Heilmittelschatz zu erweitern zu einer genaueren Kenntniß von Thieren und Pflanzen an. Aber ebenso wie die Chemie und Astronomie kaum vom alchymistischen und astrologischen Aberglauben zu lösen war, so ist auch das, was bei den Thierschilderungen von eigenen Zusätzen er- scheint, meist so vielfach mit abergläubischem Unsinn durchsetzt, daß da- mit nichts weniger als eine Bereicherung des Wissens gegeben wird. Derselbe Aberglauben findet sich dann noch bei den abendländischen Nachfolgern der Araber wieder, unter denen selbst Geistliche in dersel- ben Weise die medicinische Verwendung ganzer Thiere oder einzelner Theile, häufig in Bezug auf Störungen im Geschlechtsleben anführen, so beispielsweise Albert der Große.
Ist nun auch der positive Gewinn an etwaigen neuen Thatsachen, welchen die Zoologie aus dem Studium der arabischen naturgeschicht- lichen Litteratur ziehen kann, nicht gerade hoch anzuschlagen, so ist doch zu bedauern, daß von den Schriften der Orientalen überhaupt bis jetzt so äußerst wenig zugänglich geworden ist. Aus den an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten übersetzten Bruchstücken derselben ist zwar eine allgemeine Vorstellung von der Auffassung des Thierreichs bei Muhammedanern wohl zu gewinnen. Für die specielle Geschichte der Kenntniß einzelner Formen, für den Ursprung und die Verbreitung vieler Sagen, selbst für die Erklärung mancher der Producte der spät- griechischen Litteratur wäre aber ein weiteres Aufschließen der betref- fenden Schriften dringend zu wünschen. Die Continuität in der Ent- wickelung einzelner Vorstellungen ist noch immer durch eine Lücke von mehreren Jahrhunderten unterbrochen. Die Geschichte der Zoologie wie die Geschichte der Cultur überhaupt, namentlich aber die Littera- turgeschichte des Mittelalters, welche noch immer an pseudepigraphi- schen Ungeheuerlichkeiten reich ist und durch das leidige Nachschreiben Neuerer nicht geklärt wird, würde eine wesentliche Bereicherung erfah- ren, wenn die jetzt nur dem Titel nach angeführten Werke erschlossen würden. Man kann bei der gegenwärtigen Lage der Dinge weder ein zusammenhängendes Bild erhalten, in wie weit die Kenntniß thierischer Formen durch die in wunderbarer Weise weit über bis dahin unbekannte Theile der Erde herumgekommenen Araber bereichert wurde, noch in
Die Zoologie der Araber.
Heilmittelſchatz zu erweitern zu einer genaueren Kenntniß von Thieren und Pflanzen an. Aber ebenſo wie die Chemie und Aſtronomie kaum vom alchymiſtiſchen und aſtrologiſchen Aberglauben zu löſen war, ſo iſt auch das, was bei den Thierſchilderungen von eigenen Zuſätzen er- ſcheint, meiſt ſo vielfach mit abergläubiſchem Unſinn durchſetzt, daß da- mit nichts weniger als eine Bereicherung des Wiſſens gegeben wird. Derſelbe Aberglauben findet ſich dann noch bei den abendländiſchen Nachfolgern der Araber wieder, unter denen ſelbſt Geiſtliche in derſel- ben Weiſe die mediciniſche Verwendung ganzer Thiere oder einzelner Theile, häufig in Bezug auf Störungen im Geſchlechtsleben anführen, ſo beiſpielsweiſe Albert der Große.
Iſt nun auch der poſitive Gewinn an etwaigen neuen Thatſachen, welchen die Zoologie aus dem Studium der arabiſchen naturgeſchicht- lichen Litteratur ziehen kann, nicht gerade hoch anzuſchlagen, ſo iſt doch zu bedauern, daß von den Schriften der Orientalen überhaupt bis jetzt ſo äußerſt wenig zugänglich geworden iſt. Aus den an verſchiedenen Orten und zu verſchiedenen Zeiten überſetzten Bruchſtücken derſelben iſt zwar eine allgemeine Vorſtellung von der Auffaſſung des Thierreichs bei Muhammedanern wohl zu gewinnen. Für die ſpecielle Geſchichte der Kenntniß einzelner Formen, für den Urſprung und die Verbreitung vieler Sagen, ſelbſt für die Erklärung mancher der Producte der ſpät- griechiſchen Litteratur wäre aber ein weiteres Aufſchließen der betref- fenden Schriften dringend zu wünſchen. Die Continuität in der Ent- wickelung einzelner Vorſtellungen iſt noch immer durch eine Lücke von mehreren Jahrhunderten unterbrochen. Die Geſchichte der Zoologie wie die Geſchichte der Cultur überhaupt, namentlich aber die Littera- turgeſchichte des Mittelalters, welche noch immer an pſeudepigraphi- ſchen Ungeheuerlichkeiten reich iſt und durch das leidige Nachſchreiben Neuerer nicht geklärt wird, würde eine weſentliche Bereicherung erfah- ren, wenn die jetzt nur dem Titel nach angeführten Werke erſchloſſen würden. Man kann bei der gegenwärtigen Lage der Dinge weder ein zuſammenhängendes Bild erhalten, in wie weit die Kenntniß thieriſcher Formen durch die in wunderbarer Weiſe weit über bis dahin unbekannte Theile der Erde herumgekommenen Araber bereichert wurde, noch in
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Die Zoologie der Araber.
Heilmittelſchatz zu erweitern zu einer genaueren Kenntniß von Thieren
und Pflanzen an. Aber ebenſo wie die Chemie und Aſtronomie kaum
vom alchymiſtiſchen und aſtrologiſchen Aberglauben zu löſen war, ſo
iſt auch das, was bei den Thierſchilderungen von eigenen Zuſätzen er-
ſcheint, meiſt ſo vielfach mit abergläubiſchem Unſinn durchſetzt, daß da-
mit nichts weniger als eine Bereicherung des Wiſſens gegeben wird.
Derſelbe Aberglauben findet ſich dann noch bei den abendländiſchen
Nachfolgern der Araber wieder, unter denen ſelbſt Geiſtliche in derſel-
ben Weiſe die mediciniſche Verwendung ganzer Thiere oder einzelner
Theile, häufig in Bezug auf Störungen im Geſchlechtsleben anführen,
ſo beiſpielsweiſe Albert der Große.
Iſt nun auch der poſitive Gewinn an etwaigen neuen Thatſachen,
welchen die Zoologie aus dem Studium der arabiſchen naturgeſchicht-
lichen Litteratur ziehen kann, nicht gerade hoch anzuſchlagen, ſo iſt doch
zu bedauern, daß von den Schriften der Orientalen überhaupt bis jetzt
ſo äußerſt wenig zugänglich geworden iſt. Aus den an verſchiedenen
Orten und zu verſchiedenen Zeiten überſetzten Bruchſtücken derſelben
iſt zwar eine allgemeine Vorſtellung von der Auffaſſung des Thierreichs
bei Muhammedanern wohl zu gewinnen. Für die ſpecielle Geſchichte
der Kenntniß einzelner Formen, für den Urſprung und die Verbreitung
vieler Sagen, ſelbſt für die Erklärung mancher der Producte der ſpät-
griechiſchen Litteratur wäre aber ein weiteres Aufſchließen der betref-
fenden Schriften dringend zu wünſchen. Die Continuität in der Ent-
wickelung einzelner Vorſtellungen iſt noch immer durch eine Lücke von
mehreren Jahrhunderten unterbrochen. Die Geſchichte der Zoologie
wie die Geſchichte der Cultur überhaupt, namentlich aber die Littera-
turgeſchichte des Mittelalters, welche noch immer an pſeudepigraphi-
ſchen Ungeheuerlichkeiten reich iſt und durch das leidige Nachſchreiben
Neuerer nicht geklärt wird, würde eine weſentliche Bereicherung erfah-
ren, wenn die jetzt nur dem Titel nach angeführten Werke erſchloſſen
würden. Man kann bei der gegenwärtigen Lage der Dinge weder ein
zuſammenhängendes Bild erhalten, in wie weit die Kenntniß thieriſcher
Formen durch die in wunderbarer Weiſe weit über bis dahin unbekannte
Theile der Erde herumgekommenen Araber bereichert wurde, noch in
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/168>, abgerufen am 21.11.2024.
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