Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

dargelegt haben, zugleich gewisse eigenthümliche Richtungen
des Seelenlebens zur ganz besonderen Erscheinung kommen
müssen. Wir fanden nämlich, daß rein als Selbstzweck
des Seelenlebens allerdings nur das Nervensystem angesehen
werden konnte, während alle andere Systeme sich durchaus
auf die Verhältnisse des Individuums zur Außenwelt be¬
ziehen. Nur das Nervensystem ist also rein see¬
lisch
, ist in sich ein indifferentes, ruhendes, ein nur eigen¬
thümliches, geheimnißvolles, den magnetischen und galvani¬
schen ähnliche Strömungen zeigendes Ganzes. Aber auch die
übrigen Systeme mit ihren Gebilden, wie sie alle aus einer
ursprünglichen, dem Halbflüssigen des Nervensystems wesent¬
lich gleichen allgemeinen Substanz sich hervorbildeten, ent¬
stehen durch jenes unbewußte Walten der Idee und ihr sich
Einleben im organischen Stoff, und auch sie sind in so
fern seelisch -- haben ein besonderes, nur zuerst unbe¬
wußtes Seelenleben
, und können mittels des be¬
wußten Lebens im Nervensystem
späterhin ebenfalls,
wenigstens zum Theil, mit zum Bewußtsein gebracht wer¬
den. Es ist gleich hier wichtig diesen verschiedenen Strah¬
lungen der seelischen Existenz etwas näher im Einzelnen
nachzugehen, damit klar werde, wie hiedurch gewisse, ich
möchte sagen besondere Seelen, oder Seelenkreise
in der Seele begründet werden, auf deren richtiger Er¬
kenntniß hauptsächlich Das beruht, was man gewöhnlich,
und, wie bereits oben gezeigt worden ist, mit Unrecht, die
Lehre von Wechselwirkung zwischen Leib und Seele ge¬
nannt hat.

Jene besonderen Provinzen also, in welche der Orga¬
nismus sich gliederte, waren Obigem zufolge, nächst denen
dem Nervensystem am meisten verwandten der Sinnen-
und Bewegungsgebilde und des Skeleton, die der
Ernährung, und zwar theils die der Stoffaufnahme
und der Stoffverbreitung, theils die der Stoff¬
zersetzung
und Ausstoßung. Die letzteren unterscheiden

dargelegt haben, zugleich gewiſſe eigenthümliche Richtungen
des Seelenlebens zur ganz beſonderen Erſcheinung kommen
müſſen. Wir fanden nämlich, daß rein als Selbſtzweck
des Seelenlebens allerdings nur das Nervenſyſtem angeſehen
werden konnte, während alle andere Syſteme ſich durchaus
auf die Verhältniſſe des Individuums zur Außenwelt be¬
ziehen. Nur das Nervenſyſtem iſt alſo rein ſee¬
liſch
, iſt in ſich ein indifferentes, ruhendes, ein nur eigen¬
thümliches, geheimnißvolles, den magnetiſchen und galvani¬
ſchen ähnliche Strömungen zeigendes Ganzes. Aber auch die
übrigen Syſteme mit ihren Gebilden, wie ſie alle aus einer
urſprünglichen, dem Halbflüſſigen des Nervenſyſtems weſent¬
lich gleichen allgemeinen Subſtanz ſich hervorbildeten, ent¬
ſtehen durch jenes unbewußte Walten der Idee und ihr ſich
Einleben im organiſchen Stoff, und auch ſie ſind in ſo
fern ſeeliſch — haben ein beſonderes, nur zuerſt unbe¬
wußtes Seelenleben
, und können mittels des be¬
wußten Lebens im Nervenſyſtem
ſpäterhin ebenfalls,
wenigſtens zum Theil, mit zum Bewußtſein gebracht wer¬
den. Es iſt gleich hier wichtig dieſen verſchiedenen Strah¬
lungen der ſeeliſchen Exiſtenz etwas näher im Einzelnen
nachzugehen, damit klar werde, wie hiedurch gewiſſe, ich
möchte ſagen beſondere Seelen, oder Seelenkreiſe
in der Seele begründet werden, auf deren richtiger Er¬
kenntniß hauptſächlich Das beruht, was man gewöhnlich,
und, wie bereits oben gezeigt worden iſt, mit Unrecht, die
Lehre von Wechſelwirkung zwiſchen Leib und Seele ge¬
nannt hat.

Jene beſonderen Provinzen alſo, in welche der Orga¬
nismus ſich gliederte, waren Obigem zufolge, nächſt denen
dem Nervenſyſtem am meiſten verwandten der Sinnen-
und Bewegungsgebilde und des Skeleton, die der
Ernährung, und zwar theils die der Stoffaufnahme
und der Stoffverbreitung, theils die der Stoff¬
zerſetzung
und Ausſtoßung. Die letzteren unterſcheiden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0059" n="43"/>
dargelegt haben, zugleich gewi&#x017F;&#x017F;e eigenthümliche Richtungen<lb/>
des Seelenlebens zur ganz be&#x017F;onderen Er&#x017F;cheinung kommen<lb/>&#x017F;&#x017F;en. Wir fanden nämlich, daß rein als Selb&#x017F;tzweck<lb/>
des Seelenlebens allerdings nur das Nerven&#x017F;y&#x017F;tem ange&#x017F;ehen<lb/>
werden konnte, während alle andere Sy&#x017F;teme &#x017F;ich durchaus<lb/>
auf die Verhältni&#x017F;&#x017F;e des Individuums zur Außenwelt be¬<lb/>
ziehen. <hi rendition="#g">Nur das Nerven&#x017F;y&#x017F;tem i&#x017F;t al&#x017F;o rein &#x017F;ee¬<lb/>
li&#x017F;ch</hi>, i&#x017F;t in &#x017F;ich ein indifferentes, ruhendes, ein nur eigen¬<lb/>
thümliches, geheimnißvolles, den magneti&#x017F;chen und galvani¬<lb/>
&#x017F;chen ähnliche Strömungen zeigendes Ganzes. Aber auch die<lb/>
übrigen Sy&#x017F;teme mit ihren Gebilden, wie &#x017F;ie alle aus einer<lb/>
ur&#x017F;prünglichen, dem Halbflü&#x017F;&#x017F;igen des Nerven&#x017F;y&#x017F;tems we&#x017F;ent¬<lb/>
lich gleichen allgemeinen Sub&#x017F;tanz &#x017F;ich hervorbildeten, ent¬<lb/>
&#x017F;tehen durch jenes unbewußte Walten der Idee und ihr &#x017F;ich<lb/>
Einleben im organi&#x017F;chen Stoff, und <hi rendition="#g">auch &#x017F;ie</hi> &#x017F;ind in &#x017F;o<lb/>
fern <hi rendition="#g">&#x017F;eeli&#x017F;ch</hi> &#x2014; haben ein be&#x017F;onderes, nur zuer&#x017F;t <hi rendition="#g">unbe¬<lb/>
wußtes Seelenleben</hi>, und können <hi rendition="#g">mittels des be¬<lb/>
wußten Lebens im Nerven&#x017F;y&#x017F;tem</hi> &#x017F;päterhin ebenfalls,<lb/>
wenig&#x017F;tens zum Theil, mit zum Bewußt&#x017F;ein gebracht wer¬<lb/>
den. Es i&#x017F;t gleich hier wichtig die&#x017F;en ver&#x017F;chiedenen Strah¬<lb/>
lungen der &#x017F;eeli&#x017F;chen Exi&#x017F;tenz etwas näher im Einzelnen<lb/>
nachzugehen, damit klar werde, wie hiedurch gewi&#x017F;&#x017F;e, ich<lb/>
möchte &#x017F;agen <hi rendition="#g">be&#x017F;ondere Seelen</hi>, oder <hi rendition="#g">Seelenkrei&#x017F;e</hi><lb/>
in der Seele begründet werden, auf deren richtiger Er¬<lb/>
kenntniß haupt&#x017F;ächlich <hi rendition="#g">Das</hi> beruht, was man gewöhnlich,<lb/>
und, wie bereits oben gezeigt worden i&#x017F;t, mit Unrecht, die<lb/>
Lehre von Wech&#x017F;elwirkung zwi&#x017F;chen Leib und Seele ge¬<lb/>
nannt hat.</p><lb/>
          <p>Jene be&#x017F;onderen Provinzen al&#x017F;o, in welche der Orga¬<lb/>
nismus &#x017F;ich gliederte, waren Obigem zufolge, näch&#x017F;t denen<lb/>
dem <hi rendition="#g">Nerven&#x017F;y&#x017F;tem</hi> am mei&#x017F;ten verwandten der <hi rendition="#g">Sinnen</hi>-<lb/>
und <hi rendition="#g">Bewegungsgebilde</hi> und des <hi rendition="#g">Skeleton</hi>, die der<lb/>
Ernährung, und zwar theils die der <hi rendition="#g">Stoffaufnahme</hi><lb/>
und der <hi rendition="#g">Stoffverbreitung</hi>, theils die der <hi rendition="#g">Stoff¬<lb/>
zer&#x017F;etzung</hi> und <hi rendition="#g">Aus&#x017F;toßung</hi>. Die letzteren unter&#x017F;cheiden<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0059] dargelegt haben, zugleich gewiſſe eigenthümliche Richtungen des Seelenlebens zur ganz beſonderen Erſcheinung kommen müſſen. Wir fanden nämlich, daß rein als Selbſtzweck des Seelenlebens allerdings nur das Nervenſyſtem angeſehen werden konnte, während alle andere Syſteme ſich durchaus auf die Verhältniſſe des Individuums zur Außenwelt be¬ ziehen. Nur das Nervenſyſtem iſt alſo rein ſee¬ liſch, iſt in ſich ein indifferentes, ruhendes, ein nur eigen¬ thümliches, geheimnißvolles, den magnetiſchen und galvani¬ ſchen ähnliche Strömungen zeigendes Ganzes. Aber auch die übrigen Syſteme mit ihren Gebilden, wie ſie alle aus einer urſprünglichen, dem Halbflüſſigen des Nervenſyſtems weſent¬ lich gleichen allgemeinen Subſtanz ſich hervorbildeten, ent¬ ſtehen durch jenes unbewußte Walten der Idee und ihr ſich Einleben im organiſchen Stoff, und auch ſie ſind in ſo fern ſeeliſch — haben ein beſonderes, nur zuerſt unbe¬ wußtes Seelenleben, und können mittels des be¬ wußten Lebens im Nervenſyſtem ſpäterhin ebenfalls, wenigſtens zum Theil, mit zum Bewußtſein gebracht wer¬ den. Es iſt gleich hier wichtig dieſen verſchiedenen Strah¬ lungen der ſeeliſchen Exiſtenz etwas näher im Einzelnen nachzugehen, damit klar werde, wie hiedurch gewiſſe, ich möchte ſagen beſondere Seelen, oder Seelenkreiſe in der Seele begründet werden, auf deren richtiger Er¬ kenntniß hauptſächlich Das beruht, was man gewöhnlich, und, wie bereits oben gezeigt worden iſt, mit Unrecht, die Lehre von Wechſelwirkung zwiſchen Leib und Seele ge¬ nannt hat. Jene beſonderen Provinzen alſo, in welche der Orga¬ nismus ſich gliederte, waren Obigem zufolge, nächſt denen dem Nervenſyſtem am meiſten verwandten der Sinnen- und Bewegungsgebilde und des Skeleton, die der Ernährung, und zwar theils die der Stoffaufnahme und der Stoffverbreitung, theils die der Stoff¬ zerſetzung und Ausſtoßung. Die letzteren unterſcheiden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/59
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/59>, abgerufen am 24.11.2024.