sind einige für die besondere Geschichte der Physiologus-Bearbeitungen dadurch von Interesse, als sie aus früheren Verwechselungen selbstän- dig sich lösende Bilder darstellen, wie z. B. Storch und Weihe, zwei Vögel, welche in den früheren Bearbeitungen unter Fulica und Strauß mit einbegriffen waren. Merkwürdig ist, daß der im armenischen Phy- siologus vorkommende Vogel Zeraham im altfranzösischen des Pierre Picard als "indischer Vogel" wiedererscheint. Daß endlich in letztge- nannter Bearbeitung auch die Baumgans vorkommt, spricht für das Volksthümliche dieser Sage.
Unter den Reptilien werden die Schlangen am häufigsten an- geführt. Von den vier Eigenschaften derselben ist die erste die Häutung, welche sich an ältere Angaben, freilich ausgeschmückt anschließt (z. B. Aristoteles, hist. anim. 9, 113, Aelian 9, 13 u. a.). Zu zweit wird erzählt, daß die Schlange ihr Gift ablegt, ehe sie trinkt. Dies ist nur noch bei Kirchenvätern zu finden; auf welche sonstige Angabe sich dies etwa gründen könnte, ist nicht ermittelt. Ferner soll die Schlange nur den bekleideten Menschen angreifen, den nackten dagegen fliehen, eine Schilderung, die sich bei Epiphanius gerade umgekehrt findet. Ob sich dies mit der Sage von den Psyllen in Verbindung bringen läßt, wie es Ponce de Leon thut, ist zweifelhaft. Noch Damiri erzählt es. End- lich soll die Schlange, wenn sie verfolgt wird, den Kopf verbergen und den ganzen übrigen Körper Preis geben. Hierfür führt Ponce de Leon eine Stelle des Isidorus an, wo er sich auf Plinius beruft63).
Von den Schlangen im Allgemeinen wird die Viper getrennt und von ihr erzählt, was sich schon bei Herodot 3, 109 findet. Bei der Be- gattung soll die weibliche Viper der männlichen, welche ihren Kopf in den Mund der erstern streckt, letzteren (bei Herodot den Hals ed. Baehr II. p. 214) abbeißen (vergl. das oben beim Wiesel Gesagte). Das Weibchen soll indessen auch bald sterben, indem die Jungen die Geburt nicht er- warten, sondern die Eingeweide ihrer Mutter zerfressen, um nach außen
63)Isidorus Hisp. sagt allerdings (XII, 4, 43): Plinius dicit. Das Citat ist aber aus Servius zu Virgilius, Georgica III, 422 (timidum caput abdidit ille) und lautet: Serpentes caput etiam si duobus evaserit digitis nihilominus vivit. Die Stelle ist im Plinius, so weit er erhalten ist, nicht zu finden.
Die Zoologie des Mittelalters.
ſind einige für die beſondere Geſchichte der Phyſiologus-Bearbeitungen dadurch von Intereſſe, als ſie aus früheren Verwechſelungen ſelbſtän- dig ſich löſende Bilder darſtellen, wie z. B. Storch und Weihe, zwei Vögel, welche in den früheren Bearbeitungen unter Fulica und Strauß mit einbegriffen waren. Merkwürdig iſt, daß der im armeniſchen Phy- ſiologus vorkommende Vogel Zeraham im altfranzöſiſchen des Pierre Picard als „indiſcher Vogel“ wiedererſcheint. Daß endlich in letztge- nannter Bearbeitung auch die Baumgans vorkommt, ſpricht für das Volksthümliche dieſer Sage.
Unter den Reptilien werden die Schlangen am häufigſten an- geführt. Von den vier Eigenſchaften derſelben iſt die erſte die Häutung, welche ſich an ältere Angaben, freilich ausgeſchmückt anſchließt (z. B. Ariſtoteles, hist. anim. 9, 113, Aelian 9, 13 u. a.). Zu zweit wird erzählt, daß die Schlange ihr Gift ablegt, ehe ſie trinkt. Dies iſt nur noch bei Kirchenvätern zu finden; auf welche ſonſtige Angabe ſich dies etwa gründen könnte, iſt nicht ermittelt. Ferner ſoll die Schlange nur den bekleideten Menſchen angreifen, den nackten dagegen fliehen, eine Schilderung, die ſich bei Epiphanius gerade umgekehrt findet. Ob ſich dies mit der Sage von den Pſyllen in Verbindung bringen läßt, wie es Ponce de Leon thut, iſt zweifelhaft. Noch Damiri erzählt es. End- lich ſoll die Schlange, wenn ſie verfolgt wird, den Kopf verbergen und den ganzen übrigen Körper Preis geben. Hierfür führt Ponce de Leon eine Stelle des Iſidorus an, wo er ſich auf Plinius beruft63).
Von den Schlangen im Allgemeinen wird die Viper getrennt und von ihr erzählt, was ſich ſchon bei Herodot 3, 109 findet. Bei der Be- gattung ſoll die weibliche Viper der männlichen, welche ihren Kopf in den Mund der erſtern ſtreckt, letzteren (bei Herodot den Hals ed. Baehr II. p. 214) abbeißen (vergl. das oben beim Wieſel Geſagte). Das Weibchen ſoll indeſſen auch bald ſterben, indem die Jungen die Geburt nicht er- warten, ſondern die Eingeweide ihrer Mutter zerfreſſen, um nach außen
63)Isidorus Hisp. ſagt allerdings (XII, 4, 43): Plinius dicit. Das Citat iſt aber aus Servius zu Virgilius, Georgica III, 422 (timidum caput abdidit ille) und lautet: Serpentes caput etiam si duobus evaserit digitis nihilominus vivit. Die Stelle iſt im Plinius, ſo weit er erhalten iſt, nicht zu finden.
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Die Zoologie des Mittelalters.
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dig ſich löſende Bilder darſtellen, wie z. B. Storch und Weihe, zwei
Vögel, welche in den früheren Bearbeitungen unter Fulica und Strauß
mit einbegriffen waren. Merkwürdig iſt, daß der im armeniſchen Phy-
ſiologus vorkommende Vogel Zeraham im altfranzöſiſchen des Pierre
Picard als „indiſcher Vogel“ wiedererſcheint. Daß endlich in letztge-
nannter Bearbeitung auch die Baumgans vorkommt, ſpricht für das
Volksthümliche dieſer Sage.
Unter den Reptilien werden die Schlangen am häufigſten an-
geführt. Von den vier Eigenſchaften derſelben iſt die erſte die Häutung,
welche ſich an ältere Angaben, freilich ausgeſchmückt anſchließt (z. B.
Ariſtoteles, hist. anim. 9, 113, Aelian 9, 13 u. a.). Zu zweit wird
erzählt, daß die Schlange ihr Gift ablegt, ehe ſie trinkt. Dies iſt nur
noch bei Kirchenvätern zu finden; auf welche ſonſtige Angabe ſich dies
etwa gründen könnte, iſt nicht ermittelt. Ferner ſoll die Schlange nur
den bekleideten Menſchen angreifen, den nackten dagegen fliehen, eine
Schilderung, die ſich bei Epiphanius gerade umgekehrt findet. Ob ſich
dies mit der Sage von den Pſyllen in Verbindung bringen läßt, wie
es Ponce de Leon thut, iſt zweifelhaft. Noch Damiri erzählt es. End-
lich ſoll die Schlange, wenn ſie verfolgt wird, den Kopf verbergen und
den ganzen übrigen Körper Preis geben. Hierfür führt Ponce de Leon
eine Stelle des Iſidorus an, wo er ſich auf Plinius beruft 63).
Von den Schlangen im Allgemeinen wird die Viper getrennt und
von ihr erzählt, was ſich ſchon bei Herodot 3, 109 findet. Bei der Be-
gattung ſoll die weibliche Viper der männlichen, welche ihren Kopf in den
Mund der erſtern ſtreckt, letzteren (bei Herodot den Hals ed. Baehr II.
p. 214) abbeißen (vergl. das oben beim Wieſel Geſagte). Das Weibchen
ſoll indeſſen auch bald ſterben, indem die Jungen die Geburt nicht er-
warten, ſondern die Eingeweide ihrer Mutter zerfreſſen, um nach außen
63) Isidorus Hisp. ſagt allerdings (XII, 4, 43): Plinius dicit. Das Citat iſt
aber aus Servius zu Virgilius, Georgica III, 422 (timidum caput abdidit ille)
und lautet: Serpentes caput etiam si duobus evaserit digitis nihilominus
vivit. Die Stelle iſt im Plinius, ſo weit er erhalten iſt, nicht zu finden.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/145>, abgerufen am 22.06.2024.
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