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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Physiologus.
gründung der Thiernamen. Aus diesen Elementen zusammengesetzt er-
scheinen dann noch die Thierbücher späterer Jahrhunderte.

Es hängt vielleicht mit dieser Entstehungsweise aus heidnischen
Ueberlieferungen, die nur später erst mit christlichen Allegorien verbrämt
wurden, zusammen, daß das Urtheil der Kirche dem Physiologus nichts
weniger als günstig war. Spuren von Manichäismus, Priscillianis-
mus und Gnosticismus im Physiologus zu finden, ist wohl dann nur
möglich, wenn man auch die Moralisationen einer rigorösen Verbal-
untersuchung unterwirft. Aber schon bevor diese den Thierschilderungen
angehängt wurden (soweit es sich wenigstens bis jetzt übersehen läßt),
ergieng ein Verbot gegen den Physiologus. Im Jahre 496 erschien ein
Concilbeschluß des Pabstes Gelasius de libris recipiendis et non
recipiendis,
worin es nach Aufzählung der annehmbaren und erlaubten
Bücher weiter heißt: caetera quae ab haereticis sive schismaticis
conscripta vel praedicata sunt, nullatenus recipit catholica et apo-
stolica Romana ecclesia
. Und unter diesen proscribirten findet sich liber
Physiologus, qui ab haereticis conscriptus est et B. Ambrosii nomine
signatur, apocryphus
71). Pitra meint, dies Decret auf den Pabst
Damasus zurückbeziehen zu können und sagt, daß es von sieben Päbsten
entweder verschärft oder wenigstens erneuert worden sei. Er erwähnt
dabei ausdrücklich das sogenannte Decret des Pabstes Hormisda, des
sechsten nach Damasus. Doch ist dies Decret wörtlich dasselbe, wie das
Gelasianische und nur durch handschriftliche Bezeichnungen, vermuthlich
irrigerweise, auch dem Hormisda zugeschrieben72). Aber die Zeiten und

71) Das Decret ist abgedruckt in: Sedulii Opera ed. Arevalo. p. 424
(438). Zaccaria, Storia polem. delle proibizione de' libri p. 33 (38)
. Wei-
tere Citate gibt Jaffe, Regesta Pontific. Romanor. p. 56. no. 378.
72) Vigilius Tapsensis sagt am Schlusse des 6. Buches seiner Schrift
De Trinitate: Si quis contra traditionem canonis haereticorum apocrypha,
quae ecclesia catholica omnino non recipit, super haec praeponere vel de-
fendere voluerit, anathema sit.
Hierzu bemerkt P. F. Chifflet (Ausgabe von
Victoris Vitensis et Vigilii Tapsensis, provinciae Bizacenae episcoporum
opera. Divione 1664. Notae p. 149
), daß der hier erwähnte Kanon wohl der des
Pabstes Gelasius vom Jahre 494 (6) sei. Ein " Jurensis codex pervetustus"
legt denselben dem Hormisda bei. Da dieser Codex den Kanon "tum ordinatius
tum emendatius"
enthält, druckt er ihn ab (p. 149-156). Alle übrigen Hand-

Phyſiologus.
gründung der Thiernamen. Aus dieſen Elementen zuſammengeſetzt er-
ſcheinen dann noch die Thierbücher ſpäterer Jahrhunderte.

Es hängt vielleicht mit dieſer Entſtehungsweiſe aus heidniſchen
Ueberlieferungen, die nur ſpäter erſt mit chriſtlichen Allegorien verbrämt
wurden, zuſammen, daß das Urtheil der Kirche dem Phyſiologus nichts
weniger als günſtig war. Spuren von Manichäismus, Priscillianis-
mus und Gnoſticismus im Phyſiologus zu finden, iſt wohl dann nur
möglich, wenn man auch die Moraliſationen einer rigoröſen Verbal-
unterſuchung unterwirft. Aber ſchon bevor dieſe den Thierſchilderungen
angehängt wurden (ſoweit es ſich wenigſtens bis jetzt überſehen läßt),
ergieng ein Verbot gegen den Phyſiologus. Im Jahre 496 erſchien ein
Concilbeſchluß des Pabſtes Gelaſius de libris recipiendis et non
recipiendis,
worin es nach Aufzählung der annehmbaren und erlaubten
Bücher weiter heißt: caetera quae ab haereticis sive schismaticis
conscripta vel praedicata sunt, nullatenus recipit catholica et apo-
stolica Romana ecclesia
. Und unter dieſen proſcribirten findet ſich liber
Physiologus, qui ab haereticis conscriptus est et B. Ambrosii nomine
signatur, apocryphus
71). Pitra meint, dies Decret auf den Pabſt
Damaſus zurückbeziehen zu können und ſagt, daß es von ſieben Päbſten
entweder verſchärft oder wenigſtens erneuert worden ſei. Er erwähnt
dabei ausdrücklich das ſogenannte Decret des Pabſtes Hormisda, des
ſechſten nach Damaſus. Doch iſt dies Decret wörtlich daſſelbe, wie das
Gelaſianiſche und nur durch handſchriftliche Bezeichnungen, vermuthlich
irrigerweiſe, auch dem Hormisda zugeſchrieben72). Aber die Zeiten und

71) Das Decret iſt abgedruckt in: Sedulii Opera ed. Arevalo. p. 424
(438). Zaccaria, Storia polem. delle proibizione de' libri p. 33 (38)
. Wei-
tere Citate gibt Jaffé, Regesta Pontific. Romanor. p. 56. no. 378.
72) Vigilius Tapſenſis ſagt am Schluſſe des 6. Buches ſeiner Schrift
De Trinitate: Si quis contra traditionem canonis haereticorum apocrypha,
quae ecclesia catholica omnino non recipit, super haec praeponere vel de-
fendere voluerit, anathema sit.
Hierzu bemerkt P. F. Chifflet (Ausgabe von
Victoris Vitensis et Vigilii Tapsensis, provinciae Bizacenae episcoporum
opera. Divione 1664. Notae p. 149
), daß der hier erwähnte Kanon wohl der des
Pabſtes Gelaſius vom Jahre 494 (6) ſei. Ein „ Jurensis codex pervetustus“
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[143/0154] Phyſiologus. gründung der Thiernamen. Aus dieſen Elementen zuſammengeſetzt er- ſcheinen dann noch die Thierbücher ſpäterer Jahrhunderte. Es hängt vielleicht mit dieſer Entſtehungsweiſe aus heidniſchen Ueberlieferungen, die nur ſpäter erſt mit chriſtlichen Allegorien verbrämt wurden, zuſammen, daß das Urtheil der Kirche dem Phyſiologus nichts weniger als günſtig war. Spuren von Manichäismus, Priscillianis- mus und Gnoſticismus im Phyſiologus zu finden, iſt wohl dann nur möglich, wenn man auch die Moraliſationen einer rigoröſen Verbal- unterſuchung unterwirft. Aber ſchon bevor dieſe den Thierſchilderungen angehängt wurden (ſoweit es ſich wenigſtens bis jetzt überſehen läßt), ergieng ein Verbot gegen den Phyſiologus. Im Jahre 496 erſchien ein Concilbeſchluß des Pabſtes Gelaſius de libris recipiendis et non recipiendis, worin es nach Aufzählung der annehmbaren und erlaubten Bücher weiter heißt: caetera quae ab haereticis sive schismaticis conscripta vel praedicata sunt, nullatenus recipit catholica et apo- stolica Romana ecclesia. Und unter dieſen proſcribirten findet ſich liber Physiologus, qui ab haereticis conscriptus est et B. Ambrosii nomine signatur, apocryphus 71). Pitra meint, dies Decret auf den Pabſt Damaſus zurückbeziehen zu können und ſagt, daß es von ſieben Päbſten entweder verſchärft oder wenigſtens erneuert worden ſei. Er erwähnt dabei ausdrücklich das ſogenannte Decret des Pabſtes Hormisda, des ſechſten nach Damaſus. Doch iſt dies Decret wörtlich daſſelbe, wie das Gelaſianiſche und nur durch handſchriftliche Bezeichnungen, vermuthlich irrigerweiſe, auch dem Hormisda zugeſchrieben 72). Aber die Zeiten und 71) Das Decret iſt abgedruckt in: Sedulii Opera ed. Arevalo. p. 424 (438). Zaccaria, Storia polem. delle proibizione de' libri p. 33 (38). Wei- tere Citate gibt Jaffé, Regesta Pontific. Romanor. p. 56. no. 378. 72) Vigilius Tapſenſis ſagt am Schluſſe des 6. Buches ſeiner Schrift De Trinitate: Si quis contra traditionem canonis haereticorum apocrypha, quae ecclesia catholica omnino non recipit, super haec praeponere vel de- fendere voluerit, anathema sit. Hierzu bemerkt P. F. Chifflet (Ausgabe von Victoris Vitensis et Vigilii Tapsensis, provinciae Bizacenae episcoporum opera. Divione 1664. Notae p. 149), daß der hier erwähnte Kanon wohl der des Pabſtes Gelaſius vom Jahre 494 (6) ſei. Ein „ Jurensis codex pervetustus“ legt denſelben dem Hormisda bei. Da dieſer Codex den Kanon „tum ordinatius tum emendatius“ enthält, druckt er ihn ab (p. 149-156). Alle übrigen Hand-

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/154>, abgerufen am 22.05.2024.