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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Das dreizehnte Jahrhundert.

Wie erwähnt bespricht das 21. Buch die Vollkommenheitsgrade
der Thiere. Die darin gegebene Eintheilung ist aber durchaus nicht
als eine festbegründete Classification anzusehen und zeigt vielmehr, daß
Albert in der Erfassung der thierischen Formen seinem Meister Aristo-
teles
nicht entfernt gleich kam. Unter den, an erster Stelle von dem
Seelenleben hergenommenen Gründen für die Vollkommenheit des
Menschen224) führt er auch die Form des menschlichen Körpers an.
Hier zeigt er sich aber in gleicher Weise von vorgefaßten Meinungen
eingenommen; unter willkürlicher Annahme eines verschiedenen Wer-
thes der einzelnen Dimensionen schließt er aus dem Verhalten der ver-
schiedenen Körperdurchmesser, daß der Mensch die vollkommenste Gestalt
habe225). Während man dann wohl hätte erwarten können, die einzel-
nen Thiergruppen nach ihren Vollkommenheitsgraden irgendwie charak-
terisirt zu sehen, schildert er die Klugheit, die natürliche sinnliche Bega-
bung der Thiere nach den populär hergebrachten Abtheilungen der Vier-
füßer, Vögel, Wasserthiere, Schlangen und Glieder- oder Ringelthiere.
Die letzteren sind genau des Aristoteles Entoma, freilich mit einzelnen
fremdartigen Zuthaten. Sie werden bei den Einzelschilderungen als
kleine blutlose Thiere bezeichnet und es werden Insecten, Spinnen,
Frösche, Kröten, Seesterne u. s. f. zu ihnen gerechnet. Unter den
Wasserthieren laufen Fische, Krebse, Weichthiere bunt durcheinander.
An unterster Stelle erwähnt er noch eine kleine Gruppe "unvollkomm-
ner" Thiere; es sind dies seiner Angabe nach eine Anzahl "Würmer",
wie der Regenwurm und der Schwamm. Diese Gruppe läßt er aber
bei der Aufzählung specieller Thiere ganz weg, vermuthlich wegen zu
geringer Bekanntschaft mit ihr. Kann man nun hiernach kaum sagen,

224) Nicht uninteressant ist es, daß Albert zuerst auf die Erziehbarkeit, disci-
plinabilitas,
hinweist (p. 566), deren Aristoteles nur vorübergehend gedenkt (im
9. Buch der Thiergeschichte). Allerdings legt er der Frage noch nicht die Bedeutung
bei, welche sie durch ihre naturgemäße Einschränkung in neuerer Zeit erhalten hat.
225) Longitudo in corpore animali semper vincere debet latitudinem,
si non sit vitium naturae ... cum igitur sensus organa ponantur secundum
longitudinem descendendo et motus organa secundum latitudinem, perfe-
ctionem distinctionis majorem habent organa corporis in homine, quam in
aliquo animalium aliorum. T. VI. p. 564.
Das dreizehnte Jahrhundert.

Wie erwähnt beſpricht das 21. Buch die Vollkommenheitsgrade
der Thiere. Die darin gegebene Eintheilung iſt aber durchaus nicht
als eine feſtbegründete Claſſification anzuſehen und zeigt vielmehr, daß
Albert in der Erfaſſung der thieriſchen Formen ſeinem Meiſter Ariſto-
teles
nicht entfernt gleich kam. Unter den, an erſter Stelle von dem
Seelenleben hergenommenen Gründen für die Vollkommenheit des
Menſchen224) führt er auch die Form des menſchlichen Körpers an.
Hier zeigt er ſich aber in gleicher Weiſe von vorgefaßten Meinungen
eingenommen; unter willkürlicher Annahme eines verſchiedenen Wer-
thes der einzelnen Dimenſionen ſchließt er aus dem Verhalten der ver-
ſchiedenen Körperdurchmeſſer, daß der Menſch die vollkommenſte Geſtalt
habe225). Während man dann wohl hätte erwarten können, die einzel-
nen Thiergruppen nach ihren Vollkommenheitsgraden irgendwie charak-
teriſirt zu ſehen, ſchildert er die Klugheit, die natürliche ſinnliche Bega-
bung der Thiere nach den populär hergebrachten Abtheilungen der Vier-
füßer, Vögel, Waſſerthiere, Schlangen und Glieder- oder Ringelthiere.
Die letzteren ſind genau des Ariſtoteles Entoma, freilich mit einzelnen
fremdartigen Zuthaten. Sie werden bei den Einzelſchilderungen als
kleine blutloſe Thiere bezeichnet und es werden Inſecten, Spinnen,
Fröſche, Kröten, Seeſterne u. ſ. f. zu ihnen gerechnet. Unter den
Waſſerthieren laufen Fiſche, Krebſe, Weichthiere bunt durcheinander.
An unterſter Stelle erwähnt er noch eine kleine Gruppe „unvollkomm-
ner“ Thiere; es ſind dies ſeiner Angabe nach eine Anzahl „Würmer“,
wie der Regenwurm und der Schwamm. Dieſe Gruppe läßt er aber
bei der Aufzählung ſpecieller Thiere ganz weg, vermuthlich wegen zu
geringer Bekanntſchaft mit ihr. Kann man nun hiernach kaum ſagen,

224) Nicht unintereſſant iſt es, daß Albert zuerſt auf die Erziehbarkeit, disci-
plinabilitas,
hinweiſt (p. 566), deren Ariſtoteles nur vorübergehend gedenkt (im
9. Buch der Thiergeſchichte). Allerdings legt er der Frage noch nicht die Bedeutung
bei, welche ſie durch ihre naturgemäße Einſchränkung in neuerer Zeit erhalten hat.
225) Longitudo in corpore animali semper vincere debet latitudinem,
si non sit vitium naturae ... cum igitur sensus organa ponantur secundum
longitudinem descendendo et motus organa secundum latitudinem, perfe-
ctionem distinctionis majorem habent organa corporis in homine, quam in
aliquo animalium aliorum. T. VI. p. 564.
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[233/0244] Das dreizehnte Jahrhundert. Wie erwähnt beſpricht das 21. Buch die Vollkommenheitsgrade der Thiere. Die darin gegebene Eintheilung iſt aber durchaus nicht als eine feſtbegründete Claſſification anzuſehen und zeigt vielmehr, daß Albert in der Erfaſſung der thieriſchen Formen ſeinem Meiſter Ariſto- teles nicht entfernt gleich kam. Unter den, an erſter Stelle von dem Seelenleben hergenommenen Gründen für die Vollkommenheit des Menſchen 224) führt er auch die Form des menſchlichen Körpers an. Hier zeigt er ſich aber in gleicher Weiſe von vorgefaßten Meinungen eingenommen; unter willkürlicher Annahme eines verſchiedenen Wer- thes der einzelnen Dimenſionen ſchließt er aus dem Verhalten der ver- ſchiedenen Körperdurchmeſſer, daß der Menſch die vollkommenſte Geſtalt habe 225). Während man dann wohl hätte erwarten können, die einzel- nen Thiergruppen nach ihren Vollkommenheitsgraden irgendwie charak- teriſirt zu ſehen, ſchildert er die Klugheit, die natürliche ſinnliche Bega- bung der Thiere nach den populär hergebrachten Abtheilungen der Vier- füßer, Vögel, Waſſerthiere, Schlangen und Glieder- oder Ringelthiere. Die letzteren ſind genau des Ariſtoteles Entoma, freilich mit einzelnen fremdartigen Zuthaten. Sie werden bei den Einzelſchilderungen als kleine blutloſe Thiere bezeichnet und es werden Inſecten, Spinnen, Fröſche, Kröten, Seeſterne u. ſ. f. zu ihnen gerechnet. Unter den Waſſerthieren laufen Fiſche, Krebſe, Weichthiere bunt durcheinander. An unterſter Stelle erwähnt er noch eine kleine Gruppe „unvollkomm- ner“ Thiere; es ſind dies ſeiner Angabe nach eine Anzahl „Würmer“, wie der Regenwurm und der Schwamm. Dieſe Gruppe läßt er aber bei der Aufzählung ſpecieller Thiere ganz weg, vermuthlich wegen zu geringer Bekanntſchaft mit ihr. Kann man nun hiernach kaum ſagen, 224) Nicht unintereſſant iſt es, daß Albert zuerſt auf die Erziehbarkeit, disci- plinabilitas, hinweiſt (p. 566), deren Ariſtoteles nur vorübergehend gedenkt (im 9. Buch der Thiergeſchichte). Allerdings legt er der Frage noch nicht die Bedeutung bei, welche ſie durch ihre naturgemäße Einſchränkung in neuerer Zeit erhalten hat. 225) Longitudo in corpore animali semper vincere debet latitudinem, si non sit vitium naturae ... cum igitur sensus organa ponantur secundum longitudinem descendendo et motus organa secundum latitudinem, perfe- ctionem distinctionis majorem habent organa corporis in homine, quam in aliquo animalium aliorum. T. VI. p. 564.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/244>, abgerufen am 23.11.2024.