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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Einleitung.
die Ansichten über die Verbreitung der Thiere waren die wohl schon
lange vor Hippokrates beobachteten Einwirkungen der "Luft, des
Wassers und der Ortslage" auf die belebten Wesen. Man fand, daß
nicht Alles überall gedeihen konnte; Pflanzen wie Thiere hatten ihre
bestimmten Verbreitungsgrenzen. Zu Urkund dessen wurden Naturschil-
derungen ferner Länder durch Erwähnung der eigenthümlichen fremdar-
tigen Thiere belebt. Doch gelangte man erst spät zum Nachweise
eines gesetzlichen Verhaltens der Vertheilung der Thiere auf bestimmte
Bezirke. Natürlich mußte die Entwicklung richtiger Ansichten über
diesen Gegenstand hindern, daß man noch nicht die natürlichen Beziehun-
gen der verschiedenen Thierformen zu einander und zur umgebenden
Pflanzenwelt würdigte, und daß beim Mangel einer genügenden Kennt-
niß der Erdform und -oberfläche auch die hieraus fließenden Bedingun-
gen für das Leben einzelner Thiergruppen unbekannt bleiben mußten.

Daß Ueberreste von Thieren in Steinen eingeschlossen oder zu
Stein geworden vorkommen, konnte selbstverständlich erst gefunden
werden, als großartige Bauten Steinbrüche in Betrieb setzen ließen
oder der Bergbau die Eingeweide der Erde zu durchwühlen begann.
Zuweilen mag es wohl schon bei Brunnengrabungen sich ergeben ha-
ben, daß die Erdrinde Knochen und Muscheln birgt. Von zufälligen, in
noch älteren Zeiten gemachten Funden solcher Zeugen vergangener Ge-
schlechter in losem Geröll oder beim Pflügen hat sich keine sichere
Kunde erhalten. Als Gesteinsmassen reichlicher erschlossen, Geschiebe
emsiger durchsucht wurden, dienten die hier entdeckten Versteinerungen
entweder zur Stütze besonderer Ansichten über die Bildung der Erd-
rinde, oder sie wurden, von der Einbildungskraft mit allem Reize des
Wunderbaren geschmückt, zu abenteuerlichen Erzählungen über vorge-
schichtliches Leben benutzt, oder als Naturspiele bewundert. Daß die
versteinerten Thiere mit den jetzt lebenden in ein großes System gehö-
ren, daß sie mit den letzteren verwandt sind, lernte man erst spät ein-
sehen. Und der neuesten Zeit hängt noch als Mahnung an alte Ver-
gangenheit die ungerechtfertigte Arbeitstheilung an, welche die Unter-
suchung fossiler Pflanzen und Thiere der Geologie zuweist. Kann auch
diese in einzelnen Fällen kaum bessere Merkzeichen für einzelne Schichten

Einleitung.
die Anſichten über die Verbreitung der Thiere waren die wohl ſchon
lange vor Hippokrates beobachteten Einwirkungen der „Luft, des
Waſſers und der Ortslage“ auf die belebten Weſen. Man fand, daß
nicht Alles überall gedeihen konnte; Pflanzen wie Thiere hatten ihre
beſtimmten Verbreitungsgrenzen. Zu Urkund deſſen wurden Naturſchil-
derungen ferner Länder durch Erwähnung der eigenthümlichen fremdar-
tigen Thiere belebt. Doch gelangte man erſt ſpät zum Nachweiſe
eines geſetzlichen Verhaltens der Vertheilung der Thiere auf beſtimmte
Bezirke. Natürlich mußte die Entwicklung richtiger Anſichten über
dieſen Gegenſtand hindern, daß man noch nicht die natürlichen Beziehun-
gen der verſchiedenen Thierformen zu einander und zur umgebenden
Pflanzenwelt würdigte, und daß beim Mangel einer genügenden Kennt-
niß der Erdform und -oberfläche auch die hieraus fließenden Bedingun-
gen für das Leben einzelner Thiergruppen unbekannt bleiben mußten.

Daß Ueberreſte von Thieren in Steinen eingeſchloſſen oder zu
Stein geworden vorkommen, konnte ſelbſtverſtändlich erſt gefunden
werden, als großartige Bauten Steinbrüche in Betrieb ſetzen ließen
oder der Bergbau die Eingeweide der Erde zu durchwühlen begann.
Zuweilen mag es wohl ſchon bei Brunnengrabungen ſich ergeben ha-
ben, daß die Erdrinde Knochen und Muſcheln birgt. Von zufälligen, in
noch älteren Zeiten gemachten Funden ſolcher Zeugen vergangener Ge-
ſchlechter in loſem Geröll oder beim Pflügen hat ſich keine ſichere
Kunde erhalten. Als Geſteinsmaſſen reichlicher erſchloſſen, Geſchiebe
emſiger durchſucht wurden, dienten die hier entdeckten Verſteinerungen
entweder zur Stütze beſonderer Anſichten über die Bildung der Erd-
rinde, oder ſie wurden, von der Einbildungskraft mit allem Reize des
Wunderbaren geſchmückt, zu abenteuerlichen Erzählungen über vorge-
ſchichtliches Leben benutzt, oder als Naturſpiele bewundert. Daß die
verſteinerten Thiere mit den jetzt lebenden in ein großes Syſtem gehö-
ren, daß ſie mit den letzteren verwandt ſind, lernte man erſt ſpät ein-
ſehen. Und der neueſten Zeit hängt noch als Mahnung an alte Ver-
gangenheit die ungerechtfertigte Arbeitstheilung an, welche die Unter-
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[6/0017] Einleitung. die Anſichten über die Verbreitung der Thiere waren die wohl ſchon lange vor Hippokrates beobachteten Einwirkungen der „Luft, des Waſſers und der Ortslage“ auf die belebten Weſen. Man fand, daß nicht Alles überall gedeihen konnte; Pflanzen wie Thiere hatten ihre beſtimmten Verbreitungsgrenzen. Zu Urkund deſſen wurden Naturſchil- derungen ferner Länder durch Erwähnung der eigenthümlichen fremdar- tigen Thiere belebt. Doch gelangte man erſt ſpät zum Nachweiſe eines geſetzlichen Verhaltens der Vertheilung der Thiere auf beſtimmte Bezirke. Natürlich mußte die Entwicklung richtiger Anſichten über dieſen Gegenſtand hindern, daß man noch nicht die natürlichen Beziehun- gen der verſchiedenen Thierformen zu einander und zur umgebenden Pflanzenwelt würdigte, und daß beim Mangel einer genügenden Kennt- niß der Erdform und -oberfläche auch die hieraus fließenden Bedingun- gen für das Leben einzelner Thiergruppen unbekannt bleiben mußten. Daß Ueberreſte von Thieren in Steinen eingeſchloſſen oder zu Stein geworden vorkommen, konnte ſelbſtverſtändlich erſt gefunden werden, als großartige Bauten Steinbrüche in Betrieb ſetzen ließen oder der Bergbau die Eingeweide der Erde zu durchwühlen begann. Zuweilen mag es wohl ſchon bei Brunnengrabungen ſich ergeben ha- ben, daß die Erdrinde Knochen und Muſcheln birgt. Von zufälligen, in noch älteren Zeiten gemachten Funden ſolcher Zeugen vergangener Ge- ſchlechter in loſem Geröll oder beim Pflügen hat ſich keine ſichere Kunde erhalten. Als Geſteinsmaſſen reichlicher erſchloſſen, Geſchiebe emſiger durchſucht wurden, dienten die hier entdeckten Verſteinerungen entweder zur Stütze beſonderer Anſichten über die Bildung der Erd- rinde, oder ſie wurden, von der Einbildungskraft mit allem Reize des Wunderbaren geſchmückt, zu abenteuerlichen Erzählungen über vorge- ſchichtliches Leben benutzt, oder als Naturſpiele bewundert. Daß die verſteinerten Thiere mit den jetzt lebenden in ein großes Syſtem gehö- ren, daß ſie mit den letzteren verwandt ſind, lernte man erſt ſpät ein- ſehen. Und der neueſten Zeit hängt noch als Mahnung an alte Ver- gangenheit die ungerechtfertigte Arbeitstheilung an, welche die Unter- ſuchung foſſiler Pflanzen und Thiere der Geologie zuweiſt. Kann auch dieſe in einzelnen Fällen kaum beſſere Merkzeichen für einzelne Schichten

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/17>, abgerufen am 21.11.2024.