nach dem Sterben verewigt und müsse auch da noch auf menschliche Weise genährt werden; oder wandelte bei den Griechen der Abgeschiedene in der letzten Lebensgestaltung unsterblich unter den Seeligen oder Verdammten u. s. w., so waren dies gewissermaßen doch nur allegorische Anwen¬ dungen jener geahneten Erkenntniß, während freilich die zum Mannesalter gereifte Wissenschaft (wenn von einem Sein der Seele außerhalb dieser Existenz die Rede ist) zwar allerdings einestheils schonungslos Alles zu vernichten scheint, was als neu Gewordenes an der Seele erst im Laufe des Lebens entstand, dafür aber das wahrhaft ewige Werden der Seele in Gott mit festem und unverlösch¬ lichem Griffel verzeichnet.
Das Schwere für die Fassungskraft des Geistes bei diesen Gegenständen liegt jedenfalls hauptsächlich darin, daß, indem die Seele sich sehnt zur Gewißheit nicht nur ihrer Ewigkeit überhaupt (welche sie mit allen ihren selbst unbe¬ wußten Ideen gemein haben würde), sondern ganz vorzüg¬ lich und wesentlich zur Gewißheit von der Ewigkeit ihres selbstbewußten Geistes zu gelangen, sie sich doch zugleich sagen muß, daß alle die Vorstellungen und alle die Aequi¬ valente der Vorstellungen des Geistes, an denen eben dieses sein Bewußtsein sich entwickelt hat, und mittels welchen die Seele selbst erst als Geist sich offenbar geworden ist, durchaus mit der vergnüglichen Erscheinung des Organismus der allgemeinen Vergänglichkeit anheimfallen müssen. Gewiß wird indeß, wer immer das oben Gesagte von dem ihrem Wesen nach sich Verewigen auch der vergänglichen Erschei¬ nung am Geiste recht durchgedacht hat, schon hiedurch über diesen scheinbaren Widerspruch hinwegkommen, indem er erkennt und begreift, daß es eben bei der Frage nach dem Ewigsein des bewußten Geistes nicht sowohl auf die vor¬ übergehenden Spiegelungen des an sich stets Wechselnden und also auch durchaus Vergänglichen ankommt, sondern daß die gewonnene Ueberzeugung von den Folgen, welche
nach dem Sterben verewigt und müſſe auch da noch auf menſchliche Weiſe genährt werden; oder wandelte bei den Griechen der Abgeſchiedene in der letzten Lebensgeſtaltung unſterblich unter den Seeligen oder Verdammten u. ſ. w., ſo waren dies gewiſſermaßen doch nur allegoriſche Anwen¬ dungen jener geahneten Erkenntniß, während freilich die zum Mannesalter gereifte Wiſſenſchaft (wenn von einem Sein der Seele außerhalb dieſer Exiſtenz die Rede iſt) zwar allerdings einestheils ſchonungslos Alles zu vernichten ſcheint, was als neu Gewordenes an der Seele erſt im Laufe des Lebens entſtand, dafür aber das wahrhaft ewige Werden der Seele in Gott mit feſtem und unverlöſch¬ lichem Griffel verzeichnet.
Das Schwere für die Faſſungskraft des Geiſtes bei dieſen Gegenſtänden liegt jedenfalls hauptſächlich darin, daß, indem die Seele ſich ſehnt zur Gewißheit nicht nur ihrer Ewigkeit überhaupt (welche ſie mit allen ihren ſelbſt unbe¬ wußten Ideen gemein haben würde), ſondern ganz vorzüg¬ lich und weſentlich zur Gewißheit von der Ewigkeit ihres ſelbſtbewußten Geiſtes zu gelangen, ſie ſich doch zugleich ſagen muß, daß alle die Vorſtellungen und alle die Aequi¬ valente der Vorſtellungen des Geiſtes, an denen eben dieſes ſein Bewußtſein ſich entwickelt hat, und mittels welchen die Seele ſelbſt erſt als Geiſt ſich offenbar geworden iſt, durchaus mit der vergnüglichen Erſcheinung des Organismus der allgemeinen Vergänglichkeit anheimfallen müſſen. Gewiß wird indeß, wer immer das oben Geſagte von dem ihrem Weſen nach ſich Verewigen auch der vergänglichen Erſchei¬ nung am Geiſte recht durchgedacht hat, ſchon hiedurch über dieſen ſcheinbaren Widerſpruch hinwegkommen, indem er erkennt und begreift, daß es eben bei der Frage nach dem Ewigſein des bewußten Geiſtes nicht ſowohl auf die vor¬ übergehenden Spiegelungen des an ſich ſtets Wechſelnden und alſo auch durchaus Vergänglichen ankommt, ſondern daß die gewonnene Ueberzeugung von den Folgen, welche
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nach dem Sterben verewigt und müſſe auch da noch auf
menſchliche Weiſe genährt werden; oder wandelte bei den
Griechen der Abgeſchiedene in der letzten Lebensgeſtaltung
unſterblich unter den Seeligen oder Verdammten u. ſ. w.,
ſo waren dies gewiſſermaßen doch nur allegoriſche Anwen¬
dungen jener geahneten Erkenntniß, während freilich die
zum Mannesalter gereifte Wiſſenſchaft (wenn von einem
Sein der Seele außerhalb dieſer Exiſtenz die Rede iſt)
zwar allerdings einestheils ſchonungslos Alles zu vernichten
ſcheint, was als neu Gewordenes an der Seele erſt im
Laufe des Lebens entſtand, dafür aber das wahrhaft ewige
Werden der Seele in Gott mit feſtem und unverlöſch¬
lichem Griffel verzeichnet.
Das Schwere für die Faſſungskraft des Geiſtes bei
dieſen Gegenſtänden liegt jedenfalls hauptſächlich darin, daß,
indem die Seele ſich ſehnt zur Gewißheit nicht nur ihrer
Ewigkeit überhaupt (welche ſie mit allen ihren ſelbſt unbe¬
wußten Ideen gemein haben würde), ſondern ganz vorzüg¬
lich und weſentlich zur Gewißheit von der Ewigkeit ihres
ſelbſtbewußten Geiſtes zu gelangen, ſie ſich doch zugleich
ſagen muß, daß alle die Vorſtellungen und alle die Aequi¬
valente der Vorſtellungen des Geiſtes, an denen eben dieſes
ſein Bewußtſein ſich entwickelt hat, und mittels welchen
die Seele ſelbſt erſt als Geiſt ſich offenbar geworden iſt,
durchaus mit der vergnüglichen Erſcheinung des Organismus
der allgemeinen Vergänglichkeit anheimfallen müſſen. Gewiß
wird indeß, wer immer das oben Geſagte von dem ihrem
Weſen nach ſich Verewigen auch der vergänglichen Erſchei¬
nung am Geiſte recht durchgedacht hat, ſchon hiedurch über
dieſen ſcheinbaren Widerſpruch hinwegkommen, indem er
erkennt und begreift, daß es eben bei der Frage nach dem
Ewigſein des bewußten Geiſtes nicht ſowohl auf die vor¬
übergehenden Spiegelungen des an ſich ſtets Wechſelnden
und alſo auch durchaus Vergänglichen ankommt, ſondern
daß die gewonnene Ueberzeugung von den Folgen, welche
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/496>, abgerufen am 24.11.2024.
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