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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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organe überhaupt, insbesondere aber die des Leberkreislaufs
genannt werden muß. In diesen Regionen äußert sich also
auch der Haß insbesondere, man sagt figürlich: "das Blut
fange an zu kochen," und der Ausdruck ist bezeichnend
genug, aber es kocht an seiner eigenen Zersetzung, es kocht
aus den scharfen, die aufgenommene Nahrung vollends zer¬
setzenden Saft der Galle, es kocht aus den im Zorn (den
momentan aufflammenden Haß) bis zum Wuthgift scharf
werdenden Schaum des Speichels, und in diesem Kochen
macht es die Selbsternährung der Elementargebilde aus dem
Blute eben so unmöglich, als dies während eines Fiebers
gelingt, und so magert ab durch anhaltend genährten Haß
die gesammte Bildung des Leibes.

Auch bei diesem Gefühle bemerkt man übrigens, daß
bald die bewußte, bald die unbewußte Lebensseite den ersten
Anstoß zur Entwicklung desselben gibt. Wo keine höhere
Intelligenz entschieden sich entgegenstellt, wird eine vielleicht
ganz von außen bedingte stärkere Gallenabsonderung ein
bitteres, hassendes Gefühl über die Seele verbreiten, eben
so gewiß, als Veranlassung des Hasses im bewußten Leben,
das unbewußte zu stärkerer, gereizter Leberthätigkeit erregt.

Aus dem Vorhergehenden läßt sich nun auch leicht ab¬
nehmen, was über Verhältniß des Hasses zu andern
Gefühlen
und zum gesammten Seelenleben sich ergeben
müsse. Von der Verwandtschaft desselben zur Trauer ist
bereits gesprochen worden, und eben so ist deßhalb klar,
wie er die Freude ausschließt, oder nur einer sehr niedrigen
Abart derselben, der Schadenfreude, nahe stehen kann.
Eine besondere Betrachtung aber fordert sein Verhältniß
zur Liebe. So sehr man nämlich voraussetzen möchte, daß
das eine dieser beiden entgegengesetzten Gefühle das andere
ausschließen müsse, so wenig ist dies doch in Wahrheit der
Fall, und heftige Liebe und heftiger Haß finden sich daher
nicht selten -- nur nach verschiedenen Richtungen wirkend, --
zugleich in der Seele vor; ja es ist merkwürdig, wie in

Carus, Psyche. 21

organe überhaupt, insbeſondere aber die des Leberkreislaufs
genannt werden muß. In dieſen Regionen äußert ſich alſo
auch der Haß insbeſondere, man ſagt figürlich: „das Blut
fange an zu kochen,“ und der Ausdruck iſt bezeichnend
genug, aber es kocht an ſeiner eigenen Zerſetzung, es kocht
aus den ſcharfen, die aufgenommene Nahrung vollends zer¬
ſetzenden Saft der Galle, es kocht aus den im Zorn (den
momentan aufflammenden Haß) bis zum Wuthgift ſcharf
werdenden Schaum des Speichels, und in dieſem Kochen
macht es die Selbſternährung der Elementargebilde aus dem
Blute eben ſo unmöglich, als dies während eines Fiebers
gelingt, und ſo magert ab durch anhaltend genährten Haß
die geſammte Bildung des Leibes.

Auch bei dieſem Gefühle bemerkt man übrigens, daß
bald die bewußte, bald die unbewußte Lebensſeite den erſten
Anſtoß zur Entwicklung deſſelben gibt. Wo keine höhere
Intelligenz entſchieden ſich entgegenſtellt, wird eine vielleicht
ganz von außen bedingte ſtärkere Gallenabſonderung ein
bitteres, haſſendes Gefühl über die Seele verbreiten, eben
ſo gewiß, als Veranlaſſung des Haſſes im bewußten Leben,
das unbewußte zu ſtärkerer, gereizter Leberthätigkeit erregt.

Aus dem Vorhergehenden läßt ſich nun auch leicht ab¬
nehmen, was über Verhältniß des Haſſes zu andern
Gefühlen
und zum geſammten Seelenleben ſich ergeben
müſſe. Von der Verwandtſchaft deſſelben zur Trauer iſt
bereits geſprochen worden, und eben ſo iſt deßhalb klar,
wie er die Freude ausſchließt, oder nur einer ſehr niedrigen
Abart derſelben, der Schadenfreude, nahe ſtehen kann.
Eine beſondere Betrachtung aber fordert ſein Verhältniß
zur Liebe. So ſehr man nämlich vorausſetzen möchte, daß
das eine dieſer beiden entgegengeſetzten Gefühle das andere
ausſchließen müſſe, ſo wenig iſt dies doch in Wahrheit der
Fall, und heftige Liebe und heftiger Haß finden ſich daher
nicht ſelten — nur nach verſchiedenen Richtungen wirkend, —
zugleich in der Seele vor; ja es iſt merkwürdig, wie in

Carus, Pſyche. 21
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[321/0337] organe überhaupt, insbeſondere aber die des Leberkreislaufs genannt werden muß. In dieſen Regionen äußert ſich alſo auch der Haß insbeſondere, man ſagt figürlich: „das Blut fange an zu kochen,“ und der Ausdruck iſt bezeichnend genug, aber es kocht an ſeiner eigenen Zerſetzung, es kocht aus den ſcharfen, die aufgenommene Nahrung vollends zer¬ ſetzenden Saft der Galle, es kocht aus den im Zorn (den momentan aufflammenden Haß) bis zum Wuthgift ſcharf werdenden Schaum des Speichels, und in dieſem Kochen macht es die Selbſternährung der Elementargebilde aus dem Blute eben ſo unmöglich, als dies während eines Fiebers gelingt, und ſo magert ab durch anhaltend genährten Haß die geſammte Bildung des Leibes. Auch bei dieſem Gefühle bemerkt man übrigens, daß bald die bewußte, bald die unbewußte Lebensſeite den erſten Anſtoß zur Entwicklung deſſelben gibt. Wo keine höhere Intelligenz entſchieden ſich entgegenſtellt, wird eine vielleicht ganz von außen bedingte ſtärkere Gallenabſonderung ein bitteres, haſſendes Gefühl über die Seele verbreiten, eben ſo gewiß, als Veranlaſſung des Haſſes im bewußten Leben, das unbewußte zu ſtärkerer, gereizter Leberthätigkeit erregt. Aus dem Vorhergehenden läßt ſich nun auch leicht ab¬ nehmen, was über Verhältniß des Haſſes zu andern Gefühlen und zum geſammten Seelenleben ſich ergeben müſſe. Von der Verwandtſchaft deſſelben zur Trauer iſt bereits geſprochen worden, und eben ſo iſt deßhalb klar, wie er die Freude ausſchließt, oder nur einer ſehr niedrigen Abart derſelben, der Schadenfreude, nahe ſtehen kann. Eine beſondere Betrachtung aber fordert ſein Verhältniß zur Liebe. So ſehr man nämlich vorausſetzen möchte, daß das eine dieſer beiden entgegengeſetzten Gefühle das andere ausſchließen müſſe, ſo wenig iſt dies doch in Wahrheit der Fall, und heftige Liebe und heftiger Haß finden ſich daher nicht ſelten — nur nach verſchiedenen Richtungen wirkend, — zugleich in der Seele vor; ja es iſt merkwürdig, wie in Carus, Pſyche. 21

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/337>, abgerufen am 18.05.2024.