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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Die Zoologie des Mittelalters.
sonst unzähmbar wilde Thier sich einer reinen Jungfrau in den Schooß
lege, sanft werde und einschlafe, wo es dann von Jägern gefangen oder
getödtet wird, findet sich bei Eustathius, Isidor von Sevilla, Petrus
Demiani
, u. A. Bei Autoren des Alterthums ist sie nicht zu finden.
Nach Bochart48) ist die Sage nur Uebertragung einer sich z. B. bei
Aelian (16, 20) findenden Geschichte, daß das Einhorn während der
Brunftzeit zahm werde und sanft mit seinem Weibchen lebe. Was das
Einhorn für ein Thier sei, ob der "indische Esel" wie bei Aristoteles,
oder ein hirschartiger Wiederkäuer, lag dem Physiologus fern. Bei
Späteren wird es zum Rhinoceros.

Auch der die Hyäne betreffende Abschnitt weist auf die Ent-
stehungsweise des Physiologus hin. Die griechische Bearbeitung des-
selben führt nämlich die Stelle Jeremiah 12, 9 mit den Worten der
griechisch-alexandrinischen Uebersetzung an; der lateinische Physiologus
folgte dieser, während die Vulgata anders übersetzt hat49). Daß die
Hyäne ihr Geschlecht abwechselnd verändere und bald männlich bald
weiblich sei, weist schon Aristoteles als unrichtig zurück (de gener.
anim. 3, 6, 68
); Aelian erzählt es aber wieder (1, 25). Nach Cle-
mens Alexandrinus
soll sich die Unreinheit des Thieres hierauf grün-
den. Er bezieht sich dabei, wie der syrische und die lateinischen Physio-
logi auf 5. Mose 14, 7. Das dort erwähnte Thier ist aber nicht
Hyäne, sondern nur von der griechisch-alexandrinischen Uebersetzung
dahin gebracht.

Die in den meisten Bearbeitungen des Physiologus vorkommende
Serra ist eine Delphinart, von welcher hier etwas erzählt wird, was
in ganz übereinstimmender Weise Plinius vom Delphin selbst an-
führt (9, 24)50). Auf welchem Wege das Thier in den Physiologus

48) a. a. D. I. col. 941.
49) spelaion uaines e kleronomia mou emoi, LXX; die Vulgata sagt:
avis diversicolor und nach ihr Luther: ein sprenklichter Vogel. Der Göttweiher
lateinische und die althochdeutschen Physiologi führen Jesaias an, die andern latei-
nischen (älteren), der griechische (bei Pitra), die altfranzösischen citiren richtig Jere-
mias. Heider erwähnt, daß die Stelle sich nicht bei Jesaias finde; ein Blick in
eine Concordanz würde ihm den Fehler gezeigt haben.
50) ebenso Kazwini in seiner Kosmographie.

Die Zoologie des Mittelalters.
ſonſt unzähmbar wilde Thier ſich einer reinen Jungfrau in den Schooß
lege, ſanft werde und einſchlafe, wo es dann von Jägern gefangen oder
getödtet wird, findet ſich bei Euſtathius, Iſidor von Sevilla, Petrus
Demiani
, u. A. Bei Autoren des Alterthums iſt ſie nicht zu finden.
Nach Bochart48) iſt die Sage nur Uebertragung einer ſich z. B. bei
Aelian (16, 20) findenden Geſchichte, daß das Einhorn während der
Brunftzeit zahm werde und ſanft mit ſeinem Weibchen lebe. Was das
Einhorn für ein Thier ſei, ob der „indiſche Eſel“ wie bei Ariſtoteles,
oder ein hirſchartiger Wiederkäuer, lag dem Phyſiologus fern. Bei
Späteren wird es zum Rhinoceros.

Auch der die Hyäne betreffende Abſchnitt weiſt auf die Ent-
ſtehungsweiſe des Phyſiologus hin. Die griechiſche Bearbeitung deſ-
ſelben führt nämlich die Stelle Jeremiah 12, 9 mit den Worten der
griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung an; der lateiniſche Phyſiologus
folgte dieſer, während die Vulgata anders überſetzt hat49). Daß die
Hyäne ihr Geſchlecht abwechſelnd verändere und bald männlich bald
weiblich ſei, weiſt ſchon Ariſtoteles als unrichtig zurück (de gener.
anim. 3, 6, 68
); Aelian erzählt es aber wieder (1, 25). Nach Cle-
mens Alexandrinus
ſoll ſich die Unreinheit des Thieres hierauf grün-
den. Er bezieht ſich dabei, wie der ſyriſche und die lateiniſchen Phyſio-
logi auf 5. Moſe 14, 7. Das dort erwähnte Thier iſt aber nicht
Hyäne, ſondern nur von der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung
dahin gebracht.

Die in den meiſten Bearbeitungen des Phyſiologus vorkommende
Serra iſt eine Delphinart, von welcher hier etwas erzählt wird, was
in ganz übereinſtimmender Weiſe Plinius vom Delphin ſelbſt an-
führt (9, 24)50). Auf welchem Wege das Thier in den Phyſiologus

48) a. a. D. I. col. 941.
49) σπήλαιον ὑαίνης ἡ κληρονομία μου ἐμοί, LXX; die Vulgata ſagt:
avis diversicolor und nach ihr Luther: ein ſprenklichter Vogel. Der Göttweiher
lateiniſche und die althochdeutſchen Phyſiologi führen Jeſaias an, die andern latei-
niſchen (älteren), der griechiſche (bei Pitra), die altfranzöſiſchen citiren richtig Jere-
mias. Heider erwähnt, daß die Stelle ſich nicht bei Jeſaias finde; ein Blick in
eine Concordanz würde ihm den Fehler gezeigt haben.
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[126/0137] Die Zoologie des Mittelalters. ſonſt unzähmbar wilde Thier ſich einer reinen Jungfrau in den Schooß lege, ſanft werde und einſchlafe, wo es dann von Jägern gefangen oder getödtet wird, findet ſich bei Euſtathius, Iſidor von Sevilla, Petrus Demiani, u. A. Bei Autoren des Alterthums iſt ſie nicht zu finden. Nach Bochart 48) iſt die Sage nur Uebertragung einer ſich z. B. bei Aelian (16, 20) findenden Geſchichte, daß das Einhorn während der Brunftzeit zahm werde und ſanft mit ſeinem Weibchen lebe. Was das Einhorn für ein Thier ſei, ob der „indiſche Eſel“ wie bei Ariſtoteles, oder ein hirſchartiger Wiederkäuer, lag dem Phyſiologus fern. Bei Späteren wird es zum Rhinoceros. Auch der die Hyäne betreffende Abſchnitt weiſt auf die Ent- ſtehungsweiſe des Phyſiologus hin. Die griechiſche Bearbeitung deſ- ſelben führt nämlich die Stelle Jeremiah 12, 9 mit den Worten der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung an; der lateiniſche Phyſiologus folgte dieſer, während die Vulgata anders überſetzt hat 49). Daß die Hyäne ihr Geſchlecht abwechſelnd verändere und bald männlich bald weiblich ſei, weiſt ſchon Ariſtoteles als unrichtig zurück (de gener. anim. 3, 6, 68); Aelian erzählt es aber wieder (1, 25). Nach Cle- mens Alexandrinus ſoll ſich die Unreinheit des Thieres hierauf grün- den. Er bezieht ſich dabei, wie der ſyriſche und die lateiniſchen Phyſio- logi auf 5. Moſe 14, 7. Das dort erwähnte Thier iſt aber nicht Hyäne, ſondern nur von der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung dahin gebracht. Die in den meiſten Bearbeitungen des Phyſiologus vorkommende Serra iſt eine Delphinart, von welcher hier etwas erzählt wird, was in ganz übereinſtimmender Weiſe Plinius vom Delphin ſelbſt an- führt (9, 24) 50). Auf welchem Wege das Thier in den Phyſiologus 48) a. a. D. I. col. 941. 49) σπήλαιον ὑαίνης ἡ κληρονομία μου ἐμοί, LXX; die Vulgata ſagt: avis diversicolor und nach ihr Luther: ein ſprenklichter Vogel. Der Göttweiher lateiniſche und die althochdeutſchen Phyſiologi führen Jeſaias an, die andern latei- niſchen (älteren), der griechiſche (bei Pitra), die altfranzöſiſchen citiren richtig Jere- mias. Heider erwähnt, daß die Stelle ſich nicht bei Jeſaias finde; ein Blick in eine Concordanz würde ihm den Fehler gezeigt haben. 50) ebenſo Kazwini in ſeiner Kosmographie.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/137>, abgerufen am 23.11.2024.