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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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wordenen bedingt, -- im Ethischen zu dem Gedanken allge¬
meiner Sündhaftigkeit und des allgemeinen Bösen gelangen,
eben weil ja alle, auch die schönsten Offenbarungen der
einzelnen Ideen im Leben, gegen das Vollendete des Aller¬
höchsten gehalten, immer nur ein Unvollkommnes und bloß
Strebendes erscheinen werden. Wo also diese Ansicht vor¬
waltet, ja wo alsdann selbst der bewußte Geist durch sein
Geknüpftsein an das Unbewußte als ursprünglich dem Bösen
verfallen, und das Unbewußte als durchaus sündhaft an¬
geschaut wird, da liegt denn auch die finsterste, verderblichste
Ansicht vom Leben, da dringt die Feindseeligkeit und der
Haß tief in die Seele, und die Verirrung steigert sich dann
selbst bis zur völlig wahnsinnigen Annahme eines bösen
Göttlichen -- eines Satan, womit endlich dem Elend der
Menschheit in Haß und Zerwürfniß völlige Herrschaft ein¬
geräumt wird. Doch eine solche Ansicht kann sich nicht
halten; denn wie nothwendig die Einsicht allgemeinen Lebens
den absoluten Tod aufhebt, so die allgemeine Liebe den Haß.
Würde es doch ganz unmöglich sein, trotz jenes überall
Gewahr-werdens des Todes, alles Leben zu läugnen, oder
bei dem noch so verbreiteten Haß alle Liebe aufzuheben,
indem die Liebe Gottes und zu Gott unter allen Umständen
doch übrig bleiben muß. So wird es denn also bei zu¬
nehmender Erkenntniß auch immer entschiedener gefordert
werden, allen Haß schwinden und trotz der immer lebhaft
erhaltenen Einsicht unendlicher Unvollkommenheit und Stö¬
rung, die allgemeine Liebe immer mehr herrschen zu lassen.
Freilich geht der Mensch auch im schönsten Falle hier durch
unendlich viele Gradationen, er kann und soll jene Höhe
nicht mit einem Male erreichen, und eben deßhalb gehört
das Empfinden eines lebhaften Widerstrebens und gewalt¬
samen Ablehnens und Bekämpfens, mit einem Worte der
Haß, gegen Alles, was störend und hemmend und hindernd
dem Fortschreiten der Seele sich irgend entgegensetzen kann,
nothwendig zur Entwicklungsgeschichte unsers geistigen Lebens,

wordenen bedingt, — im Ethiſchen zu dem Gedanken allge¬
meiner Sündhaftigkeit und des allgemeinen Böſen gelangen,
eben weil ja alle, auch die ſchönſten Offenbarungen der
einzelnen Ideen im Leben, gegen das Vollendete des Aller¬
höchſten gehalten, immer nur ein Unvollkommnes und bloß
Strebendes erſcheinen werden. Wo alſo dieſe Anſicht vor¬
waltet, ja wo alsdann ſelbſt der bewußte Geiſt durch ſein
Geknüpftſein an das Unbewußte als urſprünglich dem Böſen
verfallen, und das Unbewußte als durchaus ſündhaft an¬
geſchaut wird, da liegt denn auch die finſterſte, verderblichſte
Anſicht vom Leben, da dringt die Feindſeeligkeit und der
Haß tief in die Seele, und die Verirrung ſteigert ſich dann
ſelbſt bis zur völlig wahnſinnigen Annahme eines böſen
Göttlichen — eines Satan, womit endlich dem Elend der
Menſchheit in Haß und Zerwürfniß völlige Herrſchaft ein¬
geräumt wird. Doch eine ſolche Anſicht kann ſich nicht
halten; denn wie nothwendig die Einſicht allgemeinen Lebens
den abſoluten Tod aufhebt, ſo die allgemeine Liebe den Haß.
Würde es doch ganz unmöglich ſein, trotz jenes überall
Gewahr-werdens des Todes, alles Leben zu läugnen, oder
bei dem noch ſo verbreiteten Haß alle Liebe aufzuheben,
indem die Liebe Gottes und zu Gott unter allen Umſtänden
doch übrig bleiben muß. So wird es denn alſo bei zu¬
nehmender Erkenntniß auch immer entſchiedener gefordert
werden, allen Haß ſchwinden und trotz der immer lebhaft
erhaltenen Einſicht unendlicher Unvollkommenheit und Stö¬
rung, die allgemeine Liebe immer mehr herrſchen zu laſſen.
Freilich geht der Menſch auch im ſchönſten Falle hier durch
unendlich viele Gradationen, er kann und ſoll jene Höhe
nicht mit einem Male erreichen, und eben deßhalb gehört
das Empfinden eines lebhaften Widerſtrebens und gewalt¬
ſamen Ablehnens und Bekämpfens, mit einem Worte der
Haß, gegen Alles, was ſtörend und hemmend und hindernd
dem Fortſchreiten der Seele ſich irgend entgegenſetzen kann,
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[319/0335] wordenen bedingt, — im Ethiſchen zu dem Gedanken allge¬ meiner Sündhaftigkeit und des allgemeinen Böſen gelangen, eben weil ja alle, auch die ſchönſten Offenbarungen der einzelnen Ideen im Leben, gegen das Vollendete des Aller¬ höchſten gehalten, immer nur ein Unvollkommnes und bloß Strebendes erſcheinen werden. Wo alſo dieſe Anſicht vor¬ waltet, ja wo alsdann ſelbſt der bewußte Geiſt durch ſein Geknüpftſein an das Unbewußte als urſprünglich dem Böſen verfallen, und das Unbewußte als durchaus ſündhaft an¬ geſchaut wird, da liegt denn auch die finſterſte, verderblichſte Anſicht vom Leben, da dringt die Feindſeeligkeit und der Haß tief in die Seele, und die Verirrung ſteigert ſich dann ſelbſt bis zur völlig wahnſinnigen Annahme eines böſen Göttlichen — eines Satan, womit endlich dem Elend der Menſchheit in Haß und Zerwürfniß völlige Herrſchaft ein¬ geräumt wird. Doch eine ſolche Anſicht kann ſich nicht halten; denn wie nothwendig die Einſicht allgemeinen Lebens den abſoluten Tod aufhebt, ſo die allgemeine Liebe den Haß. Würde es doch ganz unmöglich ſein, trotz jenes überall Gewahr-werdens des Todes, alles Leben zu läugnen, oder bei dem noch ſo verbreiteten Haß alle Liebe aufzuheben, indem die Liebe Gottes und zu Gott unter allen Umſtänden doch übrig bleiben muß. So wird es denn alſo bei zu¬ nehmender Erkenntniß auch immer entſchiedener gefordert werden, allen Haß ſchwinden und trotz der immer lebhaft erhaltenen Einſicht unendlicher Unvollkommenheit und Stö¬ rung, die allgemeine Liebe immer mehr herrſchen zu laſſen. Freilich geht der Menſch auch im ſchönſten Falle hier durch unendlich viele Gradationen, er kann und ſoll jene Höhe nicht mit einem Male erreichen, und eben deßhalb gehört das Empfinden eines lebhaften Widerſtrebens und gewalt¬ ſamen Ablehnens und Bekämpfens, mit einem Worte der Haß, gegen Alles, was ſtörend und hemmend und hindernd dem Fortſchreiten der Seele ſich irgend entgegenſetzen kann, nothwendig zur Entwicklungsgeſchichte unſers geiſtigen Lebens,

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/335>, abgerufen am 18.05.2024.