sondern nur für das höchste ewige Mysterium Gottes, d. h. für dessen Willen sich selbst immer in ewiger "Werdelust" 1 zu bethätigen, eine Bedeutung haben, und wir erkennen somit, was schon früher mehrfach ausgesprochen wurde, daß das Reich der Nothwendigkeit an und für sich eine Fortschreitung, eine innere Steigerung oder Minderung seiner göttlichen Energie nie und nirgends zulasse. Ganz vergeblich wäre es also, von irgend einer der an die Nothwendigkeit gewiesenen Ideen -- (heben wir nun an von denen, welche bloß als Gesetze mathematischer Gestaltung erscheinen, bis zu denen, welche sich in den unendlichen Arten bewußtloser Geschöpfe lebend offenbaren) eine Fortbildung, ein Anderswerden, ein sich Weiterbestimmen denken zu wollen; mit unerschütterlicher Festigkeit in alle Ewigkeit hinaus, bleibt hier Alles sich selbst gleich; nie in der unendlichsten Zeit oder in den ver¬ schiedensten Formen und Offenbarungen des Daseins wird das Grundgesetz einer Gestaltung, das Wesen irgend eines bewußtlosen Geschöpfs anders werden; der Begriff der Freiheit ist in diesen Regionen unbekannt. Anders dagegen ist es mit denjenigen Ideen, deren Bedeutung es ist, sich selbst gewahr zu werden, das Selbstbewußtsein zu erreichen, sich selbst gleichsam so noch einmal zu erschaffen, und der¬ gestalt einer mehreren oder minderen Entwicklung des We¬ sens ihrer eigenen Göttlichkeit fähig zu sein. -- Auch eine Idee dieser Art wird ihr eigenes ewiges Wesen unendliche Male darzuleben, ihrer eigenen innern göttlichen Werdelust nach, bestrebt sein; auch sie schließt als ein Höheres etwas von dem Niederen, d. h. etwas von der Nothwendigkeit und dem Gebundensein der ewig im Unbewußtsein verhar¬ renden Ideen mit ein, und ihr anfängliches sich Darleben erscheint auch abermals nur als ein Unbewußtes, aber als
1 Dieses schöne auch zuerst von Göthe gebildete Wort verdient sehr die Einführung in die philosophische Rede. Der Drang, das eigenste Liebesbestreben des Göttlichen, Ewigen, sich zeitlich immer neu und un¬ endlich zu offenbaren, kann auf keinen Fall besser bezeichnet werden.
ſondern nur für das höchſte ewige Myſterium Gottes, d. h. für deſſen Willen ſich ſelbſt immer in ewiger „Werdeluſt“ 1 zu bethätigen, eine Bedeutung haben, und wir erkennen ſomit, was ſchon früher mehrfach ausgeſprochen wurde, daß das Reich der Nothwendigkeit an und für ſich eine Fortſchreitung, eine innere Steigerung oder Minderung ſeiner göttlichen Energie nie und nirgends zulaſſe. Ganz vergeblich wäre es alſo, von irgend einer der an die Nothwendigkeit gewieſenen Ideen — (heben wir nun an von denen, welche bloß als Geſetze mathematiſcher Geſtaltung erſcheinen, bis zu denen, welche ſich in den unendlichen Arten bewußtloſer Geſchöpfe lebend offenbaren) eine Fortbildung, ein Anderswerden, ein ſich Weiterbeſtimmen denken zu wollen; mit unerſchütterlicher Feſtigkeit in alle Ewigkeit hinaus, bleibt hier Alles ſich ſelbſt gleich; nie in der unendlichſten Zeit oder in den ver¬ ſchiedenſten Formen und Offenbarungen des Daſeins wird das Grundgeſetz einer Geſtaltung, das Weſen irgend eines bewußtloſen Geſchöpfs anders werden; der Begriff der Freiheit iſt in dieſen Regionen unbekannt. Anders dagegen iſt es mit denjenigen Ideen, deren Bedeutung es iſt, ſich ſelbſt gewahr zu werden, das Selbſtbewußtſein zu erreichen, ſich ſelbſt gleichſam ſo noch einmal zu erſchaffen, und der¬ geſtalt einer mehreren oder minderen Entwicklung des We¬ ſens ihrer eigenen Göttlichkeit fähig zu ſein. — Auch eine Idee dieſer Art wird ihr eigenes ewiges Weſen unendliche Male darzuleben, ihrer eigenen innern göttlichen Werdeluſt nach, beſtrebt ſein; auch ſie ſchließt als ein Höheres etwas von dem Niederen, d. h. etwas von der Nothwendigkeit und dem Gebundenſein der ewig im Unbewußtſein verhar¬ renden Ideen mit ein, und ihr anfängliches ſich Darleben erſcheint auch abermals nur als ein Unbewußtes, aber als
1 Dieſes ſchöne auch zuerſt von Göthe gebildete Wort verdient ſehr die Einführung in die philoſophiſche Rede. Der Drang, das eigenſte Liebesbeſtreben des Göttlichen, Ewigen, ſich zeitlich immer neu und un¬ endlich zu offenbaren, kann auf keinen Fall beſſer bezeichnet werden.
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ſondern nur für das höchſte ewige Myſterium Gottes, d. h.
für deſſen Willen ſich ſelbſt immer in ewiger „Werdeluſt“ 1 zu
bethätigen, eine Bedeutung haben, und wir erkennen ſomit,
was ſchon früher mehrfach ausgeſprochen wurde, daß das Reich
der Nothwendigkeit an und für ſich eine Fortſchreitung, eine
innere Steigerung oder Minderung ſeiner göttlichen Energie
nie und nirgends zulaſſe. Ganz vergeblich wäre es alſo,
von irgend einer der an die Nothwendigkeit gewieſenen
Ideen — (heben wir nun an von denen, welche bloß als
Geſetze mathematiſcher Geſtaltung erſcheinen, bis zu denen,
welche ſich in den unendlichen Arten bewußtloſer Geſchöpfe
lebend offenbaren) eine Fortbildung, ein Anderswerden, ein
ſich Weiterbeſtimmen denken zu wollen; mit unerſchütterlicher
Feſtigkeit in alle Ewigkeit hinaus, bleibt hier Alles ſich
ſelbſt gleich; nie in der unendlichſten Zeit oder in den ver¬
ſchiedenſten Formen und Offenbarungen des Daſeins wird
das Grundgeſetz einer Geſtaltung, das Weſen irgend eines
bewußtloſen Geſchöpfs anders werden; der Begriff der
Freiheit iſt in dieſen Regionen unbekannt. Anders dagegen
iſt es mit denjenigen Ideen, deren Bedeutung es iſt, ſich
ſelbſt gewahr zu werden, das Selbſtbewußtſein zu erreichen,
ſich ſelbſt gleichſam ſo noch einmal zu erſchaffen, und der¬
geſtalt einer mehreren oder minderen Entwicklung des We¬
ſens ihrer eigenen Göttlichkeit fähig zu ſein. — Auch eine
Idee dieſer Art wird ihr eigenes ewiges Weſen unendliche
Male darzuleben, ihrer eigenen innern göttlichen Werdeluſt
nach, beſtrebt ſein; auch ſie ſchließt als ein Höheres etwas
von dem Niederen, d. h. etwas von der Nothwendigkeit
und dem Gebundenſein der ewig im Unbewußtſein verhar¬
renden Ideen mit ein, und ihr anfängliches ſich Darleben
erſcheint auch abermals nur als ein Unbewußtes, aber als
1 Dieſes ſchöne auch zuerſt von Göthe gebildete Wort verdient ſehr
die Einführung in die philoſophiſche Rede. Der Drang, das eigenſte
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endlich zu offenbaren, kann auf keinen Fall beſſer bezeichnet werden.
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/486>, abgerufen am 24.11.2024.
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