Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Zoologie des Mittelalters.
sind einige für die besondere Geschichte der Physiologus-Bearbeitungen
dadurch von Interesse, als sie aus früheren Verwechselungen selbstän-
dig sich lösende Bilder darstellen, wie z. B. Storch und Weihe, zwei
Vögel, welche in den früheren Bearbeitungen unter Fulica und Strauß
mit einbegriffen waren. Merkwürdig ist, daß der im armenischen Phy-
siologus vorkommende Vogel Zeraham im altfranzösischen des Pierre
Picard als "indischer Vogel" wiedererscheint. Daß endlich in letztge-
nannter Bearbeitung auch die Baumgans vorkommt, spricht für das
Volksthümliche dieser Sage.

Unter den Reptilien werden die Schlangen am häufigsten an-
geführt. Von den vier Eigenschaften derselben ist die erste die Häutung,
welche sich an ältere Angaben, freilich ausgeschmückt anschließt (z. B.
Aristoteles, hist. anim. 9, 113, Aelian 9, 13 u. a.). Zu zweit wird
erzählt, daß die Schlange ihr Gift ablegt, ehe sie trinkt. Dies ist nur
noch bei Kirchenvätern zu finden; auf welche sonstige Angabe sich dies
etwa gründen könnte, ist nicht ermittelt. Ferner soll die Schlange nur
den bekleideten Menschen angreifen, den nackten dagegen fliehen, eine
Schilderung, die sich bei Epiphanius gerade umgekehrt findet. Ob sich
dies mit der Sage von den Psyllen in Verbindung bringen läßt, wie
es Ponce de Leon thut, ist zweifelhaft. Noch Damiri erzählt es. End-
lich soll die Schlange, wenn sie verfolgt wird, den Kopf verbergen und
den ganzen übrigen Körper Preis geben. Hierfür führt Ponce de Leon
eine Stelle des Isidorus an, wo er sich auf Plinius beruft63).

Von den Schlangen im Allgemeinen wird die Viper getrennt und
von ihr erzählt, was sich schon bei Herodot 3, 109 findet. Bei der Be-
gattung soll die weibliche Viper der männlichen, welche ihren Kopf in den
Mund der erstern streckt, letzteren (bei Herodot den Hals ed. Baehr II.
p. 214
) abbeißen (vergl. das oben beim Wiesel Gesagte). Das Weibchen
soll indessen auch bald sterben, indem die Jungen die Geburt nicht er-
warten, sondern die Eingeweide ihrer Mutter zerfressen, um nach außen

63) Isidorus Hisp. sagt allerdings (XII, 4, 43): Plinius dicit. Das Citat ist
aber aus Servius zu Virgilius, Georgica III, 422 (timidum caput abdidit ille)
und lautet: Serpentes caput etiam si duobus evaserit digitis nihilominus
vivit.
Die Stelle ist im Plinius, so weit er erhalten ist, nicht zu finden.

Die Zoologie des Mittelalters.
ſind einige für die beſondere Geſchichte der Phyſiologus-Bearbeitungen
dadurch von Intereſſe, als ſie aus früheren Verwechſelungen ſelbſtän-
dig ſich löſende Bilder darſtellen, wie z. B. Storch und Weihe, zwei
Vögel, welche in den früheren Bearbeitungen unter Fulica und Strauß
mit einbegriffen waren. Merkwürdig iſt, daß der im armeniſchen Phy-
ſiologus vorkommende Vogel Zeraham im altfranzöſiſchen des Pierre
Picard als „indiſcher Vogel“ wiedererſcheint. Daß endlich in letztge-
nannter Bearbeitung auch die Baumgans vorkommt, ſpricht für das
Volksthümliche dieſer Sage.

Unter den Reptilien werden die Schlangen am häufigſten an-
geführt. Von den vier Eigenſchaften derſelben iſt die erſte die Häutung,
welche ſich an ältere Angaben, freilich ausgeſchmückt anſchließt (z. B.
Ariſtoteles, hist. anim. 9, 113, Aelian 9, 13 u. a.). Zu zweit wird
erzählt, daß die Schlange ihr Gift ablegt, ehe ſie trinkt. Dies iſt nur
noch bei Kirchenvätern zu finden; auf welche ſonſtige Angabe ſich dies
etwa gründen könnte, iſt nicht ermittelt. Ferner ſoll die Schlange nur
den bekleideten Menſchen angreifen, den nackten dagegen fliehen, eine
Schilderung, die ſich bei Epiphanius gerade umgekehrt findet. Ob ſich
dies mit der Sage von den Pſyllen in Verbindung bringen läßt, wie
es Ponce de Leon thut, iſt zweifelhaft. Noch Damiri erzählt es. End-
lich ſoll die Schlange, wenn ſie verfolgt wird, den Kopf verbergen und
den ganzen übrigen Körper Preis geben. Hierfür führt Ponce de Leon
eine Stelle des Iſidorus an, wo er ſich auf Plinius beruft63).

Von den Schlangen im Allgemeinen wird die Viper getrennt und
von ihr erzählt, was ſich ſchon bei Herodot 3, 109 findet. Bei der Be-
gattung ſoll die weibliche Viper der männlichen, welche ihren Kopf in den
Mund der erſtern ſtreckt, letzteren (bei Herodot den Hals ed. Baehr II.
p. 214
) abbeißen (vergl. das oben beim Wieſel Geſagte). Das Weibchen
ſoll indeſſen auch bald ſterben, indem die Jungen die Geburt nicht er-
warten, ſondern die Eingeweide ihrer Mutter zerfreſſen, um nach außen

63) Isidorus Hisp. ſagt allerdings (XII, 4, 43): Plinius dicit. Das Citat iſt
aber aus Servius zu Virgilius, Georgica III, 422 (timidum caput abdidit ille)
und lautet: Serpentes caput etiam si duobus evaserit digitis nihilominus
vivit.
Die Stelle iſt im Plinius, ſo weit er erhalten iſt, nicht zu finden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0145" n="134"/><fw place="top" type="header">Die Zoologie des Mittelalters.</fw><lb/>
&#x017F;ind einige für die be&#x017F;ondere Ge&#x017F;chichte der Phy&#x017F;iologus-Bearbeitungen<lb/>
dadurch von Intere&#x017F;&#x017F;e, als &#x017F;ie aus früheren Verwech&#x017F;elungen &#x017F;elb&#x017F;tän-<lb/>
dig &#x017F;ich lö&#x017F;ende Bilder dar&#x017F;tellen, wie z. B. Storch und Weihe, zwei<lb/>
Vögel, welche in den früheren Bearbeitungen unter Fulica und Strauß<lb/>
mit einbegriffen waren. Merkwürdig i&#x017F;t, daß der im armeni&#x017F;chen Phy-<lb/>
&#x017F;iologus vorkommende Vogel Zeraham im altfranzö&#x017F;i&#x017F;chen des Pierre<lb/>
Picard als &#x201E;indi&#x017F;cher Vogel&#x201C; wiederer&#x017F;cheint. Daß endlich in letztge-<lb/>
nannter Bearbeitung auch die Baumgans vorkommt, &#x017F;pricht für das<lb/>
Volksthümliche die&#x017F;er Sage.</p><lb/>
          <p>Unter den Reptilien werden die <hi rendition="#g">Schlangen</hi> am häufig&#x017F;ten an-<lb/>
geführt. Von den vier Eigen&#x017F;chaften der&#x017F;elben i&#x017F;t die er&#x017F;te die Häutung,<lb/>
welche &#x017F;ich an ältere Angaben, freilich ausge&#x017F;chmückt an&#x017F;chließt (z. B.<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName>, <hi rendition="#aq">hist. anim. 9, 113</hi>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119160285">Aelian</persName> 9, 13 u. a.). Zu zweit wird<lb/>
erzählt, daß die Schlange ihr Gift ablegt, ehe &#x017F;ie trinkt. Dies i&#x017F;t nur<lb/>
noch bei Kirchenvätern zu finden; auf welche &#x017F;on&#x017F;tige Angabe &#x017F;ich dies<lb/>
etwa gründen könnte, i&#x017F;t nicht ermittelt. Ferner &#x017F;oll die Schlange nur<lb/>
den bekleideten Men&#x017F;chen angreifen, den nackten dagegen fliehen, eine<lb/>
Schilderung, die &#x017F;ich bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118682229">Epiphanius</persName> gerade umgekehrt findet. Ob &#x017F;ich<lb/>
dies mit der Sage von den P&#x017F;yllen in Verbindung bringen läßt, wie<lb/>
es <persName ref="http://d-nb.info/gnd/124850308">Ponce de Leon</persName> thut, i&#x017F;t zweifelhaft. Noch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/101045689">Damiri</persName> erzählt es. End-<lb/>
lich &#x017F;oll die Schlange, wenn &#x017F;ie verfolgt wird, den Kopf verbergen und<lb/>
den ganzen übrigen Körper Preis geben. Hierfür führt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/124850308">Ponce de Leon</persName><lb/>
eine Stelle des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118555995">I&#x017F;idorus</persName> an, wo er &#x017F;ich auf <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595083">Plinius</persName> beruft<note place="foot" n="63)"><hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118555995">Isidorus</persName> Hisp.</hi> &#x017F;agt allerdings (<hi rendition="#aq">XII, 4, 43</hi>): <hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595083">Plinius</persName> dicit</hi>. Das Citat i&#x017F;t<lb/>
aber aus <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118796313">Servius</persName> zu <hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626574">Virgilius</persName>, Georgica III, 422 (timidum caput abdidit ille</hi>)<lb/>
und lautet: <hi rendition="#aq">Serpentes caput etiam si duobus evaserit digitis nihilominus<lb/>
vivit.</hi> Die Stelle i&#x017F;t im <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595083">Plinius</persName>, &#x017F;o weit er erhalten i&#x017F;t, nicht zu finden.</note>.</p><lb/>
          <p>Von den Schlangen im Allgemeinen wird die <hi rendition="#g">Viper</hi> getrennt und<lb/>
von ihr erzählt, was &#x017F;ich &#x017F;chon bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118549855">Herodot</persName> 3, 109 findet. Bei der Be-<lb/>
gattung &#x017F;oll die weibliche Viper der männlichen, welche ihren Kopf in den<lb/>
Mund der er&#x017F;tern &#x017F;treckt, letzteren (bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118549855">Herodot</persName> den Hals <hi rendition="#aq">ed. Baehr II.<lb/>
p. 214</hi>) abbeißen (vergl. das oben beim Wie&#x017F;el Ge&#x017F;agte). Das Weibchen<lb/>
&#x017F;oll inde&#x017F;&#x017F;en auch bald &#x017F;terben, indem die Jungen die Geburt nicht er-<lb/>
warten, &#x017F;ondern die Eingeweide ihrer Mutter zerfre&#x017F;&#x017F;en, um nach außen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0145] Die Zoologie des Mittelalters. ſind einige für die beſondere Geſchichte der Phyſiologus-Bearbeitungen dadurch von Intereſſe, als ſie aus früheren Verwechſelungen ſelbſtän- dig ſich löſende Bilder darſtellen, wie z. B. Storch und Weihe, zwei Vögel, welche in den früheren Bearbeitungen unter Fulica und Strauß mit einbegriffen waren. Merkwürdig iſt, daß der im armeniſchen Phy- ſiologus vorkommende Vogel Zeraham im altfranzöſiſchen des Pierre Picard als „indiſcher Vogel“ wiedererſcheint. Daß endlich in letztge- nannter Bearbeitung auch die Baumgans vorkommt, ſpricht für das Volksthümliche dieſer Sage. Unter den Reptilien werden die Schlangen am häufigſten an- geführt. Von den vier Eigenſchaften derſelben iſt die erſte die Häutung, welche ſich an ältere Angaben, freilich ausgeſchmückt anſchließt (z. B. Ariſtoteles, hist. anim. 9, 113, Aelian 9, 13 u. a.). Zu zweit wird erzählt, daß die Schlange ihr Gift ablegt, ehe ſie trinkt. Dies iſt nur noch bei Kirchenvätern zu finden; auf welche ſonſtige Angabe ſich dies etwa gründen könnte, iſt nicht ermittelt. Ferner ſoll die Schlange nur den bekleideten Menſchen angreifen, den nackten dagegen fliehen, eine Schilderung, die ſich bei Epiphanius gerade umgekehrt findet. Ob ſich dies mit der Sage von den Pſyllen in Verbindung bringen läßt, wie es Ponce de Leon thut, iſt zweifelhaft. Noch Damiri erzählt es. End- lich ſoll die Schlange, wenn ſie verfolgt wird, den Kopf verbergen und den ganzen übrigen Körper Preis geben. Hierfür führt Ponce de Leon eine Stelle des Iſidorus an, wo er ſich auf Plinius beruft 63). Von den Schlangen im Allgemeinen wird die Viper getrennt und von ihr erzählt, was ſich ſchon bei Herodot 3, 109 findet. Bei der Be- gattung ſoll die weibliche Viper der männlichen, welche ihren Kopf in den Mund der erſtern ſtreckt, letzteren (bei Herodot den Hals ed. Baehr II. p. 214) abbeißen (vergl. das oben beim Wieſel Geſagte). Das Weibchen ſoll indeſſen auch bald ſterben, indem die Jungen die Geburt nicht er- warten, ſondern die Eingeweide ihrer Mutter zerfreſſen, um nach außen 63) Isidorus Hisp. ſagt allerdings (XII, 4, 43): Plinius dicit. Das Citat iſt aber aus Servius zu Virgilius, Georgica III, 422 (timidum caput abdidit ille) und lautet: Serpentes caput etiam si duobus evaserit digitis nihilominus vivit. Die Stelle iſt im Plinius, ſo weit er erhalten iſt, nicht zu finden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/145
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/145>, abgerufen am 22.11.2024.