Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Klarheit des Denkens und eine gewisse Stille der Seele,
hingegen bei der Apathie durch vollkommene Gedankenlosigkeit,
im andern hinsichtlich höhern Gleichmuthes durch Leichtigkeit
und Ruhe innern Lebens bei voller Kraft der Gesundheit,
und hinsichtlich der Apathie durch Trägheit, Stockung und
Schwäche. Man hat auch längst die Bedeutung dieser Zu¬
stände für Bewußtes und Unbewußtes gefühlt und erkannt,
obwohl nicht wissenschaftlich nachgewiesen; denn man trennte
ganz richtig von dem wahren, in der gesammten schönen
und gesunden Organisation auch des unbewußten Seelen¬
lebens begründeten Gleichmuthe, Das, was man den er¬
zwungenen, bloß anreflectirten genannt hat, welcher letztere
immer als ein Künstliches und Unvollkommenes sich dar¬
stellen mußte. Dieser Unterschied ist jedenfalls sehr wichtig,
denn sowohl die Art, wie eine solche im ächten höhern auch
durch Unbewußtes begründeten Gleichmuth schwebende Seele
sich offenbart, als die Art wie sie das Aeußere aufnimmt,
wird von der erkünstelten Art des Gleichmuthes welche nicht
so schön im Unbewußten sich begründet findet, immer durch¬
aus abweichen. Shakespeare hat etwas hievon ange¬
deutet, wenn er dem Brutus, welcher die gewaltigsten
Schläge des Schicksals zwar lebendig empfindet, aber mit
höherm Gleichmuth erträgt, den heftigen gereizten Cassius
gegenüberstellt, von dem wir dann hören:

"Durch Kunst hab' ich so viel hievon als Ihr,
Doch die Natur ertrüg's in mir nicht so."

Jener ächte Gleichmuth, der ein reiches volles Leben
in tiefer Seele lebt, der von höherer Freudigkeit und um¬
fassender Liebe durch und durch erwärmt wird, er ist es
eigentlich, der das anzeigt, was wir Größe der Seele
nennen, und was deßhalb diesen Namen insbesondere ver¬
dient, weil dadurch der Mensch so sehr innerlich sich ver¬
größert, daß ihn die Wechselfälle des Lebens nicht mehr
zu erschüttern im Stande sind. Diese Größe ist es, in
welcher es sich andeutet, daß es gewisse Ideen geben kann,

Klarheit des Denkens und eine gewiſſe Stille der Seele,
hingegen bei der Apathie durch vollkommene Gedankenloſigkeit,
im andern hinſichtlich höhern Gleichmuthes durch Leichtigkeit
und Ruhe innern Lebens bei voller Kraft der Geſundheit,
und hinſichtlich der Apathie durch Trägheit, Stockung und
Schwäche. Man hat auch längſt die Bedeutung dieſer Zu¬
ſtände für Bewußtes und Unbewußtes gefühlt und erkannt,
obwohl nicht wiſſenſchaftlich nachgewieſen; denn man trennte
ganz richtig von dem wahren, in der geſammten ſchönen
und geſunden Organiſation auch des unbewußten Seelen¬
lebens begründeten Gleichmuthe, Das, was man den er¬
zwungenen, bloß anreflectirten genannt hat, welcher letztere
immer als ein Künſtliches und Unvollkommenes ſich dar¬
ſtellen mußte. Dieſer Unterſchied iſt jedenfalls ſehr wichtig,
denn ſowohl die Art, wie eine ſolche im ächten höhern auch
durch Unbewußtes begründeten Gleichmuth ſchwebende Seele
ſich offenbart, als die Art wie ſie das Aeußere aufnimmt,
wird von der erkünſtelten Art des Gleichmuthes welche nicht
ſo ſchön im Unbewußten ſich begründet findet, immer durch¬
aus abweichen. Shakespeare hat etwas hievon ange¬
deutet, wenn er dem Brutus, welcher die gewaltigſten
Schläge des Schickſals zwar lebendig empfindet, aber mit
höherm Gleichmuth erträgt, den heftigen gereizten Caſſius
gegenüberſtellt, von dem wir dann hören:

„Durch Kunſt hab' ich ſo viel hievon als Ihr,
Doch die Natur ertrüg's in mir nicht ſo.“

Jener ächte Gleichmuth, der ein reiches volles Leben
in tiefer Seele lebt, der von höherer Freudigkeit und um¬
faſſender Liebe durch und durch erwärmt wird, er iſt es
eigentlich, der das anzeigt, was wir Größe der Seele
nennen, und was deßhalb dieſen Namen insbeſondere ver¬
dient, weil dadurch der Menſch ſo ſehr innerlich ſich ver¬
größert, daß ihn die Wechſelfälle des Lebens nicht mehr
zu erſchüttern im Stande ſind. Dieſe Größe iſt es, in
welcher es ſich andeutet, daß es gewiſſe Ideen geben kann,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0342" n="326"/>
Klarheit des Denkens und eine gewi&#x017F;&#x017F;e Stille der Seele,<lb/>
hingegen bei der Apathie durch vollkommene Gedankenlo&#x017F;igkeit,<lb/>
im andern hin&#x017F;ichtlich höhern Gleichmuthes durch Leichtigkeit<lb/>
und Ruhe innern Lebens bei voller Kraft der Ge&#x017F;undheit,<lb/>
und hin&#x017F;ichtlich der Apathie durch Trägheit, Stockung und<lb/>
Schwäche. Man hat auch läng&#x017F;t die Bedeutung die&#x017F;er Zu¬<lb/>
&#x017F;tände für Bewußtes und Unbewußtes gefühlt und erkannt,<lb/>
obwohl nicht wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich nachgewie&#x017F;en; denn man trennte<lb/>
ganz richtig von dem wahren, in der ge&#x017F;ammten &#x017F;chönen<lb/>
und ge&#x017F;unden Organi&#x017F;ation auch des unbewußten Seelen¬<lb/>
lebens begründeten Gleichmuthe, <hi rendition="#g">Das</hi>, was man den er¬<lb/>
zwungenen, bloß anreflectirten genannt hat, welcher letztere<lb/>
immer als ein Kün&#x017F;tliches und Unvollkommenes &#x017F;ich dar¬<lb/>
&#x017F;tellen mußte. Die&#x017F;er Unter&#x017F;chied i&#x017F;t jedenfalls &#x017F;ehr wichtig,<lb/>
denn &#x017F;owohl die Art, wie eine &#x017F;olche im ächten höhern auch<lb/>
durch Unbewußtes begründeten Gleichmuth &#x017F;chwebende Seele<lb/>
&#x017F;ich offenbart, als die Art wie &#x017F;ie das Aeußere aufnimmt,<lb/>
wird von der erkün&#x017F;telten Art des Gleichmuthes welche nicht<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chön im Unbewußten &#x017F;ich begründet findet, immer durch¬<lb/>
aus abweichen. <hi rendition="#g">Shakespeare</hi> hat etwas hievon ange¬<lb/>
deutet, wenn er dem <hi rendition="#g">Brutus</hi>, welcher die gewaltig&#x017F;ten<lb/>
Schläge des Schick&#x017F;als zwar lebendig empfindet, aber mit<lb/>
höherm Gleichmuth erträgt, den heftigen gereizten <hi rendition="#g">Ca&#x017F;&#x017F;ius</hi><lb/>
gegenüber&#x017F;tellt, von dem wir dann hören:</p><lb/>
              <lg type="poem">
                <l>&#x201E;Durch Kun&#x017F;t hab' ich &#x017F;o viel hievon als Ihr,<lb/></l>
                <l>Doch die Natur ertrüg's in mir nicht &#x017F;o.&#x201C;</l>
              </lg><lb/>
              <p>Jener <hi rendition="#g">ächte</hi> Gleichmuth, der ein reiches volles Leben<lb/>
in tiefer Seele lebt, der von höherer Freudigkeit und um¬<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ender Liebe durch und durch erwärmt wird, er i&#x017F;t es<lb/>
eigentlich, der das anzeigt, was wir <hi rendition="#g">Größe der Seele</hi><lb/>
nennen, und was deßhalb die&#x017F;en Namen insbe&#x017F;ondere ver¬<lb/>
dient, weil dadurch der Men&#x017F;ch &#x017F;o &#x017F;ehr innerlich &#x017F;ich ver¬<lb/>
größert, daß ihn die Wech&#x017F;elfälle des Lebens nicht mehr<lb/>
zu er&#x017F;chüttern im Stande &#x017F;ind. Die&#x017F;e Größe i&#x017F;t es, in<lb/>
welcher es &#x017F;ich andeutet, daß es gewi&#x017F;&#x017F;e Ideen geben kann,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0342] Klarheit des Denkens und eine gewiſſe Stille der Seele, hingegen bei der Apathie durch vollkommene Gedankenloſigkeit, im andern hinſichtlich höhern Gleichmuthes durch Leichtigkeit und Ruhe innern Lebens bei voller Kraft der Geſundheit, und hinſichtlich der Apathie durch Trägheit, Stockung und Schwäche. Man hat auch längſt die Bedeutung dieſer Zu¬ ſtände für Bewußtes und Unbewußtes gefühlt und erkannt, obwohl nicht wiſſenſchaftlich nachgewieſen; denn man trennte ganz richtig von dem wahren, in der geſammten ſchönen und geſunden Organiſation auch des unbewußten Seelen¬ lebens begründeten Gleichmuthe, Das, was man den er¬ zwungenen, bloß anreflectirten genannt hat, welcher letztere immer als ein Künſtliches und Unvollkommenes ſich dar¬ ſtellen mußte. Dieſer Unterſchied iſt jedenfalls ſehr wichtig, denn ſowohl die Art, wie eine ſolche im ächten höhern auch durch Unbewußtes begründeten Gleichmuth ſchwebende Seele ſich offenbart, als die Art wie ſie das Aeußere aufnimmt, wird von der erkünſtelten Art des Gleichmuthes welche nicht ſo ſchön im Unbewußten ſich begründet findet, immer durch¬ aus abweichen. Shakespeare hat etwas hievon ange¬ deutet, wenn er dem Brutus, welcher die gewaltigſten Schläge des Schickſals zwar lebendig empfindet, aber mit höherm Gleichmuth erträgt, den heftigen gereizten Caſſius gegenüberſtellt, von dem wir dann hören: „Durch Kunſt hab' ich ſo viel hievon als Ihr, Doch die Natur ertrüg's in mir nicht ſo.“ Jener ächte Gleichmuth, der ein reiches volles Leben in tiefer Seele lebt, der von höherer Freudigkeit und um¬ faſſender Liebe durch und durch erwärmt wird, er iſt es eigentlich, der das anzeigt, was wir Größe der Seele nennen, und was deßhalb dieſen Namen insbeſondere ver¬ dient, weil dadurch der Menſch ſo ſehr innerlich ſich ver¬ größert, daß ihn die Wechſelfälle des Lebens nicht mehr zu erſchüttern im Stande ſind. Dieſe Größe iſt es, in welcher es ſich andeutet, daß es gewiſſe Ideen geben kann,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/342
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/342>, abgerufen am 12.12.2024.