Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

des Seelenlebens um die ganze Windrose der Gefühlswelt
in stäten Oscillationen sich schwingen, bald von Qual,
bald von höchster Freudigkeit erfüllt, weßhalb denn schon
die Alten vielfältigst Bilder und Gleichnisse für diesen
Zustand ersannen, und namentlich den von Amor mit der
Fackel gequälten Schmetterling häufig als Symbol solcher
Zustände wiederholten. Aus eben diesem Grunde quillt
ferner die mächtige Bedeutung der Liebe für Kunst und
Poesie, denn das Gefühlsleben ist überhaupt das Bedin¬
gende aller Production dieser Art, indem großentheils die
Seele nur dadurch das Gewicht dieser Regungen erlangen
kann, daß sie vermöge einer innern Nöthigung bestrebt ist
dieselben gegenständlich -- gleichsam unter Symbolen --
sich zur Anschauung zu bringen und sie so in den Bereich
des vollen Bewußtseins -- in den Bereich der Erkenntniß
zu versetzen, allwo dann sogleich, wie schon bei der Ge¬
schichte der Trauer erwähnt wurde, das Stürmische ihrer
Bewegungen gebrochen ist, und ein mehreres Gleichgewicht
der Gemüthswelt allmälig sich wiederherstellt.

Was die Beziehungen des Liebesgefühls
zum gesammten Menschen
betrifft, so sind sie im un¬
bewußten wie im bewußten Leben von großer Mächtigkeit.
Im bewußten Leben drängen unablässig sich Vorstellungen
hinzu, welche den Gegenstand der Liebe immer und immer
wieder zum Mittelpunkt machen, und welche auf die eigen¬
thümlichste Weise sich belebt zeigen. Sie regen verwandte
Vorstellungen auf, die bleibenden bilden sich zur größten
Gegenständlichkeit durch, und auch dadurch wird so das
Verwirklichen dieser Vorstellungen durch die That erleichtert
und die Productivität des Geistes wesentlich gefördert. Eben
so finden mehr oder weniger alle Bestrebungen des Willens
in dieser Richtung des Vorstellungslebens nicht nur ganz
wesentlich sich angeregt, sondern oftmals auch dergestalt in
ihrer Energie gesteigert, daß Thätigkeiten zum Vorschein
kommen, wie sie sonst in gerade dieser Individualität nie

des Seelenlebens um die ganze Windroſe der Gefühlswelt
in ſtäten Oscillationen ſich ſchwingen, bald von Qual,
bald von höchſter Freudigkeit erfüllt, weßhalb denn ſchon
die Alten vielfältigſt Bilder und Gleichniſſe für dieſen
Zuſtand erſannen, und namentlich den von Amor mit der
Fackel gequälten Schmetterling häufig als Symbol ſolcher
Zuſtände wiederholten. Aus eben dieſem Grunde quillt
ferner die mächtige Bedeutung der Liebe für Kunſt und
Poeſie, denn das Gefühlsleben iſt überhaupt das Bedin¬
gende aller Production dieſer Art, indem großentheils die
Seele nur dadurch das Gewicht dieſer Regungen erlangen
kann, daß ſie vermöge einer innern Nöthigung beſtrebt iſt
dieſelben gegenſtändlich — gleichſam unter Symbolen —
ſich zur Anſchauung zu bringen und ſie ſo in den Bereich
des vollen Bewußtſeins — in den Bereich der Erkenntniß
zu verſetzen, allwo dann ſogleich, wie ſchon bei der Ge¬
ſchichte der Trauer erwähnt wurde, das Stürmiſche ihrer
Bewegungen gebrochen iſt, und ein mehreres Gleichgewicht
der Gemüthswelt allmälig ſich wiederherſtellt.

Was die Beziehungen des Liebesgefühls
zum geſammten Menſchen
betrifft, ſo ſind ſie im un¬
bewußten wie im bewußten Leben von großer Mächtigkeit.
Im bewußten Leben drängen unabläſſig ſich Vorſtellungen
hinzu, welche den Gegenſtand der Liebe immer und immer
wieder zum Mittelpunkt machen, und welche auf die eigen¬
thümlichſte Weiſe ſich belebt zeigen. Sie regen verwandte
Vorſtellungen auf, die bleibenden bilden ſich zur größten
Gegenſtändlichkeit durch, und auch dadurch wird ſo das
Verwirklichen dieſer Vorſtellungen durch die That erleichtert
und die Productivität des Geiſtes weſentlich gefördert. Eben
ſo finden mehr oder weniger alle Beſtrebungen des Willens
in dieſer Richtung des Vorſtellungslebens nicht nur ganz
weſentlich ſich angeregt, ſondern oftmals auch dergeſtalt in
ihrer Energie geſteigert, daß Thätigkeiten zum Vorſchein
kommen, wie ſie ſonſt in gerade dieſer Individualität nie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0309" n="293"/>
des Seelenlebens um die ganze Windro&#x017F;e der Gefühlswelt<lb/>
in &#x017F;täten Oscillationen &#x017F;ich &#x017F;chwingen, bald von Qual,<lb/>
bald von höch&#x017F;ter Freudigkeit erfüllt, weßhalb denn &#x017F;chon<lb/>
die Alten vielfältig&#x017F;t Bilder und Gleichni&#x017F;&#x017F;e für die&#x017F;en<lb/>
Zu&#x017F;tand er&#x017F;annen, und namentlich den von Amor mit der<lb/>
Fackel gequälten Schmetterling häufig als Symbol &#x017F;olcher<lb/>
Zu&#x017F;tände wiederholten. Aus eben die&#x017F;em Grunde quillt<lb/>
ferner die mächtige Bedeutung der Liebe für Kun&#x017F;t und<lb/>
Poe&#x017F;ie, denn das Gefühlsleben i&#x017F;t überhaupt das Bedin¬<lb/>
gende aller Production die&#x017F;er Art, indem großentheils die<lb/>
Seele nur dadurch das Gewicht die&#x017F;er Regungen erlangen<lb/>
kann, daß &#x017F;ie vermöge einer innern Nöthigung be&#x017F;trebt i&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;elben gegen&#x017F;tändlich &#x2014; gleich&#x017F;am unter Symbolen &#x2014;<lb/>
&#x017F;ich zur An&#x017F;chauung zu bringen und &#x017F;ie &#x017F;o in den Bereich<lb/>
des vollen Bewußt&#x017F;eins &#x2014; in den Bereich der Erkenntniß<lb/>
zu ver&#x017F;etzen, allwo dann &#x017F;ogleich, wie &#x017F;chon bei der Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte der Trauer erwähnt wurde, das Stürmi&#x017F;che ihrer<lb/>
Bewegungen gebrochen i&#x017F;t, und ein mehreres Gleichgewicht<lb/>
der Gemüthswelt allmälig &#x017F;ich wiederher&#x017F;tellt.</p><lb/>
              <p>Was die <hi rendition="#g">Beziehungen des Liebesgefühls<lb/>
zum ge&#x017F;ammten Men&#x017F;chen</hi> betrifft, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie im un¬<lb/>
bewußten wie im bewußten Leben von großer Mächtigkeit.<lb/>
Im <hi rendition="#g">bewußten</hi> Leben drängen unablä&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;ich Vor&#x017F;tellungen<lb/>
hinzu, welche den Gegen&#x017F;tand der Liebe immer und immer<lb/>
wieder zum Mittelpunkt machen, und welche auf die eigen¬<lb/>
thümlich&#x017F;te Wei&#x017F;e &#x017F;ich belebt zeigen. Sie regen verwandte<lb/>
Vor&#x017F;tellungen auf, die bleibenden bilden &#x017F;ich zur größten<lb/>
Gegen&#x017F;tändlichkeit durch, und auch dadurch wird &#x017F;o das<lb/>
Verwirklichen die&#x017F;er Vor&#x017F;tellungen durch die That erleichtert<lb/>
und die Productivität des Gei&#x017F;tes we&#x017F;entlich gefördert. Eben<lb/>
&#x017F;o finden mehr oder weniger alle Be&#x017F;trebungen des Willens<lb/>
in die&#x017F;er Richtung des Vor&#x017F;tellungslebens nicht nur ganz<lb/>
we&#x017F;entlich &#x017F;ich angeregt, &#x017F;ondern oftmals auch derge&#x017F;talt in<lb/>
ihrer Energie ge&#x017F;teigert, daß Thätigkeiten zum Vor&#x017F;chein<lb/>
kommen, wie &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t in gerade die&#x017F;er Individualität nie<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0309] des Seelenlebens um die ganze Windroſe der Gefühlswelt in ſtäten Oscillationen ſich ſchwingen, bald von Qual, bald von höchſter Freudigkeit erfüllt, weßhalb denn ſchon die Alten vielfältigſt Bilder und Gleichniſſe für dieſen Zuſtand erſannen, und namentlich den von Amor mit der Fackel gequälten Schmetterling häufig als Symbol ſolcher Zuſtände wiederholten. Aus eben dieſem Grunde quillt ferner die mächtige Bedeutung der Liebe für Kunſt und Poeſie, denn das Gefühlsleben iſt überhaupt das Bedin¬ gende aller Production dieſer Art, indem großentheils die Seele nur dadurch das Gewicht dieſer Regungen erlangen kann, daß ſie vermöge einer innern Nöthigung beſtrebt iſt dieſelben gegenſtändlich — gleichſam unter Symbolen — ſich zur Anſchauung zu bringen und ſie ſo in den Bereich des vollen Bewußtſeins — in den Bereich der Erkenntniß zu verſetzen, allwo dann ſogleich, wie ſchon bei der Ge¬ ſchichte der Trauer erwähnt wurde, das Stürmiſche ihrer Bewegungen gebrochen iſt, und ein mehreres Gleichgewicht der Gemüthswelt allmälig ſich wiederherſtellt. Was die Beziehungen des Liebesgefühls zum geſammten Menſchen betrifft, ſo ſind ſie im un¬ bewußten wie im bewußten Leben von großer Mächtigkeit. Im bewußten Leben drängen unabläſſig ſich Vorſtellungen hinzu, welche den Gegenſtand der Liebe immer und immer wieder zum Mittelpunkt machen, und welche auf die eigen¬ thümlichſte Weiſe ſich belebt zeigen. Sie regen verwandte Vorſtellungen auf, die bleibenden bilden ſich zur größten Gegenſtändlichkeit durch, und auch dadurch wird ſo das Verwirklichen dieſer Vorſtellungen durch die That erleichtert und die Productivität des Geiſtes weſentlich gefördert. Eben ſo finden mehr oder weniger alle Beſtrebungen des Willens in dieſer Richtung des Vorſtellungslebens nicht nur ganz weſentlich ſich angeregt, ſondern oftmals auch dergeſtalt in ihrer Energie geſteigert, daß Thätigkeiten zum Vorſchein kommen, wie ſie ſonſt in gerade dieſer Individualität nie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/309
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/309>, abgerufen am 25.11.2024.