Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Periode der encyklopädischen Darsellung
Wirkung die Ursache aufzusuchen vorschrieb. Und wenn er auch die In-
duction noch nicht scharf von der Abstraction unterschied, sich also hierin
noch dem Aristoteles anschloß und irrthümlich die ganze übrige Logik
gegen die Induction zurücksetzte, alle übrigen heuristischen Methoden da-
her zu sehr vernachlässigte, so gibt er doch zuerst2) dem inductiven Ver-
fahren dadurch die wahre Bedeutung, daß er zeigt, wie der durch In-
duction gefundene Erklärungsgrund ein allgemeinerer ist, als der Ge-
halt der einzelnen Beispiele. Hiermit führte also die Induction factisch
zur Erweiterung des Wissens und zur Begründung wissenschaftlicher
Wahrheiten.

Es wäre nun freilich thöricht, die directe Wirkung aller dieser, hier
nur kurz anzudeutenden Erscheinungen in der Litteratur, besonders der
zoologischen, des vorliegenden Zeitraums nachweisen zu wollen. Abge-
sehen davon, daß sie erst gegen Ende desselben auftreten, ist es immer
noch ein weiter Schritt von dem Aufstellen eines neuen Gesichtspunktes
bis zur planvollen Durchführung desselben. Recht augenscheinlich tritt
der Einfluß dieser eigentlichsten naturwissenschaftlichen Methode viel-
leicht erst in der allerneuesten Periode der Zoologie hervor. Ganz un-
bemerkt konnte aber diese Bewegung auch in der damaligen Zeit an
Naturhistorikern nicht vorübergehn, da ihr Durchbruch durch die Zeit
selbst bedingt war, jene also selbst mitten in der Strömung standen.
Der wichtigste Erfolg für die Zoologie bestand in der Anerkennung der
Nothwendigkeit, Beobachtungen zu machen und nur selbst Gesehenes
oder sonst sicher Verbürgtes aufzunehmen. Hierdurch begannen die
Darstellungen klarer, weniger mit abergläubischem und fabelhaftem Bei-
werk durchsetzt, also zuverlässiger zu werden. Damit hieng aber wieder
das Auftreten einer andern Betrachtungsweise zusammen. Je reiner
nämlich nun die Naturgegenstände dem Beschauer entgegentraten, desto

2) Der eigentliche
Begründer der Induction ist allerdings Kepler. Für die
morphologische Untersuchung der organischen Natur ist aber sein Einfluß von ge-
ringer Bedeutung gewesen. Für diese fehlt noch die Möglichkeit, die Induction
mathematisch zu begründen. Hierdurch erhält sie daher viel ausgeprägter den
Cha-
rakter einer Heuristik im strengsten Wortsinne, und dies hat oft Veranlassung
gege-
ben, sie mit Speculation verwechseln zu lassen. Das Wesen des Processes
ist aber
dasselbe wie in andern Wissenschaften.

Periode der encyklopädiſchen Darſellung
Wirkung die Urſache aufzuſuchen vorſchrieb. Und wenn er auch die In-
duction noch nicht ſcharf von der Abſtraction unterſchied, ſich alſo hierin
noch dem Ariſtoteles anſchloß und irrthümlich die ganze übrige Logik
gegen die Induction zurückſetzte, alle übrigen heuriſtiſchen Methoden da-
her zu ſehr vernachläſſigte, ſo gibt er doch zuerſt2) dem inductiven Ver-
fahren dadurch die wahre Bedeutung, daß er zeigt, wie der durch In-
duction gefundene Erklärungsgrund ein allgemeinerer iſt, als der Ge-
halt der einzelnen Beiſpiele. Hiermit führte alſo die Induction factiſch
zur Erweiterung des Wiſſens und zur Begründung wiſſenſchaftlicher
Wahrheiten.

Es wäre nun freilich thöricht, die directe Wirkung aller dieſer, hier
nur kurz anzudeutenden Erſcheinungen in der Litteratur, beſonders der
zoologiſchen, des vorliegenden Zeitraums nachweiſen zu wollen. Abge-
ſehen davon, daß ſie erſt gegen Ende deſſelben auftreten, iſt es immer
noch ein weiter Schritt von dem Aufſtellen eines neuen Geſichtspunktes
bis zur planvollen Durchführung deſſelben. Recht augenſcheinlich tritt
der Einfluß dieſer eigentlichſten naturwiſſenſchaftlichen Methode viel-
leicht erſt in der allerneueſten Periode der Zoologie hervor. Ganz un-
bemerkt konnte aber dieſe Bewegung auch in der damaligen Zeit an
Naturhiſtorikern nicht vorübergehn, da ihr Durchbruch durch die Zeit
ſelbſt bedingt war, jene alſo ſelbſt mitten in der Strömung ſtanden.
Der wichtigſte Erfolg für die Zoologie beſtand in der Anerkennung der
Nothwendigkeit, Beobachtungen zu machen und nur ſelbſt Geſehenes
oder ſonſt ſicher Verbürgtes aufzunehmen. Hierdurch begannen die
Darſtellungen klarer, weniger mit abergläubiſchem und fabelhaftem Bei-
werk durchſetzt, alſo zuverläſſiger zu werden. Damit hieng aber wieder
das Auftreten einer andern Betrachtungsweiſe zuſammen. Je reiner
nämlich nun die Naturgegenſtände dem Beſchauer entgegentraten, deſto

2) Der eigentliche
Begründer der Induction iſt allerdings Kepler. Für die
morphologiſche Unterſuchung der organiſchen Natur iſt aber ſein Einfluß von ge-
ringer Bedeutung geweſen. Für dieſe fehlt noch die Möglichkeit, die Induction
mathematiſch zu begründen. Hierdurch erhält ſie daher viel ausgeprägter den
Cha-
rakter einer Heuriſtik im ſtrengſten Wortſinne, und dies hat oft Veranlaſſung
gege-
ben, ſie mit Speculation verwechſeln zu laſſen. Das Weſen des Proceſſes
iſt aber
daſſelbe wie in andern Wiſſenſchaften.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0275" n="264"/><fw place="top" type="header">Periode der encyklopädi&#x017F;chen Dar&#x017F;ellung</fw><lb/>
Wirkung die Ur&#x017F;ache aufzu&#x017F;uchen vor&#x017F;chrieb. Und wenn er auch die In-<lb/>
duction noch nicht &#x017F;charf von der Ab&#x017F;traction unter&#x017F;chied, &#x017F;ich al&#x017F;o hierin<lb/>
noch dem <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName> an&#x017F;chloß und irrthümlich die ganze übrige Logik<lb/>
gegen die Induction zurück&#x017F;etzte, alle übrigen heuri&#x017F;ti&#x017F;chen Methoden da-<lb/>
her zu &#x017F;ehr vernachlä&#x017F;&#x017F;igte, &#x017F;o gibt er doch zuer&#x017F;t<note place="foot" n="2)">Der eigentliche<lb/>
Begründer der Induction i&#x017F;t allerdings <hi rendition="#g">Kepler</hi>. Für die<lb/>
morphologi&#x017F;che Unter&#x017F;uchung der organi&#x017F;chen Natur i&#x017F;t aber &#x017F;ein Einfluß von ge-<lb/>
ringer Bedeutung gewe&#x017F;en. Für die&#x017F;e fehlt noch die Möglichkeit, die Induction<lb/>
mathemati&#x017F;ch zu begründen. Hierdurch erhält &#x017F;ie daher viel ausgeprägter den<lb/>
Cha-<lb/>
rakter einer Heuri&#x017F;tik im &#x017F;treng&#x017F;ten Wort&#x017F;inne, und dies hat oft Veranla&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
gege-<lb/>
ben, &#x017F;ie mit Speculation verwech&#x017F;eln zu la&#x017F;&#x017F;en. Das We&#x017F;en des Proce&#x017F;&#x017F;es<lb/>
i&#x017F;t aber<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe wie in andern Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften.</note> dem inductiven Ver-<lb/>
fahren dadurch die wahre Bedeutung, daß er zeigt, wie der durch In-<lb/>
duction gefundene Erklärungsgrund ein allgemeinerer i&#x017F;t, als der Ge-<lb/>
halt der einzelnen Bei&#x017F;piele. Hiermit führte al&#x017F;o die Induction facti&#x017F;ch<lb/>
zur Erweiterung des Wi&#x017F;&#x017F;ens und zur Begründung wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher<lb/>
Wahrheiten.</p><lb/>
          <p>Es wäre nun freilich thöricht, die directe Wirkung aller die&#x017F;er, hier<lb/>
nur kurz anzudeutenden Er&#x017F;cheinungen in der Litteratur, be&#x017F;onders der<lb/>
zoologi&#x017F;chen, des vorliegenden Zeitraums nachwei&#x017F;en zu wollen. Abge-<lb/>
&#x017F;ehen davon, daß &#x017F;ie er&#x017F;t gegen Ende de&#x017F;&#x017F;elben auftreten, i&#x017F;t es immer<lb/>
noch ein weiter Schritt von dem Auf&#x017F;tellen eines neuen Ge&#x017F;ichtspunktes<lb/>
bis zur planvollen Durchführung de&#x017F;&#x017F;elben. Recht augen&#x017F;cheinlich tritt<lb/>
der Einfluß die&#x017F;er eigentlich&#x017F;ten naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Methode viel-<lb/>
leicht er&#x017F;t in der allerneue&#x017F;ten Periode der Zoologie hervor. Ganz un-<lb/>
bemerkt konnte aber die&#x017F;e Bewegung auch in der damaligen Zeit an<lb/>
Naturhi&#x017F;torikern nicht vorübergehn, da ihr Durchbruch durch die Zeit<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t bedingt war, jene al&#x017F;o &#x017F;elb&#x017F;t mitten in der Strömung &#x017F;tanden.<lb/>
Der wichtig&#x017F;te Erfolg für die Zoologie be&#x017F;tand in der Anerkennung der<lb/>
Nothwendigkeit, Beobachtungen zu machen und nur &#x017F;elb&#x017F;t Ge&#x017F;ehenes<lb/>
oder &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;icher Verbürgtes aufzunehmen. Hierdurch begannen die<lb/>
Dar&#x017F;tellungen klarer, weniger mit abergläubi&#x017F;chem und fabelhaftem Bei-<lb/>
werk durch&#x017F;etzt, al&#x017F;o zuverlä&#x017F;&#x017F;iger zu werden. Damit hieng aber wieder<lb/>
das Auftreten einer andern Betrachtungswei&#x017F;e zu&#x017F;ammen. Je reiner<lb/>
nämlich nun die Naturgegen&#x017F;tände dem Be&#x017F;chauer entgegentraten, de&#x017F;to<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0275] Periode der encyklopädiſchen Darſellung Wirkung die Urſache aufzuſuchen vorſchrieb. Und wenn er auch die In- duction noch nicht ſcharf von der Abſtraction unterſchied, ſich alſo hierin noch dem Ariſtoteles anſchloß und irrthümlich die ganze übrige Logik gegen die Induction zurückſetzte, alle übrigen heuriſtiſchen Methoden da- her zu ſehr vernachläſſigte, ſo gibt er doch zuerſt 2) dem inductiven Ver- fahren dadurch die wahre Bedeutung, daß er zeigt, wie der durch In- duction gefundene Erklärungsgrund ein allgemeinerer iſt, als der Ge- halt der einzelnen Beiſpiele. Hiermit führte alſo die Induction factiſch zur Erweiterung des Wiſſens und zur Begründung wiſſenſchaftlicher Wahrheiten. Es wäre nun freilich thöricht, die directe Wirkung aller dieſer, hier nur kurz anzudeutenden Erſcheinungen in der Litteratur, beſonders der zoologiſchen, des vorliegenden Zeitraums nachweiſen zu wollen. Abge- ſehen davon, daß ſie erſt gegen Ende deſſelben auftreten, iſt es immer noch ein weiter Schritt von dem Aufſtellen eines neuen Geſichtspunktes bis zur planvollen Durchführung deſſelben. Recht augenſcheinlich tritt der Einfluß dieſer eigentlichſten naturwiſſenſchaftlichen Methode viel- leicht erſt in der allerneueſten Periode der Zoologie hervor. Ganz un- bemerkt konnte aber dieſe Bewegung auch in der damaligen Zeit an Naturhiſtorikern nicht vorübergehn, da ihr Durchbruch durch die Zeit ſelbſt bedingt war, jene alſo ſelbſt mitten in der Strömung ſtanden. Der wichtigſte Erfolg für die Zoologie beſtand in der Anerkennung der Nothwendigkeit, Beobachtungen zu machen und nur ſelbſt Geſehenes oder ſonſt ſicher Verbürgtes aufzunehmen. Hierdurch begannen die Darſtellungen klarer, weniger mit abergläubiſchem und fabelhaftem Bei- werk durchſetzt, alſo zuverläſſiger zu werden. Damit hieng aber wieder das Auftreten einer andern Betrachtungsweiſe zuſammen. Je reiner nämlich nun die Naturgegenſtände dem Beſchauer entgegentraten, deſto 2) Der eigentliche Begründer der Induction iſt allerdings Kepler. Für die morphologiſche Unterſuchung der organiſchen Natur iſt aber ſein Einfluß von ge- ringer Bedeutung geweſen. Für dieſe fehlt noch die Möglichkeit, die Induction mathematiſch zu begründen. Hierdurch erhält ſie daher viel ausgeprägter den Cha- rakter einer Heuriſtik im ſtrengſten Wortſinne, und dies hat oft Veranlaſſung gege- ben, ſie mit Speculation verwechſeln zu laſſen. Das Weſen des Proceſſes iſt aber daſſelbe wie in andern Wiſſenſchaften.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/275
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/275>, abgerufen am 04.06.2024.