit aber, als Schelling mit ſeiner Naturphiloſophie
hervortrat, ahnte man von vielen, jetzt wenigſtens mit Sicherheit als
geſetzmäßig erkannten Naturerſcheinungen nur einen nicht näher zu be-
ſtimmenden Zuſammenhang mit den allgemeinen Naturgeſetzen. Eine
Naturphiloſophie in dem weiten Umfange und mit dem Inhalte und der
Form, wie ſie Schelling ſich dachte, war alſo zu ſeiner Zeit verfrüht,
wie ſie auch heute noch nicht gegeben werden könnte. Eine ſolche würde
überhaupt erſt möglich ſein, wenn man Alles wüßte. Sie konnte aber
ſchon damals nicht einmal eine heuriſtiſche Bedeutung beanſpruchen, da
ſie zu viel auf einmal beweiſen wollte und die erfundenen Grundſätze
weder logiſch entwickelt waren noch der Natur des zu Erklärenden oder
Abzuleitenden entſprachen.
Es lag nun auch weder in dem Entwickelungsgange ſämmtlicher
Naturwiſſenszweige, über ihren Bereich hinaus alle Naturerſcheinun-
gen geiſtig zu umfaſſen, noch lag eine Anregung hierzu in irgend einer
außerordentlichen Leiſtung etwa eines beſondern Zweiges. Der Anſtoß
kam vielmehr lediglich von philoſophiſcher Seite her. Der alte Wider-
ſtreit zwiſchen der ſinnesanſchaulich erkannten Wirklichkeit der Gegen-
ſtände und der nur vernünftig beſtimmbaren, nur denkend erkannten
nothwendigen Wahrheit wirkte noch immer fort. Ariſtoteles hatte ſchon
gezeigt, daß man mit dem Denken des unveränderlichen Nothwendigen,
worin Plato die Wahrheit der menſchlichen Erkenntniß ſuchte, nie auf
die Wirklichkeit komme, weil nur das Allgemeine nothwendig wahr iſt,
dieſes aber als etwas Abſtractes nicht für ſich beſteht. Die inductiven
Wiſſenſchaften zeigten zwar, daß die Wahrheit in der Unterordnung des
Wirklichen unter das Nothwendige liege; es kann aber die Induction
nur auf Lehrſätze führen und keine nothwendigen Wahrheiten finden.
Nun ſchrieb freilich Locke ſämmtlichen Vorſtellungen einen empiriſchen
Urſprung zu, er vernachläſſigte aber den Nachweis des Zuſammen-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 37
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/588>, abgerufen am 23.07.2024.
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