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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Reimarus. Zeitschriften.
Stande der wissenschaftlichen Methodik überhaupt zu erklären wäre,
aufgehalten hat. Hermann Samuel Reimarus (geb. 1694,
gest. 1768 in Hamburg) hat in seiner Schrift über die Triebe der
Thiere eingehend die Seelenäußerungen der Thiere untersucht, ist aber
wegen seines theils theologisirenden theils teleologischen Standpunktes
noch nicht zur richtigen Stellung der Grundfragen gelangt. Der
jenaische Professor Justus Chstn. Hennings (geb. 1751, gest.
1813) trägt Thatsachen zusammen zu beweisen, daß Thiere Schlüsse
ziehn, widerlegt aber doch die Ansicht, daß sie Vernunft oder Verstand
besitzen, wie es nach ähnlichen Thatsachen I. G. Krüger in seiner
Experimentalseelenlehre behauptete. Auch das reichhaltige und im
Ganzen zuverlässige Werk von Charl. George Leroy erhebt sich nicht
über die Fehler der übrigen.

Es ist seiner Zeit der Gründung der gelehrten Gesellschaften und
ihrer Schriften gedacht worden. Einer Erwähnung ist das Auftreten
eines weitern Mittels der wissenschaftlichen Mittheilung bedürftig,
welches nicht unwesentlich zur Verbreitung neuer Thatsachen, sowie
zur Klärung verbreiteter Ansichten beigetragen hat und welches eine
fast über die Grenzen des Erwünschten gehende Ausdehnung erlangt
hat. Es sind dies die Zeitschriften. Man kann dieselbe als eine
deutsche Erfindung bezeichnen. Denn wenn auch in Italien und Frank-
reich einzelne periodische Schriften erschienen, welche die schnellere
Mittheilung neuer wissenschaftlicher Ereignisse bezweckten, so giengen
dieselben entweder von gelehrten Gesellschaften aus oder wurden von
einzelnen Männern nach Art regelmäßiger Berichte veröffentlicht.
Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts bestanden dagegen in
Deutschland gegen zwanzig den Naturwissenschaften ausschließlich oder
in Verbindung mit anderen Wissensgebieten gewidmete periodische
Publicationen, in denen die Gelehrten ihre Arbeiten zur schnelleren
Verbreitung veröffentlichten. Nicht mit Unrecht hält dies Cuvier
für ein Zeichen der unvertilgbaren Geduld der deutschen Schriftsteller
und der Liebe der Mittelclassen für ernstere Studien76). Sicher trug

76) G. Cuvier, Eloge de Bruguieres, im Recueil des Eloges. Tom. II.
1819. p. 439.

Reimarus. Zeitſchriften.
Stande der wiſſenſchaftlichen Methodik überhaupt zu erklären wäre,
aufgehalten hat. Hermann Samuel Reimarus (geb. 1694,
geſt. 1768 in Hamburg) hat in ſeiner Schrift über die Triebe der
Thiere eingehend die Seelenäußerungen der Thiere unterſucht, iſt aber
wegen ſeines theils theologiſirenden theils teleologiſchen Standpunktes
noch nicht zur richtigen Stellung der Grundfragen gelangt. Der
jenaiſche Profeſſor Juſtus Chſtn. Hennings (geb. 1751, geſt.
1813) trägt Thatſachen zuſammen zu beweiſen, daß Thiere Schlüſſe
ziehn, widerlegt aber doch die Anſicht, daß ſie Vernunft oder Verſtand
beſitzen, wie es nach ähnlichen Thatſachen I. G. Krüger in ſeiner
Experimentalſeelenlehre behauptete. Auch das reichhaltige und im
Ganzen zuverläſſige Werk von Charl. George Leroy erhebt ſich nicht
über die Fehler der übrigen.

Es iſt ſeiner Zeit der Gründung der gelehrten Geſellſchaften und
ihrer Schriften gedacht worden. Einer Erwähnung iſt das Auftreten
eines weitern Mittels der wiſſenſchaftlichen Mittheilung bedürftig,
welches nicht unweſentlich zur Verbreitung neuer Thatſachen, ſowie
zur Klärung verbreiteter Anſichten beigetragen hat und welches eine
faſt über die Grenzen des Erwünſchten gehende Ausdehnung erlangt
hat. Es ſind dies die Zeitſchriften. Man kann dieſelbe als eine
deutſche Erfindung bezeichnen. Denn wenn auch in Italien und Frank-
reich einzelne periodiſche Schriften erſchienen, welche die ſchnellere
Mittheilung neuer wiſſenſchaftlicher Ereigniſſe bezweckten, ſo giengen
dieſelben entweder von gelehrten Geſellſchaften aus oder wurden von
einzelnen Männern nach Art regelmäßiger Berichte veröffentlicht.
Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts beſtanden dagegen in
Deutſchland gegen zwanzig den Naturwiſſenſchaften ausſchließlich oder
in Verbindung mit anderen Wiſſensgebieten gewidmete periodiſche
Publicationen, in denen die Gelehrten ihre Arbeiten zur ſchnelleren
Verbreitung veröffentlichten. Nicht mit Unrecht hält dies Cuvier
für ein Zeichen der unvertilgbaren Geduld der deutſchen Schriftſteller
und der Liebe der Mittelclaſſen für ernſtere Studien76). Sicher trug

76) G. Cuvier, Éloge de Bruguières, im Recueil des Éloges. Tom. II.
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[571/0582] Reimarus. Zeitſchriften. Stande der wiſſenſchaftlichen Methodik überhaupt zu erklären wäre, aufgehalten hat. Hermann Samuel Reimarus (geb. 1694, geſt. 1768 in Hamburg) hat in ſeiner Schrift über die Triebe der Thiere eingehend die Seelenäußerungen der Thiere unterſucht, iſt aber wegen ſeines theils theologiſirenden theils teleologiſchen Standpunktes noch nicht zur richtigen Stellung der Grundfragen gelangt. Der jenaiſche Profeſſor Juſtus Chſtn. Hennings (geb. 1751, geſt. 1813) trägt Thatſachen zuſammen zu beweiſen, daß Thiere Schlüſſe ziehn, widerlegt aber doch die Anſicht, daß ſie Vernunft oder Verſtand beſitzen, wie es nach ähnlichen Thatſachen I. G. Krüger in ſeiner Experimentalſeelenlehre behauptete. Auch das reichhaltige und im Ganzen zuverläſſige Werk von Charl. George Leroy erhebt ſich nicht über die Fehler der übrigen. Es iſt ſeiner Zeit der Gründung der gelehrten Geſellſchaften und ihrer Schriften gedacht worden. Einer Erwähnung iſt das Auftreten eines weitern Mittels der wiſſenſchaftlichen Mittheilung bedürftig, welches nicht unweſentlich zur Verbreitung neuer Thatſachen, ſowie zur Klärung verbreiteter Anſichten beigetragen hat und welches eine faſt über die Grenzen des Erwünſchten gehende Ausdehnung erlangt hat. Es ſind dies die Zeitſchriften. Man kann dieſelbe als eine deutſche Erfindung bezeichnen. Denn wenn auch in Italien und Frank- reich einzelne periodiſche Schriften erſchienen, welche die ſchnellere Mittheilung neuer wiſſenſchaftlicher Ereigniſſe bezweckten, ſo giengen dieſelben entweder von gelehrten Geſellſchaften aus oder wurden von einzelnen Männern nach Art regelmäßiger Berichte veröffentlicht. Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts beſtanden dagegen in Deutſchland gegen zwanzig den Naturwiſſenſchaften ausſchließlich oder in Verbindung mit anderen Wiſſensgebieten gewidmete periodiſche Publicationen, in denen die Gelehrten ihre Arbeiten zur ſchnelleren Verbreitung veröffentlichten. Nicht mit Unrecht hält dies Cuvier für ein Zeichen der unvertilgbaren Geduld der deutſchen Schriftſteller und der Liebe der Mittelclaſſen für ernſtere Studien 76). Sicher trug 76) G. Cuvier, Éloge de Bruguières, im Recueil des Éloges. Tom. II. 1819. p. 439.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/582>, abgerufen am 25.11.2024.