aber ein Mann, welchen gerade die hier erwähnten Momente be- stimmten, den Aufbau des Systems von den Thieren selbst aus und nicht bloß einseitig nach ihrer äußern Erscheinung zu versuchen, welcher die Nothwendigkeit fühlte, diesen Versuchen eine sicherere formelle Begründung zu geben als bisher und welcher unter kritischer Benutzung aller inzwischen gemachten Erfahrungen trotz mancher durch die Zeit bedingten Misgriffe, die Zoologie von Neuem wissenschaftlich gründete. Denn mit ihm hörte sie auf, eine bloße Sammlung natur- historischer Schilderungen zu sein; er vereinigte zum erstenmale die so- wohl aus der Kenntniß des ganzen Thierreichs als aus der der einzel- nen Formen und Gruppen resultirenden allgemeinen Wahrheiten zu einer systematischen Gesammtform; er vollendete das Gebäude, zu welchem Ray neuerdings den Grund zu legen begonnen hatte und dessen eine Außenwand Klein einseitig aufzuführen versucht hatte.
Eine ziemlich weit verzweigte Familie schwedischer Bauern hatte bereits im siebzehnten Jahrhundert mehrere Söhne in den Gelehrten- stand eintreten lassen. Dabei nahmen diese einen Familiennamen an und wählten ihn nach einer in ihrer Geburtsgegend zwischen Jomsboda und Linnhult stehenden Linde. So nannte sich der eine Zweig Tiliander, der andere Lindelius. Der 1674 geborene Nils Ingemarsson wurde 1705 Prediger in Rashult, 1707 Prediger in Stenbrohult in Sma- land und nahm beim Eintritt in die Universität, der Ueberlieferung nach von derselben Linde, den Namen Linnaeus an. In Rashult wurde am 2./13. Mai 1707 sein Sohn Carl Linnaeus geboren, dessen Namen sich bei der vom 4. April 1757 datirten im November 1761 erfolgten und durch Reichstagsbeschluß von Ende 1762 bestätig- ten Erhebung in den Adelsstand in Carl von Linne umänderte46). Bei dem Sohne eines für Gartenbau und Pflanzenkunde begeisterten Mannes erwachte die Liebe zur Natur und zur eingehenden Beschäf- tigung mit ihr schon in den frühen Knabenjahren und führte ihn zur
46) Kann "Linnaeus" immerhin als latinisirte Form von "Linne" angesehen und gebraucht werden, so hieß Linne doch vor 1762 nicht so, sondern nur Linnaeus.
Periode der Syſtematik.
aber ein Mann, welchen gerade die hier erwähnten Momente be- ſtimmten, den Aufbau des Syſtems von den Thieren ſelbſt aus und nicht bloß einſeitig nach ihrer äußern Erſcheinung zu verſuchen, welcher die Nothwendigkeit fühlte, dieſen Verſuchen eine ſicherere formelle Begründung zu geben als bisher und welcher unter kritiſcher Benutzung aller inzwiſchen gemachten Erfahrungen trotz mancher durch die Zeit bedingten Misgriffe, die Zoologie von Neuem wiſſenſchaftlich gründete. Denn mit ihm hörte ſie auf, eine bloße Sammlung natur- hiſtoriſcher Schilderungen zu ſein; er vereinigte zum erſtenmale die ſo- wohl aus der Kenntniß des ganzen Thierreichs als aus der der einzel- nen Formen und Gruppen reſultirenden allgemeinen Wahrheiten zu einer ſyſtematiſchen Geſammtform; er vollendete das Gebäude, zu welchem Ray neuerdings den Grund zu legen begonnen hatte und deſſen eine Außenwand Klein einſeitig aufzuführen verſucht hatte.
Eine ziemlich weit verzweigte Familie ſchwediſcher Bauern hatte bereits im ſiebzehnten Jahrhundert mehrere Söhne in den Gelehrten- ſtand eintreten laſſen. Dabei nahmen dieſe einen Familiennamen an und wählten ihn nach einer in ihrer Geburtsgegend zwiſchen Jomsboda und Linnhult ſtehenden Linde. So nannte ſich der eine Zweig Tiliander, der andere Lindelius. Der 1674 geborene Nils Ingemarsſon wurde 1705 Prediger in Råshult, 1707 Prediger in Stenbrohult in Små- land und nahm beim Eintritt in die Univerſität, der Ueberlieferung nach von derſelben Linde, den Namen Linnaeus an. In Råshult wurde am 2./13. Mai 1707 ſein Sohn Carl Linnaeus geboren, deſſen Namen ſich bei der vom 4. April 1757 datirten im November 1761 erfolgten und durch Reichstagsbeſchluß von Ende 1762 beſtätig- ten Erhebung in den Adelsſtand in Carl von Linné umänderte46). Bei dem Sohne eines für Gartenbau und Pflanzenkunde begeiſterten Mannes erwachte die Liebe zur Natur und zur eingehenden Beſchäf- tigung mit ihr ſchon in den frühen Knabenjahren und führte ihn zur
46) Kann „Linnaeus“ immerhin als latiniſirte Form von „Linné“ angeſehen und gebraucht werden, ſo hieß Linné doch vor 1762 nicht ſo, ſondern nur Linnaeus.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0503"n="492"/><fwplace="top"type="header">Periode der Syſtematik.</fw><lb/>
aber ein Mann, welchen gerade die hier erwähnten Momente be-<lb/>ſtimmten, den Aufbau des Syſtems von den Thieren ſelbſt aus<lb/>
und nicht bloß einſeitig nach ihrer äußern Erſcheinung zu verſuchen,<lb/>
welcher die Nothwendigkeit fühlte, dieſen Verſuchen eine ſicherere<lb/>
formelle Begründung zu geben als bisher und welcher unter kritiſcher<lb/>
Benutzung aller inzwiſchen gemachten Erfahrungen trotz mancher durch<lb/>
die Zeit bedingten Misgriffe, die Zoologie von Neuem wiſſenſchaftlich<lb/>
gründete. Denn mit ihm hörte ſie auf, eine bloße Sammlung natur-<lb/>
hiſtoriſcher Schilderungen zu ſein; er vereinigte zum erſtenmale die ſo-<lb/>
wohl aus der Kenntniß des ganzen Thierreichs als aus der der einzel-<lb/>
nen Formen und Gruppen reſultirenden allgemeinen Wahrheiten zu<lb/>
einer ſyſtematiſchen Geſammtform; er vollendete das Gebäude, zu<lb/>
welchem <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118788000">Ray</persName> neuerdings den Grund zu legen begonnen hatte und deſſen<lb/>
eine Außenwand <persNameref="http://d-nb.info/gnd/117523216">Klein</persName> einſeitig aufzuführen verſucht hatte.</p><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Carl von Linné</persName></hi>.</head><lb/><p>Eine ziemlich weit verzweigte Familie ſchwediſcher Bauern hatte<lb/>
bereits im ſiebzehnten Jahrhundert mehrere Söhne in den Gelehrten-<lb/>ſtand eintreten laſſen. Dabei nahmen dieſe einen Familiennamen an<lb/>
und wählten ihn nach einer in ihrer Geburtsgegend zwiſchen <placeName>Jomsboda</placeName><lb/>
und <placeName>Linnhult</placeName>ſtehenden Linde. So nannte ſich der eine Zweig Tiliander,<lb/>
der andere Lindelius. Der 1674 geborene Nils Ingemarsſon wurde<lb/>
1705 Prediger in Råshult, 1707 Prediger in Stenbrohult in Små-<lb/>
land und nahm beim Eintritt in die Univerſität, der Ueberlieferung<lb/>
nach von derſelben Linde, den Namen <hirendition="#g"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Linnaeus</persName></hi> an. In Råshult<lb/>
wurde am 2./13. Mai 1707 ſein Sohn <hirendition="#g"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118573330">Carl Linnaeus</persName></hi> geboren,<lb/>
deſſen Namen ſich bei der vom 4. April 1757 datirten im November<lb/>
1761 erfolgten und durch Reichstagsbeſchluß von Ende 1762 beſtätig-<lb/>
ten Erhebung in den Adelsſtand in <hirendition="#g"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Carl von Linné</persName></hi> umänderte<noteplace="foot"n="46)">Kann „<persNameref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Linnaeus</persName>“ immerhin als latiniſirte Form von „<persNameref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Linné</persName>“ angeſehen<lb/>
und gebraucht werden, ſo hieß <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Linné</persName> doch vor 1762 nicht ſo, ſondern nur <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118573349">Linnaeus</persName>.</note>.<lb/>
Bei dem Sohne eines für Gartenbau und Pflanzenkunde begeiſterten<lb/>
Mannes erwachte die Liebe zur Natur und zur eingehenden Beſchäf-<lb/>
tigung mit ihr ſchon in den frühen Knabenjahren und führte ihn zur<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[492/0503]
Periode der Syſtematik.
aber ein Mann, welchen gerade die hier erwähnten Momente be-
ſtimmten, den Aufbau des Syſtems von den Thieren ſelbſt aus
und nicht bloß einſeitig nach ihrer äußern Erſcheinung zu verſuchen,
welcher die Nothwendigkeit fühlte, dieſen Verſuchen eine ſicherere
formelle Begründung zu geben als bisher und welcher unter kritiſcher
Benutzung aller inzwiſchen gemachten Erfahrungen trotz mancher durch
die Zeit bedingten Misgriffe, die Zoologie von Neuem wiſſenſchaftlich
gründete. Denn mit ihm hörte ſie auf, eine bloße Sammlung natur-
hiſtoriſcher Schilderungen zu ſein; er vereinigte zum erſtenmale die ſo-
wohl aus der Kenntniß des ganzen Thierreichs als aus der der einzel-
nen Formen und Gruppen reſultirenden allgemeinen Wahrheiten zu
einer ſyſtematiſchen Geſammtform; er vollendete das Gebäude, zu
welchem Ray neuerdings den Grund zu legen begonnen hatte und deſſen
eine Außenwand Klein einſeitig aufzuführen verſucht hatte.
Carl von Linné.
Eine ziemlich weit verzweigte Familie ſchwediſcher Bauern hatte
bereits im ſiebzehnten Jahrhundert mehrere Söhne in den Gelehrten-
ſtand eintreten laſſen. Dabei nahmen dieſe einen Familiennamen an
und wählten ihn nach einer in ihrer Geburtsgegend zwiſchen Jomsboda
und Linnhult ſtehenden Linde. So nannte ſich der eine Zweig Tiliander,
der andere Lindelius. Der 1674 geborene Nils Ingemarsſon wurde
1705 Prediger in Råshult, 1707 Prediger in Stenbrohult in Små-
land und nahm beim Eintritt in die Univerſität, der Ueberlieferung
nach von derſelben Linde, den Namen Linnaeus an. In Råshult
wurde am 2./13. Mai 1707 ſein Sohn Carl Linnaeus geboren,
deſſen Namen ſich bei der vom 4. April 1757 datirten im November
1761 erfolgten und durch Reichstagsbeſchluß von Ende 1762 beſtätig-
ten Erhebung in den Adelsſtand in Carl von Linné umänderte 46).
Bei dem Sohne eines für Gartenbau und Pflanzenkunde begeiſterten
Mannes erwachte die Liebe zur Natur und zur eingehenden Beſchäf-
tigung mit ihr ſchon in den frühen Knabenjahren und führte ihn zur
46) Kann „Linnaeus“ immerhin als latiniſirte Form von „Linné“ angeſehen
und gebraucht werden, ſo hieß Linné doch vor 1762 nicht ſo, ſondern nur Linnaeus.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/503>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.