Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Systeme erfahren. Auch ist hier offenbar am wenigsten Consequenz in der Benutzung und Beachtung der einmal gewählten Merkmale nachzu- weisen. Die Amphibien bilden anfänglich nur eine Ordnung: Schleichende, Serpentia, zu welcher er die vier Gattungen Schildkröte, Frosch, Eidechse und Schlange stellt. Später trennt er sie in die beiden Ordnungen Serpentia und Reptilia, von denen die erstere die verschie- denen Schlangengattungen und Coecilia, die letztere die Gattungen Draco, Lacerta, Rana und Testudo umfaßt; beide werden durch das Vorhan- densein oder Fehlen der Füße auseinandergehalten. In der nächsten Ausgabe des Natursystems aber, der zehnten, bringt er merkwürdiger- weise unter dem Titel der Amphibia nantes (!) eine Anzahl Fische zu den Amphibien, welche, früher von Artedi als Chondropterygier zu- sammengefaßt, von Linne deshalb für Amphibien erklärt werden, weil ihre "Lungen zwar kammförmig wie die der Fische, aber ohne knöcherne Strahlen, einem cylindrisch-röhrigen gebogenen Gange angewachsen seien, welcher nur äußerlich mit dem der Fische übereinstimme49). Es ist dies um so auffallender, als Linne sonst eine Verwechslung zweier nur in ihren Functionen übereinstimmender, also analoger, aber ana- tomisch verschiedener Theile unter einer gemeinsamen Bezeichnung kaum begegnet. Der Widerspruch wird nicht gehoben, wenn Linne in der zwölf- 49) "Pulmones horum pectinati ut Piscium, sed adnati vasi arcato cylin-
drico tubuloso absque radio osseo, nec piscium simili nisi externa figura." Syſteme erfahren. Auch iſt hier offenbar am wenigſten Conſequenz in der Benutzung und Beachtung der einmal gewählten Merkmale nachzu- weiſen. Die Amphibien bilden anfänglich nur eine Ordnung: Schleichende, Serpentia, zu welcher er die vier Gattungen Schildkröte, Froſch, Eidechſe und Schlange ſtellt. Später trennt er ſie in die beiden Ordnungen Serpentia und Reptilia, von denen die erſtere die verſchie- denen Schlangengattungen und Coecilia, die letztere die Gattungen Draco, Lacerta, Rana und Testudo umfaßt; beide werden durch das Vorhan- denſein oder Fehlen der Füße auseinandergehalten. In der nächſten Ausgabe des Naturſyſtems aber, der zehnten, bringt er merkwürdiger- weiſe unter dem Titel der Amphibia nantes (!) eine Anzahl Fiſche zu den Amphibien, welche, früher von Artedi als Chondropterygier zu- ſammengefaßt, von Linné deshalb für Amphibien erklärt werden, weil ihre „Lungen zwar kammförmig wie die der Fiſche, aber ohne knöcherne Strahlen, einem cylindriſch-röhrigen gebogenen Gange angewachſen ſeien, welcher nur äußerlich mit dem der Fiſche übereinſtimme49). Es iſt dies um ſo auffallender, als Linné ſonſt eine Verwechslung zweier nur in ihren Functionen übereinſtimmender, alſo analoger, aber ana- tomiſch verſchiedener Theile unter einer gemeinſamen Bezeichnung kaum begegnet. Der Widerſpruch wird nicht gehoben, wenn Linné in der zwölf- 49) »Pulmones horum pectinati ut Piscium, sed adnati vasi arcato cylin-
drico tubuloso absque radio osseo, nec piscium simili nisi externa figura.« <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0520" n="509"/><fw place="top" type="header"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Carl von Linné</persName>.</fw><lb/> Syſteme erfahren. Auch iſt hier offenbar am wenigſten Conſequenz in<lb/> der Benutzung und Beachtung der einmal gewählten Merkmale nachzu-<lb/> weiſen. Die <hi rendition="#g">Amphibien</hi> bilden anfänglich nur eine Ordnung:<lb/> Schleichende, <hi rendition="#aq">Serpentia,</hi> zu welcher er die vier Gattungen Schildkröte,<lb/> Froſch, Eidechſe und Schlange ſtellt. Später trennt er ſie in die beiden<lb/> Ordnungen <hi rendition="#aq">Serpentia</hi> und <hi rendition="#aq">Reptilia,</hi> von denen die erſtere die verſchie-<lb/> denen Schlangengattungen und <hi rendition="#aq">Coecilia,</hi> die letztere die Gattungen <hi rendition="#aq">Draco,<lb/> Lacerta, Rana</hi> und <hi rendition="#aq">Testudo</hi> umfaßt; beide werden durch das Vorhan-<lb/> denſein oder Fehlen der Füße auseinandergehalten. In der nächſten<lb/> Ausgabe des Naturſyſtems aber, der zehnten, bringt er merkwürdiger-<lb/> weiſe unter dem Titel der <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Amphibia nantes</hi></hi> (!) eine Anzahl Fiſche<lb/> zu den Amphibien, welche, früher von <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/11766313">Artedi</persName></hi> als Chondropterygier zu-<lb/> ſammengefaßt, von <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Linné</persName> deshalb für Amphibien erklärt werden, weil ihre<lb/> „Lungen zwar kammförmig wie die der Fiſche, aber ohne knöcherne<lb/> Strahlen, einem cylindriſch-röhrigen gebogenen Gange angewachſen<lb/> ſeien, welcher nur äußerlich mit dem der Fiſche übereinſtimme<note place="foot" n="49)">»<hi rendition="#aq">Pulmones horum pectinati ut Piscium, sed adnati vasi arcato cylin-<lb/> drico tubuloso absque radio osseo, nec piscium simili nisi externa figura.«</hi></note>.<lb/> Es iſt dies um ſo auffallender, als <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Linné</persName> ſonſt eine Verwechslung zweier<lb/> nur in ihren Functionen übereinſtimmender, alſo analoger, aber ana-<lb/> tomiſch verſchiedener Theile unter einer gemeinſamen Bezeichnung kaum<lb/> begegnet.</p><lb/> <p>Der Widerſpruch wird nicht gehoben, wenn <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Linné</persName> in der zwölf-<lb/> ten Ausgabe des Syſtems das gleichzeitige Vorhandenſein von Kiemen<lb/> und Lungen in die Diagnoſe aufnimmt, ohne bei einem einzigen hierher<lb/> gezählten Fiſche, mit Ausnahme einer auf <hi rendition="#aq">Diodon</hi> ſich beziehenden An-<lb/> gabe <hi rendition="#g">Gardens</hi>, eine Lunge wirklich zu ſchildern. Daß er die eigen-<lb/> thümlichen Kiemenformen der Petromyzonten für Lungen hält, iſt ihm<lb/> weniger zum Vorwurf zu rechnen, als ihre willkürliche Annahme bei<lb/> Rochen und Haien u. a. In der zehnten Ausgabe erſcheinen als ſchwim-<lb/> mende Amphibien Pricke, Roche, Hai, Chimäre, <hi rendition="#aq">Lophius</hi> und Stör; in<lb/> der zwölften Ausgabe hat <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Linné</persName> auch noch die ganze <persName ref="http://d-nb.info/gnd/11766313">Artedi</persName>'ſche Ordnung<lb/> der Branchioſtegen aufgegeben und bringt nun mit <hi rendition="#aq">Lophius</hi> auch den<lb/> Reſt mit <hi rendition="#aq">Cyclopterus, Balistes</hi> und <hi rendition="#aq">Ostracion</hi> und die neuen Gattun-<lb/> gen <hi rendition="#aq">Tetrodon, Diodon</hi> und <hi rendition="#aq">Centriscus</hi> und ſelbſt aus den Malako-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [509/0520]
Carl von Linné.
Syſteme erfahren. Auch iſt hier offenbar am wenigſten Conſequenz in
der Benutzung und Beachtung der einmal gewählten Merkmale nachzu-
weiſen. Die Amphibien bilden anfänglich nur eine Ordnung:
Schleichende, Serpentia, zu welcher er die vier Gattungen Schildkröte,
Froſch, Eidechſe und Schlange ſtellt. Später trennt er ſie in die beiden
Ordnungen Serpentia und Reptilia, von denen die erſtere die verſchie-
denen Schlangengattungen und Coecilia, die letztere die Gattungen Draco,
Lacerta, Rana und Testudo umfaßt; beide werden durch das Vorhan-
denſein oder Fehlen der Füße auseinandergehalten. In der nächſten
Ausgabe des Naturſyſtems aber, der zehnten, bringt er merkwürdiger-
weiſe unter dem Titel der Amphibia nantes (!) eine Anzahl Fiſche
zu den Amphibien, welche, früher von Artedi als Chondropterygier zu-
ſammengefaßt, von Linné deshalb für Amphibien erklärt werden, weil ihre
„Lungen zwar kammförmig wie die der Fiſche, aber ohne knöcherne
Strahlen, einem cylindriſch-röhrigen gebogenen Gange angewachſen
ſeien, welcher nur äußerlich mit dem der Fiſche übereinſtimme 49).
Es iſt dies um ſo auffallender, als Linné ſonſt eine Verwechslung zweier
nur in ihren Functionen übereinſtimmender, alſo analoger, aber ana-
tomiſch verſchiedener Theile unter einer gemeinſamen Bezeichnung kaum
begegnet.
Der Widerſpruch wird nicht gehoben, wenn Linné in der zwölf-
ten Ausgabe des Syſtems das gleichzeitige Vorhandenſein von Kiemen
und Lungen in die Diagnoſe aufnimmt, ohne bei einem einzigen hierher
gezählten Fiſche, mit Ausnahme einer auf Diodon ſich beziehenden An-
gabe Gardens, eine Lunge wirklich zu ſchildern. Daß er die eigen-
thümlichen Kiemenformen der Petromyzonten für Lungen hält, iſt ihm
weniger zum Vorwurf zu rechnen, als ihre willkürliche Annahme bei
Rochen und Haien u. a. In der zehnten Ausgabe erſcheinen als ſchwim-
mende Amphibien Pricke, Roche, Hai, Chimäre, Lophius und Stör; in
der zwölften Ausgabe hat Linné auch noch die ganze Artedi'ſche Ordnung
der Branchioſtegen aufgegeben und bringt nun mit Lophius auch den
Reſt mit Cyclopterus, Balistes und Ostracion und die neuen Gattun-
gen Tetrodon, Diodon und Centriscus und ſelbſt aus den Malako-
49) »Pulmones horum pectinati ut Piscium, sed adnati vasi arcato cylin-
drico tubuloso absque radio osseo, nec piscium simili nisi externa figura.«
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |