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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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wichtig dabei das Wort selbst zuerst nach seiner Entstehung
und nach seiner Wurzel zu beachten. Das Stammwort
aber ist Ewa 1 und merkwürdigerweise schließt schon dieses
neben dem Begriff einer unendlichen Dauer, den Begriff
des "Gesetzes" (daher auch das Wort Ehe) mit ein. Schon
durch diese Sprachform werden wir also darauf geführt an¬
zuerkennen, daß "ewig" nur ausgesagt werden könne von
dem, was gleich dem Begriffe des Gesetzes, nicht sowohl
eine reale sinnlich erscheinende Existenz hat, sondern von
dem, was ein Gedankenhaftes -- ein Abstraktes ist. Wei¬
ter nachdenkend, finden wir denn auch wirklich bald, daß
Alles, was da wird, d. h. auf irgend eine Weise anhebt,
entsteht, sich seinem Wesen nach umbilden und ändern kann,
und deßhalb nur in einem durch die Zeit bedingten Dasein
erscheint, als solches auch nicht ein Ewiges, sondern nur
ein Zeitliches genannt werden darf. Wir kommen daher
auf diese Weise zu der Erkenntniß der Wahrheit, daß über¬
haupt nicht das, was da "wird", sondern nur das, was
da wahrhaft "ist", auf das Prädicat der Ewigkeit Anspruch
machen darf.

Was da also wirklich "ist", was der stäten absolut
ruhelosen Flucht von Vergangenheit und Zukunft, in
welcher alles sogenannte Wirkliche eingeschlossen ist, sich
völlig entzieht und in einer wahren und unendlichen Ge¬
genwart verharrt, nur von dem können wir aussagen, es
sei ewig. -- Ewig in diesem Sinne ist sonach nur zuerst
das höchste göttliche Mysterium selbst, und ewig in so fern
sind die Ausstrahlungen dieses Mysteriums, die Ideen und
das Werden an sich, d. h. die unendlichen stätigen Offen¬
barungen der Idee im Aether oder das Werdende schlechthin
und im Allgemeinen. Alles, was dagegen im Besondern
wird, was in irgend einer Weise erst in der Zeit entsteht,
nur in ihr ein Wirkliches, Anderes werden kann, trägt
auch eben deßhalb das Siegel der Vergänglichkeit an sich.

1 W. Graff, Althochdeutscher Sprachschatz. 1. Bd. S. 506.

wichtig dabei das Wort ſelbſt zuerſt nach ſeiner Entſtehung
und nach ſeiner Wurzel zu beachten. Das Stammwort
aber iſt Ewa 1 und merkwürdigerweiſe ſchließt ſchon dieſes
neben dem Begriff einer unendlichen Dauer, den Begriff
des „Geſetzes“ (daher auch das Wort Ehe) mit ein. Schon
durch dieſe Sprachform werden wir alſo darauf geführt an¬
zuerkennen, daß „ewig“ nur ausgeſagt werden könne von
dem, was gleich dem Begriffe des Geſetzes, nicht ſowohl
eine reale ſinnlich erſcheinende Exiſtenz hat, ſondern von
dem, was ein Gedankenhaftes — ein Abſtraktes iſt. Wei¬
ter nachdenkend, finden wir denn auch wirklich bald, daß
Alles, was da wird, d. h. auf irgend eine Weiſe anhebt,
entſteht, ſich ſeinem Weſen nach umbilden und ändern kann,
und deßhalb nur in einem durch die Zeit bedingten Daſein
erſcheint, als ſolches auch nicht ein Ewiges, ſondern nur
ein Zeitliches genannt werden darf. Wir kommen daher
auf dieſe Weiſe zu der Erkenntniß der Wahrheit, daß über¬
haupt nicht das, was da „wird“, ſondern nur das, was
da wahrhaft „iſt“, auf das Prädicat der Ewigkeit Anſpruch
machen darf.

Was da alſo wirklich „iſt“, was der ſtäten abſolut
ruheloſen Flucht von Vergangenheit und Zukunft, in
welcher alles ſogenannte Wirkliche eingeſchloſſen iſt, ſich
völlig entzieht und in einer wahren und unendlichen Ge¬
genwart verharrt, nur von dem können wir ausſagen, es
ſei ewig. — Ewig in dieſem Sinne iſt ſonach nur zuerſt
das höchſte göttliche Myſterium ſelbſt, und ewig in ſo fern
ſind die Ausſtrahlungen dieſes Myſteriums, die Ideen und
das Werden an ſich, d. h. die unendlichen ſtätigen Offen¬
barungen der Idee im Aether oder das Werdende ſchlechthin
und im Allgemeinen. Alles, was dagegen im Beſondern
wird, was in irgend einer Weiſe erſt in der Zeit entſteht,
nur in ihr ein Wirkliches, Anderes werden kann, trägt
auch eben deßhalb das Siegel der Vergänglichkeit an ſich.

1 W. Graff, Althochdeutſcher Sprachſchatz. 1. Bd. S. 506.
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[466/0482] wichtig dabei das Wort ſelbſt zuerſt nach ſeiner Entſtehung und nach ſeiner Wurzel zu beachten. Das Stammwort aber iſt Ewa 1 und merkwürdigerweiſe ſchließt ſchon dieſes neben dem Begriff einer unendlichen Dauer, den Begriff des „Geſetzes“ (daher auch das Wort Ehe) mit ein. Schon durch dieſe Sprachform werden wir alſo darauf geführt an¬ zuerkennen, daß „ewig“ nur ausgeſagt werden könne von dem, was gleich dem Begriffe des Geſetzes, nicht ſowohl eine reale ſinnlich erſcheinende Exiſtenz hat, ſondern von dem, was ein Gedankenhaftes — ein Abſtraktes iſt. Wei¬ ter nachdenkend, finden wir denn auch wirklich bald, daß Alles, was da wird, d. h. auf irgend eine Weiſe anhebt, entſteht, ſich ſeinem Weſen nach umbilden und ändern kann, und deßhalb nur in einem durch die Zeit bedingten Daſein erſcheint, als ſolches auch nicht ein Ewiges, ſondern nur ein Zeitliches genannt werden darf. Wir kommen daher auf dieſe Weiſe zu der Erkenntniß der Wahrheit, daß über¬ haupt nicht das, was da „wird“, ſondern nur das, was da wahrhaft „iſt“, auf das Prädicat der Ewigkeit Anſpruch machen darf. Was da alſo wirklich „iſt“, was der ſtäten abſolut ruheloſen Flucht von Vergangenheit und Zukunft, in welcher alles ſogenannte Wirkliche eingeſchloſſen iſt, ſich völlig entzieht und in einer wahren und unendlichen Ge¬ genwart verharrt, nur von dem können wir ausſagen, es ſei ewig. — Ewig in dieſem Sinne iſt ſonach nur zuerſt das höchſte göttliche Myſterium ſelbſt, und ewig in ſo fern ſind die Ausſtrahlungen dieſes Myſteriums, die Ideen und das Werden an ſich, d. h. die unendlichen ſtätigen Offen¬ barungen der Idee im Aether oder das Werdende ſchlechthin und im Allgemeinen. Alles, was dagegen im Beſondern wird, was in irgend einer Weiſe erſt in der Zeit entſteht, nur in ihr ein Wirkliches, Anderes werden kann, trägt auch eben deßhalb das Siegel der Vergänglichkeit an ſich. 1 W. Graff, Althochdeutſcher Sprachſchatz. 1. Bd. S. 506.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/482>, abgerufen am 23.11.2024.