Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Bedeutung für das Fortschreiten der Zoologie war Jan Swammer- dam. Seine Untersuchungen sind nicht, wie es mehr oder weniger bei Leeuwenhoek der Fall war, planlos je nach dem zufällig sich bietenden Materiale, sondern unter vollkommenster Beherrschung der anatomi- schen Kenntnisse mit dem Bestreben, die Lebens- und Bildungseigen- thümlichkeiten der niederen Thiere, besonders der Insecten, aufzuklären, angestellt worden. Es machten sich aber bei ihm nicht bloß die Wir- kungen der Neugestaltung der Anatomie im wissenschaftlichen Gehalte seiner Arbeiten geltend, sondern es erscheint auch bei ihm in Folge sei- nes unbefriedigten äußeren Lebens und der sich daraus entwickelnden pietistisch-schärmerischen Gemüthsstimmung jene Auffassung der Natur- wissenschaften in hervorragender Weise, welche den Nachweis Gottes und seiner Herrlichkeit in den Wundern der Natur als höchste Aufgabe ansah. Swammerdam wurde als Sohn eines in Swammerdam bei Amsterdam lebenden, aber später nach Amsterdam übergesiedelten und nach seinem Geburtsorte genannten Apothekers im Jahre 1637 geboren, studirte von 1661 an in Leyden unter Jan von Hoorne und Franz de la Boe (Sylvius) Medicin, lernte dort den Dänen Nicolaus Steno und Regner de Graaf kennen und gieng dann mit Steno auf ein paar Jahre nach Frankreich, wo er zuletzt die sich ihm oft bewäh- rende Freundschaft Melchis. Thevenots, eines einflußreichen Diploma- ten und Bruders des bekannten Reisenden, gewann. Nach Leyden zu- rückgekehrt wurde er durch Vertheidigung einer Arbeit über das Ath- men 1667 Doctor der Medicin, prakticirte aber nicht als Arzt, sondern widmete sich ganz der Anatomie und Beobachtung niederer Thiere. Unzufriedenheit seines Vaters mit seiner alle praktischen Rücksichten verdrängenden Vorliebe für das Naturstudium, das Gefühl des Un- befriedigtseins, da er in völliger Abhängigkeit von seinem Vater trotz seines vorgeschrittenen Alters keine sichere Lebensstellung hatte, und wohl auch Zerrüttung seiner Gesundheit ließen ihn in dem die Schriften der bekannten chiliastischen Schwärmerin Antoinette Bourignon durch- ziehenden Geiste den Anker erblicken, an welchen er sich in seiner Noth halten könne. Er trat 1673 mit ihr in Briefwechsel, gieng sogar 1675 zu ihr nach Schleswig und als sie dort ausgewiesen wurde, mit ihr V. Carus, Gesch. d. Zool. 26
Bedeutung für das Fortſchreiten der Zoologie war Jan Swammer- dam. Seine Unterſuchungen ſind nicht, wie es mehr oder weniger bei Leeuwenhoek der Fall war, planlos je nach dem zufällig ſich bietenden Materiale, ſondern unter vollkommenſter Beherrſchung der anatomi- ſchen Kenntniſſe mit dem Beſtreben, die Lebens- und Bildungseigen- thümlichkeiten der niederen Thiere, beſonders der Inſecten, aufzuklären, angeſtellt worden. Es machten ſich aber bei ihm nicht bloß die Wir- kungen der Neugeſtaltung der Anatomie im wiſſenſchaftlichen Gehalte ſeiner Arbeiten geltend, ſondern es erſcheint auch bei ihm in Folge ſei- nes unbefriedigten äußeren Lebens und der ſich daraus entwickelnden pietiſtiſch-ſchärmeriſchen Gemüthsſtimmung jene Auffaſſung der Natur- wiſſenſchaften in hervorragender Weiſe, welche den Nachweis Gottes und ſeiner Herrlichkeit in den Wundern der Natur als höchſte Aufgabe anſah. Swammerdam wurde als Sohn eines in Swammerdam bei Amſterdam lebenden, aber ſpäter nach Amſterdam übergeſiedelten und nach ſeinem Geburtsorte genannten Apothekers im Jahre 1637 geboren, ſtudirte von 1661 an in Leyden unter Jan von Hoorne und Franz de la Boë (Sylvius) Medicin, lernte dort den Dänen Nicolaus Steno und Regner de Graaf kennen und gieng dann mit Steno auf ein paar Jahre nach Frankreich, wo er zuletzt die ſich ihm oft bewäh- rende Freundſchaft Melchiſ. Thevenots, eines einflußreichen Diploma- ten und Bruders des bekannten Reiſenden, gewann. Nach Leyden zu- rückgekehrt wurde er durch Vertheidigung einer Arbeit über das Ath- men 1667 Doctor der Medicin, prakticirte aber nicht als Arzt, ſondern widmete ſich ganz der Anatomie und Beobachtung niederer Thiere. Unzufriedenheit ſeines Vaters mit ſeiner alle praktiſchen Rückſichten verdrängenden Vorliebe für das Naturſtudium, das Gefühl des Un- befriedigtſeins, da er in völliger Abhängigkeit von ſeinem Vater trotz ſeines vorgeſchrittenen Alters keine ſichere Lebensſtellung hatte, und wohl auch Zerrüttung ſeiner Geſundheit ließen ihn in dem die Schriften der bekannten chiliaſtiſchen Schwärmerin Antoinette Bourignon durch- ziehenden Geiſte den Anker erblicken, an welchen er ſich in ſeiner Noth halten könne. Er trat 1673 mit ihr in Briefwechſel, gieng ſogar 1675 zu ihr nach Schleswig und als ſie dort ausgewieſen wurde, mit ihr V. Carus, Geſch. d. Zool. 26
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Jan Swammerdam.
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Leeuwenhoek der Fall war, planlos je nach dem zufällig ſich bietenden
Materiale, ſondern unter vollkommenſter Beherrſchung der anatomi-
ſchen Kenntniſſe mit dem Beſtreben, die Lebens- und Bildungseigen-
thümlichkeiten der niederen Thiere, beſonders der Inſecten, aufzuklären,
angeſtellt worden. Es machten ſich aber bei ihm nicht bloß die Wir-
kungen der Neugeſtaltung der Anatomie im wiſſenſchaftlichen Gehalte
ſeiner Arbeiten geltend, ſondern es erſcheint auch bei ihm in Folge ſei-
nes unbefriedigten äußeren Lebens und der ſich daraus entwickelnden
pietiſtiſch-ſchärmeriſchen Gemüthsſtimmung jene Auffaſſung der Natur-
wiſſenſchaften in hervorragender Weiſe, welche den Nachweis Gottes
und ſeiner Herrlichkeit in den Wundern der Natur als höchſte Aufgabe
anſah. Swammerdam wurde als Sohn eines in Swammerdam
bei Amſterdam lebenden, aber ſpäter nach Amſterdam übergeſiedelten
und nach ſeinem Geburtsorte genannten Apothekers im Jahre 1637
geboren, ſtudirte von 1661 an in Leyden unter Jan von Hoorne und
Franz de la Boë (Sylvius) Medicin, lernte dort den Dänen Nicolaus
Steno und Regner de Graaf kennen und gieng dann mit Steno auf
ein paar Jahre nach Frankreich, wo er zuletzt die ſich ihm oft bewäh-
rende Freundſchaft Melchiſ. Thevenots, eines einflußreichen Diploma-
ten und Bruders des bekannten Reiſenden, gewann. Nach Leyden zu-
rückgekehrt wurde er durch Vertheidigung einer Arbeit über das Ath-
men 1667 Doctor der Medicin, prakticirte aber nicht als Arzt, ſondern
widmete ſich ganz der Anatomie und Beobachtung niederer Thiere.
Unzufriedenheit ſeines Vaters mit ſeiner alle praktiſchen Rückſichten
verdrängenden Vorliebe für das Naturſtudium, das Gefühl des Un-
befriedigtſeins, da er in völliger Abhängigkeit von ſeinem Vater trotz
ſeines vorgeſchrittenen Alters keine ſichere Lebensſtellung hatte, und
wohl auch Zerrüttung ſeiner Geſundheit ließen ihn in dem die Schriften
der bekannten chiliaſtiſchen Schwärmerin Antoinette Bourignon durch-
ziehenden Geiſte den Anker erblicken, an welchen er ſich in ſeiner Noth
halten könne. Er trat 1673 mit ihr in Briefwechſel, gieng ſogar 1675
zu ihr nach Schleswig und als ſie dort ausgewieſen wurde, mit ihr
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