Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite
Das dreizehnte Jahrhundert.

In Vorstehendem wurde zu zeigen versucht, welcher Art das Ma-
terial war, welches einer wissenschaftlichen Bearbeitung etwa zu unter-
werfen gewesen wäre. Es frägt sich aber nun zunächst, ob und in
welcher Weise die Culturverhältnisse jener Zeit überhaupt eine solche
Verwerthung möglich erscheinen ließen. Es wurde früher auf die Ent-
wickelung der Philosophie und die Stellung der Natur in ihrem Sy-
steme hingewiesen. Aus den Fortschritten derselben allein würde sich
kaum die Wiederaufnahme zoologischer Beobachtungen erklären lassen.
Es ist daher nöthig, die andern einer solchen günstigen und wichtigen
Momente kurz zu besprechen, ehe die Hauptwerke des dreizehnten Jahr-
hunderts eingehender erörtert werden können.

Wiederauftritt des Aristoteles.

Vor Allem war es für die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Er-
fassung der Natur, besonders des belebten, mit geistigen Kräften und
freiem Willen begabten Thierreichs verderblich, daß die Gelehrsamkeit
früher ausschließlich in den Händen der Geistlichkeit geblieben war, da-
neben aber eigentliche Forschung noch immer fehlte. Was die Philoso-
phie an weiterem Ausbau und Zuwachs erhielt, betraf fast einzig und
allein die metaphysische Begründung des Glaubensgehaltes, welcher
aber nicht etwa selbständig philosophisch aufgerichtet, sondern fertig und
abgeschlossen dem Klerus überliefert wurde. Dabei war natürlich an
eine unbefangene Stellung des menschlichen Geistes der Natur gegen-
über, als einem zu erklärenden Gegenstande nicht zu denken. Es hatte
sich ferner die Geistlichkeit nicht bloß, wie früher angedeutet wurde, von
der Laienwelt stillschweigend abgelöst, so daß sie mit den von ihr ver-
tretenen Ideen dem übrigen Volke selbst dann noch fremd gegenüber-
stand, als das persönliche Verhältniß der beiden Elemente durch die
Ausbreitung der Bettelorden ein näheres geworden war, sondern es
mußte der Kampf zwischen der Hierarchie und weltlichen Macht, welcher
im dreizehnten Jahrhundert (wie zum Theil schon im zwölften) zur
Emancipation und Oberherrschaft des Pabstthums führte, den Abstand
noch fühlbarer machen.


Das dreizehnte Jahrhundert.

In Vorſtehendem wurde zu zeigen verſucht, welcher Art das Ma-
terial war, welches einer wiſſenſchaftlichen Bearbeitung etwa zu unter-
werfen geweſen wäre. Es frägt ſich aber nun zunächſt, ob und in
welcher Weiſe die Culturverhältniſſe jener Zeit überhaupt eine ſolche
Verwerthung möglich erſcheinen ließen. Es wurde früher auf die Ent-
wickelung der Philoſophie und die Stellung der Natur in ihrem Sy-
ſteme hingewieſen. Aus den Fortſchritten derſelben allein würde ſich
kaum die Wiederaufnahme zoologiſcher Beobachtungen erklären laſſen.
Es iſt daher nöthig, die andern einer ſolchen günſtigen und wichtigen
Momente kurz zu beſprechen, ehe die Hauptwerke des dreizehnten Jahr-
hunderts eingehender erörtert werden können.

Wiederauftritt des Ariſtoteles.

Vor Allem war es für die Möglichkeit einer wiſſenſchaftlichen Er-
faſſung der Natur, beſonders des belebten, mit geiſtigen Kräften und
freiem Willen begabten Thierreichs verderblich, daß die Gelehrſamkeit
früher ausſchließlich in den Händen der Geiſtlichkeit geblieben war, da-
neben aber eigentliche Forſchung noch immer fehlte. Was die Philoſo-
phie an weiterem Ausbau und Zuwachs erhielt, betraf faſt einzig und
allein die metaphyſiſche Begründung des Glaubensgehaltes, welcher
aber nicht etwa ſelbſtändig philoſophiſch aufgerichtet, ſondern fertig und
abgeſchloſſen dem Klerus überliefert wurde. Dabei war natürlich an
eine unbefangene Stellung des menſchlichen Geiſtes der Natur gegen-
über, als einem zu erklärenden Gegenſtande nicht zu denken. Es hatte
ſich ferner die Geiſtlichkeit nicht bloß, wie früher angedeutet wurde, von
der Laienwelt ſtillſchweigend abgelöſt, ſo daß ſie mit den von ihr ver-
tretenen Ideen dem übrigen Volke ſelbſt dann noch fremd gegenüber-
ſtand, als das perſönliche Verhältniß der beiden Elemente durch die
Ausbreitung der Bettelorden ein näheres geworden war, ſondern es
mußte der Kampf zwiſchen der Hierarchie und weltlichen Macht, welcher
im dreizehnten Jahrhundert (wie zum Theil ſchon im zwölften) zur
Emancipation und Oberherrſchaft des Pabſtthums führte, den Abſtand
noch fühlbarer machen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0212" n="201"/>
            <fw place="top" type="header">Das dreizehnte Jahrhundert.</fw><lb/>
            <p>In Vor&#x017F;tehendem wurde zu zeigen ver&#x017F;ucht, welcher Art das Ma-<lb/>
terial war, welches einer wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Bearbeitung etwa zu unter-<lb/>
werfen gewe&#x017F;en wäre. Es frägt &#x017F;ich aber nun zunäch&#x017F;t, ob und in<lb/>
welcher Wei&#x017F;e die Culturverhältni&#x017F;&#x017F;e jener Zeit überhaupt eine &#x017F;olche<lb/>
Verwerthung möglich er&#x017F;cheinen ließen. Es wurde früher auf die Ent-<lb/>
wickelung der Philo&#x017F;ophie und die Stellung der Natur in ihrem Sy-<lb/>
&#x017F;teme hingewie&#x017F;en. Aus den Fort&#x017F;chritten der&#x017F;elben allein würde &#x017F;ich<lb/>
kaum die Wiederaufnahme zoologi&#x017F;cher Beobachtungen erklären la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Es i&#x017F;t daher nöthig, die andern einer &#x017F;olchen gün&#x017F;tigen und wichtigen<lb/>
Momente kurz zu be&#x017F;prechen, ehe die Hauptwerke des dreizehnten Jahr-<lb/>
hunderts eingehender erörtert werden können.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Wiederauftritt des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName>.</hi> </head><lb/>
          <p>Vor Allem war es für die Möglichkeit einer wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Er-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung der Natur, be&#x017F;onders des belebten, mit gei&#x017F;tigen Kräften und<lb/>
freiem Willen begabten Thierreichs verderblich, daß die Gelehr&#x017F;amkeit<lb/>
früher aus&#x017F;chließlich in den Händen der Gei&#x017F;tlichkeit geblieben war, da-<lb/>
neben aber eigentliche For&#x017F;chung noch immer fehlte. Was die Philo&#x017F;o-<lb/>
phie an weiterem Ausbau und Zuwachs erhielt, betraf fa&#x017F;t einzig und<lb/>
allein die metaphy&#x017F;i&#x017F;che Begründung des Glaubensgehaltes, welcher<lb/>
aber nicht etwa &#x017F;elb&#x017F;tändig philo&#x017F;ophi&#x017F;ch aufgerichtet, &#x017F;ondern fertig und<lb/>
abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en dem Klerus überliefert wurde. Dabei war natürlich an<lb/>
eine unbefangene Stellung des men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tes der Natur gegen-<lb/>
über, als einem zu erklärenden Gegen&#x017F;tande nicht zu denken. Es hatte<lb/>
&#x017F;ich ferner die Gei&#x017F;tlichkeit nicht bloß, wie früher angedeutet wurde, von<lb/>
der Laienwelt &#x017F;till&#x017F;chweigend abgelö&#x017F;t, &#x017F;o daß &#x017F;ie mit den von ihr ver-<lb/>
tretenen Ideen dem übrigen Volke &#x017F;elb&#x017F;t dann noch fremd gegenüber-<lb/>
&#x017F;tand, als das per&#x017F;önliche Verhältniß der beiden Elemente durch die<lb/>
Ausbreitung der Bettelorden ein näheres geworden war, &#x017F;ondern es<lb/>
mußte der Kampf zwi&#x017F;chen der Hierarchie und weltlichen Macht, welcher<lb/>
im dreizehnten Jahrhundert (wie zum Theil &#x017F;chon im zwölften) zur<lb/>
Emancipation und Oberherr&#x017F;chaft des Pab&#x017F;tthums führte, den Ab&#x017F;tand<lb/>
noch fühlbarer machen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0212] Das dreizehnte Jahrhundert. In Vorſtehendem wurde zu zeigen verſucht, welcher Art das Ma- terial war, welches einer wiſſenſchaftlichen Bearbeitung etwa zu unter- werfen geweſen wäre. Es frägt ſich aber nun zunächſt, ob und in welcher Weiſe die Culturverhältniſſe jener Zeit überhaupt eine ſolche Verwerthung möglich erſcheinen ließen. Es wurde früher auf die Ent- wickelung der Philoſophie und die Stellung der Natur in ihrem Sy- ſteme hingewieſen. Aus den Fortſchritten derſelben allein würde ſich kaum die Wiederaufnahme zoologiſcher Beobachtungen erklären laſſen. Es iſt daher nöthig, die andern einer ſolchen günſtigen und wichtigen Momente kurz zu beſprechen, ehe die Hauptwerke des dreizehnten Jahr- hunderts eingehender erörtert werden können. Wiederauftritt des Ariſtoteles. Vor Allem war es für die Möglichkeit einer wiſſenſchaftlichen Er- faſſung der Natur, beſonders des belebten, mit geiſtigen Kräften und freiem Willen begabten Thierreichs verderblich, daß die Gelehrſamkeit früher ausſchließlich in den Händen der Geiſtlichkeit geblieben war, da- neben aber eigentliche Forſchung noch immer fehlte. Was die Philoſo- phie an weiterem Ausbau und Zuwachs erhielt, betraf faſt einzig und allein die metaphyſiſche Begründung des Glaubensgehaltes, welcher aber nicht etwa ſelbſtändig philoſophiſch aufgerichtet, ſondern fertig und abgeſchloſſen dem Klerus überliefert wurde. Dabei war natürlich an eine unbefangene Stellung des menſchlichen Geiſtes der Natur gegen- über, als einem zu erklärenden Gegenſtande nicht zu denken. Es hatte ſich ferner die Geiſtlichkeit nicht bloß, wie früher angedeutet wurde, von der Laienwelt ſtillſchweigend abgelöſt, ſo daß ſie mit den von ihr ver- tretenen Ideen dem übrigen Volke ſelbſt dann noch fremd gegenüber- ſtand, als das perſönliche Verhältniß der beiden Elemente durch die Ausbreitung der Bettelorden ein näheres geworden war, ſondern es mußte der Kampf zwiſchen der Hierarchie und weltlichen Macht, welcher im dreizehnten Jahrhundert (wie zum Theil ſchon im zwölften) zur Emancipation und Oberherrſchaft des Pabſtthums führte, den Abſtand noch fühlbarer machen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/212
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/212>, abgerufen am 24.11.2024.