2. Eintritt der Thiere in den religiösen Vorstellungskreis.
braucht man nicht einen ursprünglich hohen, später verlornen Entwicke- lungszustand der Naturwissenschaften bei den Urvölkern anzunehmen, wie es seit Creuzer hier und da nur zu bereitwillig ohne jeglichen Nachweis geschah.
Ein Beweis dafür, daß der Eintritt von Thieren in allgemeine kosmogonische oder mythologische Bilder erst nach der Trennung der Urvölker, erst nach weiterer Entwickelung einzelner derselben erfolgte, liegt in der geographischen Färbung derartiger Sagen, wogegen sich ge- wisse gemeinsame Züge aus der Zeit des ursprünglichen Zusammen- lebens erhalten haben mögen. Es finden sich daher in denselben neben den urbekannten Hausthieren nur Thiere, welche in ihrem Vorkommen gewissen Ländern oder gewissen Breiten eigen sind. Beispielsweise mag hier nur auf Einzelnes hingewiesen werden. Die Inder ließen ihre Welt von vier Elefanten getragen sein, welche wiederum auf einer Rie- senschildkröte standen; dagegen wurden die Flüsse Nahrung spendenden Kühen verglichen. Lakschmi, Vischnu's Frau, hat als Symbol eine Kuh. Diesem Zeichen der völlig unterworfenen Hausthierwelt stehen die im Gefolge Civa's ebenso wie des griechischen Dionysos erschei- nenden Löwen und Panther gegenüber als Symbol weiterer Gewalt über wilde Naturkräfte. Den Sonnenwagen Mithra's wie des grie- chischen Helios ziehen Rosse; ebenso reitet Wuotan der nordische Zeus auf einem Rosse, während Donar in einem von zwei Böcken gezogenen Wagen fährt. Den Wagen des Freyr, des nordischen Gottes der Sonne, zieht ein Eber; doch auch ihm als Gott der Fruchtbarkeit war die Kuh geweiht. Dem Ormuzd und Zeus war der Adler, dem Don- nergott Donar das Rothkehlchen heilig. Während in südlichen Bildern der Löwe erscheint (Sphinx als Löwenleib mit Menschenkopf, nemäi- scher Löwe u. a.), läßt die nordische Mythologie das Ende der Welt dadurch hereinbrechen, daß ein Wolf die Sonne, ein anderer den Mond verschlingt. Dagegen war die Gans (Schwan) sowohl bei den In- dern der Göttin der Rede, bei den Römern der Juno geweiht, als sie bei den Griechen die Gabe der Weissagung und des Gesanges er- hielt, ebenso wie sie auch bei den alten Deutschen als weissagender Vogel galt. -- So finden sich denn in den religiösen Stammsagen der
2. Eintritt der Thiere in den religiöſen Vorſtellungskreis.
braucht man nicht einen urſprünglich hohen, ſpäter verlornen Entwicke- lungszuſtand der Naturwiſſenſchaften bei den Urvölkern anzunehmen, wie es ſeit Creuzer hier und da nur zu bereitwillig ohne jeglichen Nachweis geſchah.
Ein Beweis dafür, daß der Eintritt von Thieren in allgemeine kosmogoniſche oder mythologiſche Bilder erſt nach der Trennung der Urvölker, erſt nach weiterer Entwickelung einzelner derſelben erfolgte, liegt in der geographiſchen Färbung derartiger Sagen, wogegen ſich ge- wiſſe gemeinſame Züge aus der Zeit des urſprünglichen Zuſammen- lebens erhalten haben mögen. Es finden ſich daher in denſelben neben den urbekannten Hausthieren nur Thiere, welche in ihrem Vorkommen gewiſſen Ländern oder gewiſſen Breiten eigen ſind. Beiſpielsweiſe mag hier nur auf Einzelnes hingewieſen werden. Die Inder ließen ihre Welt von vier Elefanten getragen ſein, welche wiederum auf einer Rie- ſenſchildkröte ſtanden; dagegen wurden die Flüſſe Nahrung ſpendenden Kühen verglichen. Lakſchmi, Viſchnu’s Frau, hat als Symbol eine Kuh. Dieſem Zeichen der völlig unterworfenen Hausthierwelt ſtehen die im Gefolge Çiva’s ebenſo wie des griechiſchen Dionyſos erſchei- nenden Löwen und Panther gegenüber als Symbol weiterer Gewalt über wilde Naturkräfte. Den Sonnenwagen Mithra’s wie des grie- chiſchen Helios ziehen Roſſe; ebenſo reitet Wuotan der nordiſche Zeus auf einem Roſſe, während Donar in einem von zwei Böcken gezogenen Wagen fährt. Den Wagen des Freyr, des nordiſchen Gottes der Sonne, zieht ein Eber; doch auch ihm als Gott der Fruchtbarkeit war die Kuh geweiht. Dem Ormuzd und Zeus war der Adler, dem Don- nergott Donar das Rothkehlchen heilig. Während in ſüdlichen Bildern der Löwe erſcheint (Sphinx als Löwenleib mit Menſchenkopf, nemäi- ſcher Löwe u. a.), läßt die nordiſche Mythologie das Ende der Welt dadurch hereinbrechen, daß ein Wolf die Sonne, ein anderer den Mond verſchlingt. Dagegen war die Gans (Schwan) ſowohl bei den In- dern der Göttin der Rede, bei den Römern der Juno geweiht, als ſie bei den Griechen die Gabe der Weiſſagung und des Geſanges er- hielt, ebenſo wie ſie auch bei den alten Deutſchen als weiſſagender Vogel galt. — So finden ſich denn in den religiöſen Stammſagen der
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2. Eintritt der Thiere in den religiöſen Vorſtellungskreis.
braucht man nicht einen urſprünglich hohen, ſpäter verlornen Entwicke-
lungszuſtand der Naturwiſſenſchaften bei den Urvölkern anzunehmen,
wie es ſeit Creuzer hier und da nur zu bereitwillig ohne jeglichen
Nachweis geſchah.
Ein Beweis dafür, daß der Eintritt von Thieren in allgemeine
kosmogoniſche oder mythologiſche Bilder erſt nach der Trennung der
Urvölker, erſt nach weiterer Entwickelung einzelner derſelben erfolgte,
liegt in der geographiſchen Färbung derartiger Sagen, wogegen ſich ge-
wiſſe gemeinſame Züge aus der Zeit des urſprünglichen Zuſammen-
lebens erhalten haben mögen. Es finden ſich daher in denſelben neben
den urbekannten Hausthieren nur Thiere, welche in ihrem Vorkommen
gewiſſen Ländern oder gewiſſen Breiten eigen ſind. Beiſpielsweiſe mag
hier nur auf Einzelnes hingewieſen werden. Die Inder ließen ihre
Welt von vier Elefanten getragen ſein, welche wiederum auf einer Rie-
ſenſchildkröte ſtanden; dagegen wurden die Flüſſe Nahrung ſpendenden
Kühen verglichen. Lakſchmi, Viſchnu’s Frau, hat als Symbol eine
Kuh. Dieſem Zeichen der völlig unterworfenen Hausthierwelt ſtehen
die im Gefolge Çiva’s ebenſo wie des griechiſchen Dionyſos erſchei-
nenden Löwen und Panther gegenüber als Symbol weiterer Gewalt
über wilde Naturkräfte. Den Sonnenwagen Mithra’s wie des grie-
chiſchen Helios ziehen Roſſe; ebenſo reitet Wuotan der nordiſche Zeus
auf einem Roſſe, während Donar in einem von zwei Böcken gezogenen
Wagen fährt. Den Wagen des Freyr, des nordiſchen Gottes der
Sonne, zieht ein Eber; doch auch ihm als Gott der Fruchtbarkeit war
die Kuh geweiht. Dem Ormuzd und Zeus war der Adler, dem Don-
nergott Donar das Rothkehlchen heilig. Während in ſüdlichen Bildern
der Löwe erſcheint (Sphinx als Löwenleib mit Menſchenkopf, nemäi-
ſcher Löwe u. a.), läßt die nordiſche Mythologie das Ende der Welt
dadurch hereinbrechen, daß ein Wolf die Sonne, ein anderer den Mond
verſchlingt. Dagegen war die Gans (Schwan) ſowohl bei den In-
dern der Göttin der Rede, bei den Römern der Juno geweiht, als
ſie bei den Griechen die Gabe der Weiſſagung und des Geſanges er-
hielt, ebenſo wie ſie auch bei den alten Deutſchen als weiſſagender Vogel
galt. — So finden ſich denn in den religiöſen Stammſagen der
V. Carus, Geſch. d. Zool. 2
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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