Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.Beziehung auf jenes Wechselverhältniß beider Ideen ein Möge es denn somit gelungen sein, an der Geschichte 1 Es ist sehr merkwürdig, wahrzunehmen, wie auf diese Weise, gerade
bei höher sich entwickelnden Naturen, das Dasein einer andern Seele recht unumgänglich die stätige Bedingung ihres Fortwachsens sein kann, selbst dann, wenn dieses andere Dasein nicht mehr in den Kreis ihres eignen zeitlichen Lebens fällt. -- Die Art, wie Dante's weitere geistige Ent¬ wicklung ganz an den Gedanken an Beatrice gebunden war, kann ein ungefähres Beispiel eines solchen Verhältnisses geben. Beziehung auf jenes Wechſelverhältniß beider Ideen ein Möge es denn ſomit gelungen ſein, an der Geſchichte 1 Es iſt ſehr merkwürdig, wahrzunehmen, wie auf dieſe Weiſe, gerade
bei höher ſich entwickelnden Naturen, das Daſein einer andern Seele recht unumgänglich die ſtätige Bedingung ihres Fortwachſens ſein kann, ſelbſt dann, wenn dieſes andere Daſein nicht mehr in den Kreis ihres eignen zeitlichen Lebens fällt. — Die Art, wie Dante's weitere geiſtige Ent¬ wicklung ganz an den Gedanken an Beatrice gebunden war, kann ein ungefähres Beiſpiel eines ſolchen Verhältniſſes geben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0330" n="314"/> Beziehung auf jenes Wechſelverhältniß beider Ideen ein<lb/> ſtätes Oscilliren zwiſchen Bewußtem und Unbewußtem jeden¬<lb/> falls unerläßlich ſein und in alle Ewigkeit bleiben. <note place="foot" n="1">Es iſt ſehr merkwürdig, wahrzunehmen, wie auf dieſe Weiſe, gerade<lb/> bei höher ſich entwickelnden Naturen, das Daſein einer andern Seele recht<lb/> unumgänglich die ſtätige Bedingung ihres Fortwachſens ſein kann, ſelbſt<lb/> dann, wenn dieſes andere Daſein nicht mehr in den Kreis ihres eignen<lb/> zeitlichen Lebens fällt. — Die Art, wie <hi rendition="#g">Dante's</hi> weitere geiſtige Ent¬<lb/> wicklung ganz an den Gedanken an <hi rendition="#g">Beatrice</hi> gebunden war, kann ein<lb/> ungefähres Beiſpiel eines ſolchen Verhältniſſes geben.</note> Anders<lb/> iſt es freilich mit dem Liebesverhältniß zu einem Schein¬<lb/> bilde, als bei welchem es immer nothwendig gefordert wird,<lb/> daß bei fortgehendem Wachsthume der Seelen es ſich gänz¬<lb/> lich löſe und in fortrückender Entwicklung untergehe. Daß<lb/> nun allerdings die meiſten Verhältniſſe gewöhnlichen menſch¬<lb/> lichen Daſeins nur <hi rendition="#g">hieher</hi> gehören, mag denn freilich<lb/> als abermals eine der mannichfaltigen Unvollkommenheiten<lb/> der Menſchheit, wie ſie auf dieſem Planeten ſich darzuleben<lb/> beſtimmt iſt, keinesweges geläugnet werden.</p><lb/> <p>Möge es denn ſomit gelungen ſein, an der Geſchichte<lb/><hi rendition="#g">desjenigen</hi> Gefühls, welches oft ausſchließlich als Liebe<lb/> bezeichnet zu werden pflegt, gleichſam als an dem wichtigſten<lb/> Beiſpiele, die pſychiſchen Vorgänge des Liebegefühls im<lb/> Allgemeinen zur deutlichern Erkenntniß gebracht zu haben.<lb/> Wollte man alle die einzelnen Formen dieſes Gefühls, von<lb/> der immer nur auf einem Irrthum beruhenden Liebe zu<lb/> materiellen Beſitzthümern an, bis zur Liebe zur Natur über¬<lb/> haupt, zur Liebe zum Vaterlande, zu Kindern und Eltern,<lb/> zur Menſchheit und endlich bis zur Liebe zu Gott — nach<lb/> allen ihren Phaſen durchgehen und verfolgen, ſo würden<lb/> zwar allerdings nach allen Richtungen hin weſentliche Be¬<lb/> reicherungen der Pſychologie ſich ergeben können, doch würde<lb/> eine ſolche Ausführlichkeit zu ſehr den Raum für die gegen¬<lb/> wärtige Aufgabe überſchreiten. Wir wenden uns daher jetzt<lb/> zu der viel kürzer abzuhandelnden Geſchichte des in jeder<lb/> Beziehung letzten Gefühls, zur</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [314/0330]
Beziehung auf jenes Wechſelverhältniß beider Ideen ein
ſtätes Oscilliren zwiſchen Bewußtem und Unbewußtem jeden¬
falls unerläßlich ſein und in alle Ewigkeit bleiben. 1 Anders
iſt es freilich mit dem Liebesverhältniß zu einem Schein¬
bilde, als bei welchem es immer nothwendig gefordert wird,
daß bei fortgehendem Wachsthume der Seelen es ſich gänz¬
lich löſe und in fortrückender Entwicklung untergehe. Daß
nun allerdings die meiſten Verhältniſſe gewöhnlichen menſch¬
lichen Daſeins nur hieher gehören, mag denn freilich
als abermals eine der mannichfaltigen Unvollkommenheiten
der Menſchheit, wie ſie auf dieſem Planeten ſich darzuleben
beſtimmt iſt, keinesweges geläugnet werden.
Möge es denn ſomit gelungen ſein, an der Geſchichte
desjenigen Gefühls, welches oft ausſchließlich als Liebe
bezeichnet zu werden pflegt, gleichſam als an dem wichtigſten
Beiſpiele, die pſychiſchen Vorgänge des Liebegefühls im
Allgemeinen zur deutlichern Erkenntniß gebracht zu haben.
Wollte man alle die einzelnen Formen dieſes Gefühls, von
der immer nur auf einem Irrthum beruhenden Liebe zu
materiellen Beſitzthümern an, bis zur Liebe zur Natur über¬
haupt, zur Liebe zum Vaterlande, zu Kindern und Eltern,
zur Menſchheit und endlich bis zur Liebe zu Gott — nach
allen ihren Phaſen durchgehen und verfolgen, ſo würden
zwar allerdings nach allen Richtungen hin weſentliche Be¬
reicherungen der Pſychologie ſich ergeben können, doch würde
eine ſolche Ausführlichkeit zu ſehr den Raum für die gegen¬
wärtige Aufgabe überſchreiten. Wir wenden uns daher jetzt
zu der viel kürzer abzuhandelnden Geſchichte des in jeder
Beziehung letzten Gefühls, zur
1 Es iſt ſehr merkwürdig, wahrzunehmen, wie auf dieſe Weiſe, gerade
bei höher ſich entwickelnden Naturen, das Daſein einer andern Seele recht
unumgänglich die ſtätige Bedingung ihres Fortwachſens ſein kann, ſelbſt
dann, wenn dieſes andere Daſein nicht mehr in den Kreis ihres eignen
zeitlichen Lebens fällt. — Die Art, wie Dante's weitere geiſtige Ent¬
wicklung ganz an den Gedanken an Beatrice gebunden war, kann ein
ungefähres Beiſpiel eines ſolchen Verhältniſſes geben.
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