dino selbst (1316) folgt zwar noch fast ganz Galen. Doch war von dieser Zeit an das unbedingte Zutrauen zu Autoritäten wankend gewor- den; man fieng wenigstens in einzelnen Zweigen selbst zu beobachten an. Daß die Zoologie hier nicht sofort dem Zuge dieser neuen Richtung folgte, lag wohl hauptsächlich mit daran, daß man mit dem Bekannt- werden der aristotelischen Zoologie Alles gefunden zu haben glaubte, was hier zu wissen nöthig oder möglich war. Einzelne Bestätigungen seiner Angaben befestigten auch hier seine auf andern Gebieten nicht angefochtene Autorität. Und wenn auch die Form, in welcher man Ari- stoteles kennen gelernt hatte, vielleicht selbst den unkritischen Blicken der damaligen Zeit nicht ganz genügte, so kannte man vorläufig nichts Besseres und faßte bei dem Beruhigung, was man besaß.
Der Auffschwung des Humanismus, das Wiederaufleben klassicher Studien kam hier auch für die Zoologie zur gelegenen Zeit. Bei dem unbedingten Vorherrschen scholastischer im Dienste hierarchischer An- schauungen stehender Deutungsweisen würde früher die Kenntniß des reinen aristotelischen Textes kaum viel genützt haben. Die schon in äl- teren Zeiten angestrebten Reformversuche hatten aber jetzt, wo nicht bloß der Sitz des Pabstthums vorübergehend von Rom entfernt wor- den war, sondern das päbstliche Schisma ein trauriges Bild von geist- licher Herrschaft gegeben hatte, mächtige Stützen gefunden in dem man- cherlei Schriften und Vereinen, welche sämmtlich auf eine Läuterung der Religionsquellen sowohl, als des Verhältnisses zwischen Glauben und Wissen hinarbeiteten. Der sinkenden Autorität der Bettelmönche trat die Erhebung der deutschen Mystik, der Brüder des gemeinsamen Lebens u. a. entgegen. Sie hatten freilich mehr mit dem Seelenzustande der Einzelnen zu thun; doch halfen sie der allgemeinen Befreiung vom hierarchisch- kirchlichen und scholastischen Drucke dadurch, daß sie der in- dividuellen Forschung ein Recht einräumten. Wirksamer noch erschei- nen die Schriften, unter welchen beispielsweise auf die der vier berühm- ten Theologen Frankreichs aus jener Zeit hingewiesen sei, des Peter d'Ailly, Johann Gerson, Nicolas de Clemanges und Raimund von Sabunde. Die drei ersten gehören zwar formell mehr der Kirchenge- schichte jener Zeit an, dürfen aber hinsichtlich der Wirkung ihrer refor-
Ausgang des Mittelalters.
dino ſelbſt (1316) folgt zwar noch faſt ganz Galen. Doch war von dieſer Zeit an das unbedingte Zutrauen zu Autoritäten wankend gewor- den; man fieng wenigſtens in einzelnen Zweigen ſelbſt zu beobachten an. Daß die Zoologie hier nicht ſofort dem Zuge dieſer neuen Richtung folgte, lag wohl hauptſächlich mit daran, daß man mit dem Bekannt- werden der ariſtoteliſchen Zoologie Alles gefunden zu haben glaubte, was hier zu wiſſen nöthig oder möglich war. Einzelne Beſtätigungen ſeiner Angaben befeſtigten auch hier ſeine auf andern Gebieten nicht angefochtene Autorität. Und wenn auch die Form, in welcher man Ari- ſtoteles kennen gelernt hatte, vielleicht ſelbſt den unkritiſchen Blicken der damaligen Zeit nicht ganz genügte, ſo kannte man vorläufig nichts Beſſeres und faßte bei dem Beruhigung, was man beſaß.
Der Auffſchwung des Humanismus, das Wiederaufleben klaſſicher Studien kam hier auch für die Zoologie zur gelegenen Zeit. Bei dem unbedingten Vorherrſchen ſcholaſtiſcher im Dienſte hierarchiſcher An- ſchauungen ſtehender Deutungsweiſen würde früher die Kenntniß des reinen ariſtoteliſchen Textes kaum viel genützt haben. Die ſchon in äl- teren Zeiten angeſtrebten Reformverſuche hatten aber jetzt, wo nicht bloß der Sitz des Pabſtthums vorübergehend von Rom entfernt wor- den war, ſondern das päbſtliche Schisma ein trauriges Bild von geiſt- licher Herrſchaft gegeben hatte, mächtige Stützen gefunden in dem man- cherlei Schriften und Vereinen, welche ſämmtlich auf eine Läuterung der Religionsquellen ſowohl, als des Verhältniſſes zwiſchen Glauben und Wiſſen hinarbeiteten. Der ſinkenden Autorität der Bettelmönche trat die Erhebung der deutſchen Myſtik, der Brüder des gemeinſamen Lebens u. a. entgegen. Sie hatten freilich mehr mit dem Seelenzuſtande der Einzelnen zu thun; doch halfen ſie der allgemeinen Befreiung vom hierarchiſch- kirchlichen und ſcholaſtiſchen Drucke dadurch, daß ſie der in- dividuellen Forſchung ein Recht einräumten. Wirkſamer noch erſchei- nen die Schriften, unter welchen beiſpielsweiſe auf die der vier berühm- ten Theologen Frankreichs aus jener Zeit hingewieſen ſei, des Peter d'Ailly, Johann Gerſon, Nicolas de Clémanges und Raimund von Sabunde. Die drei erſten gehören zwar formell mehr der Kirchenge- ſchichte jener Zeit an, dürfen aber hinſichtlich der Wirkung ihrer refor-
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Ausgang des Mittelalters.
dino ſelbſt (1316) folgt zwar noch faſt ganz Galen. Doch war von
dieſer Zeit an das unbedingte Zutrauen zu Autoritäten wankend gewor-
den; man fieng wenigſtens in einzelnen Zweigen ſelbſt zu beobachten
an. Daß die Zoologie hier nicht ſofort dem Zuge dieſer neuen Richtung
folgte, lag wohl hauptſächlich mit daran, daß man mit dem Bekannt-
werden der ariſtoteliſchen Zoologie Alles gefunden zu haben glaubte,
was hier zu wiſſen nöthig oder möglich war. Einzelne Beſtätigungen
ſeiner Angaben befeſtigten auch hier ſeine auf andern Gebieten nicht
angefochtene Autorität. Und wenn auch die Form, in welcher man Ari-
ſtoteles kennen gelernt hatte, vielleicht ſelbſt den unkritiſchen Blicken der
damaligen Zeit nicht ganz genügte, ſo kannte man vorläufig nichts
Beſſeres und faßte bei dem Beruhigung, was man beſaß.
Der Auffſchwung des Humanismus, das Wiederaufleben klaſſicher
Studien kam hier auch für die Zoologie zur gelegenen Zeit. Bei dem
unbedingten Vorherrſchen ſcholaſtiſcher im Dienſte hierarchiſcher An-
ſchauungen ſtehender Deutungsweiſen würde früher die Kenntniß des
reinen ariſtoteliſchen Textes kaum viel genützt haben. Die ſchon in äl-
teren Zeiten angeſtrebten Reformverſuche hatten aber jetzt, wo nicht
bloß der Sitz des Pabſtthums vorübergehend von Rom entfernt wor-
den war, ſondern das päbſtliche Schisma ein trauriges Bild von geiſt-
licher Herrſchaft gegeben hatte, mächtige Stützen gefunden in dem man-
cherlei Schriften und Vereinen, welche ſämmtlich auf eine Läuterung
der Religionsquellen ſowohl, als des Verhältniſſes zwiſchen Glauben
und Wiſſen hinarbeiteten. Der ſinkenden Autorität der Bettelmönche
trat die Erhebung der deutſchen Myſtik, der Brüder des gemeinſamen
Lebens u. a. entgegen. Sie hatten freilich mehr mit dem Seelenzuſtande
der Einzelnen zu thun; doch halfen ſie der allgemeinen Befreiung vom
hierarchiſch- kirchlichen und ſcholaſtiſchen Drucke dadurch, daß ſie der in-
dividuellen Forſchung ein Recht einräumten. Wirkſamer noch erſchei-
nen die Schriften, unter welchen beiſpielsweiſe auf die der vier berühm-
ten Theologen Frankreichs aus jener Zeit hingewieſen ſei, des Peter
d'Ailly, Johann Gerſon, Nicolas de Clémanges und Raimund von
Sabunde. Die drei erſten gehören zwar formell mehr der Kirchenge-
ſchichte jener Zeit an, dürfen aber hinſichtlich der Wirkung ihrer refor-
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/266>, abgerufen am 22.11.2024.
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