Beziehung auf jenes Wechselverhältniß beider Ideen ein stätes Oscilliren zwischen Bewußtem und Unbewußtem jeden¬ falls unerläßlich sein und in alle Ewigkeit bleiben. 1 Anders ist es freilich mit dem Liebesverhältniß zu einem Schein¬ bilde, als bei welchem es immer nothwendig gefordert wird, daß bei fortgehendem Wachsthume der Seelen es sich gänz¬ lich löse und in fortrückender Entwicklung untergehe. Daß nun allerdings die meisten Verhältnisse gewöhnlichen mensch¬ lichen Daseins nur hieher gehören, mag denn freilich als abermals eine der mannichfaltigen Unvollkommenheiten der Menschheit, wie sie auf diesem Planeten sich darzuleben bestimmt ist, keinesweges geläugnet werden.
Möge es denn somit gelungen sein, an der Geschichte desjenigen Gefühls, welches oft ausschließlich als Liebe bezeichnet zu werden pflegt, gleichsam als an dem wichtigsten Beispiele, die psychischen Vorgänge des Liebegefühls im Allgemeinen zur deutlichern Erkenntniß gebracht zu haben. Wollte man alle die einzelnen Formen dieses Gefühls, von der immer nur auf einem Irrthum beruhenden Liebe zu materiellen Besitzthümern an, bis zur Liebe zur Natur über¬ haupt, zur Liebe zum Vaterlande, zu Kindern und Eltern, zur Menschheit und endlich bis zur Liebe zu Gott -- nach allen ihren Phasen durchgehen und verfolgen, so würden zwar allerdings nach allen Richtungen hin wesentliche Be¬ reicherungen der Psychologie sich ergeben können, doch würde eine solche Ausführlichkeit zu sehr den Raum für die gegen¬ wärtige Aufgabe überschreiten. Wir wenden uns daher jetzt zu der viel kürzer abzuhandelnden Geschichte des in jeder Beziehung letzten Gefühls, zur
1 Es ist sehr merkwürdig, wahrzunehmen, wie auf diese Weise, gerade bei höher sich entwickelnden Naturen, das Dasein einer andern Seele recht unumgänglich die stätige Bedingung ihres Fortwachsens sein kann, selbst dann, wenn dieses andere Dasein nicht mehr in den Kreis ihres eignen zeitlichen Lebens fällt. -- Die Art, wie Dante's weitere geistige Ent¬ wicklung ganz an den Gedanken an Beatrice gebunden war, kann ein ungefähres Beispiel eines solchen Verhältnisses geben.
Beziehung auf jenes Wechſelverhältniß beider Ideen ein ſtätes Oscilliren zwiſchen Bewußtem und Unbewußtem jeden¬ falls unerläßlich ſein und in alle Ewigkeit bleiben. 1 Anders iſt es freilich mit dem Liebesverhältniß zu einem Schein¬ bilde, als bei welchem es immer nothwendig gefordert wird, daß bei fortgehendem Wachsthume der Seelen es ſich gänz¬ lich löſe und in fortrückender Entwicklung untergehe. Daß nun allerdings die meiſten Verhältniſſe gewöhnlichen menſch¬ lichen Daſeins nur hieher gehören, mag denn freilich als abermals eine der mannichfaltigen Unvollkommenheiten der Menſchheit, wie ſie auf dieſem Planeten ſich darzuleben beſtimmt iſt, keinesweges geläugnet werden.
Möge es denn ſomit gelungen ſein, an der Geſchichte desjenigen Gefühls, welches oft ausſchließlich als Liebe bezeichnet zu werden pflegt, gleichſam als an dem wichtigſten Beiſpiele, die pſychiſchen Vorgänge des Liebegefühls im Allgemeinen zur deutlichern Erkenntniß gebracht zu haben. Wollte man alle die einzelnen Formen dieſes Gefühls, von der immer nur auf einem Irrthum beruhenden Liebe zu materiellen Beſitzthümern an, bis zur Liebe zur Natur über¬ haupt, zur Liebe zum Vaterlande, zu Kindern und Eltern, zur Menſchheit und endlich bis zur Liebe zu Gott — nach allen ihren Phaſen durchgehen und verfolgen, ſo würden zwar allerdings nach allen Richtungen hin weſentliche Be¬ reicherungen der Pſychologie ſich ergeben können, doch würde eine ſolche Ausführlichkeit zu ſehr den Raum für die gegen¬ wärtige Aufgabe überſchreiten. Wir wenden uns daher jetzt zu der viel kürzer abzuhandelnden Geſchichte des in jeder Beziehung letzten Gefühls, zur
1 Es iſt ſehr merkwürdig, wahrzunehmen, wie auf dieſe Weiſe, gerade bei höher ſich entwickelnden Naturen, das Daſein einer andern Seele recht unumgänglich die ſtätige Bedingung ihres Fortwachſens ſein kann, ſelbſt dann, wenn dieſes andere Daſein nicht mehr in den Kreis ihres eignen zeitlichen Lebens fällt. — Die Art, wie Dante's weitere geiſtige Ent¬ wicklung ganz an den Gedanken an Beatrice gebunden war, kann ein ungefähres Beiſpiel eines ſolchen Verhältniſſes geben.
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Beziehung auf jenes Wechſelverhältniß beider Ideen ein
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falls unerläßlich ſein und in alle Ewigkeit bleiben. 1 Anders
iſt es freilich mit dem Liebesverhältniß zu einem Schein¬
bilde, als bei welchem es immer nothwendig gefordert wird,
daß bei fortgehendem Wachsthume der Seelen es ſich gänz¬
lich löſe und in fortrückender Entwicklung untergehe. Daß
nun allerdings die meiſten Verhältniſſe gewöhnlichen menſch¬
lichen Daſeins nur hieher gehören, mag denn freilich
als abermals eine der mannichfaltigen Unvollkommenheiten
der Menſchheit, wie ſie auf dieſem Planeten ſich darzuleben
beſtimmt iſt, keinesweges geläugnet werden.
Möge es denn ſomit gelungen ſein, an der Geſchichte
desjenigen Gefühls, welches oft ausſchließlich als Liebe
bezeichnet zu werden pflegt, gleichſam als an dem wichtigſten
Beiſpiele, die pſychiſchen Vorgänge des Liebegefühls im
Allgemeinen zur deutlichern Erkenntniß gebracht zu haben.
Wollte man alle die einzelnen Formen dieſes Gefühls, von
der immer nur auf einem Irrthum beruhenden Liebe zu
materiellen Beſitzthümern an, bis zur Liebe zur Natur über¬
haupt, zur Liebe zum Vaterlande, zu Kindern und Eltern,
zur Menſchheit und endlich bis zur Liebe zu Gott — nach
allen ihren Phaſen durchgehen und verfolgen, ſo würden
zwar allerdings nach allen Richtungen hin weſentliche Be¬
reicherungen der Pſychologie ſich ergeben können, doch würde
eine ſolche Ausführlichkeit zu ſehr den Raum für die gegen¬
wärtige Aufgabe überſchreiten. Wir wenden uns daher jetzt
zu der viel kürzer abzuhandelnden Geſchichte des in jeder
Beziehung letzten Gefühls, zur
1 Es iſt ſehr merkwürdig, wahrzunehmen, wie auf dieſe Weiſe, gerade
bei höher ſich entwickelnden Naturen, das Daſein einer andern Seele recht
unumgänglich die ſtätige Bedingung ihres Fortwachſens ſein kann, ſelbſt
dann, wenn dieſes andere Daſein nicht mehr in den Kreis ihres eignen
zeitlichen Lebens fällt. — Die Art, wie Dante's weitere geiſtige Ent¬
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/330>, abgerufen am 07.07.2024.
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